„Heuchelei“: Städte und Landkreise sauer auf Bundesregierung

Die Kommunen stehen bei der Frage der Aufnahme von Geflüchteten mit dem Rücken zur Wand. Der Flüchtlingsgipfel am Donnerstag ließ die kommunalen Spitzenverbände nicht viel erwarten, dennoch bekamen sie noch weniger Zugeständnisse von Bundesinnenministerin Nancy Faeser.
Hilferuf der Landkreise: Bund soll Wohnkosten für Flüchtlinge übernehmen
Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages: „Die Ergebnisse bleiben deutlich hinter unseren Erwartungen zurück.“Foto: Carsten Rehder/dpa
Von 17. Februar 2023

Die Kapazitäten der Kommunen sind erschöpft. Ende Januar schreibt Michael Cyriax (CDU), Landrat des hessischen Main-Taunus-Kreises, an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Zusammen mit zwölf Bürgermeistern und Kreistagschefs verfasste er einen unmissverständlichen Hilferuf an den Kanzler und den hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU). In dem Brandbrief machen die Lokalpolitiker klar, dass die Bundesregierung in der Flüchtlings- und Migrationspolitik versagt hat. Zu viele Menschen kommen nach Deutschland und die Regierung setzt immer neue Anreize, um Flüchtlinge nach Deutschland zu holen. Ihre Botschaft an Scholz und Rhein: So geht es nicht mehr weiter! Wir können nicht mehr!

„Steuern und begrenzen Sie den Zustrom an Flüchtlingen aktiv“

Die Unterzeichner schildern, dass mittlerweile 240.000 Menschen in dem flächenmäßig kleinsten deutschen Landkreis leben. Davon 8.599 Flüchtlinge. Turnhallen, Hotels und private Unterkünfte würden genutzt, um die große Anzahl an Menschen unterzubringen. Dabei habe der Landkreis schon Schwierigkeiten, passenden Wohnraum für die restliche Bevölkerung zu finden. Leerstände gebe es kaum. Auch die Schulen würden aufgrund des Zustroms an ihre Grenzen kommen, so auch die Ämter, die die Geflüchteten registrieren.

„Steuern und begrenzen Sie den Zustrom an Flüchtlingen aktiv“, fordern die Lokalpolitiker von Scholz. Der Kanzler müsse genau hinschauen, wer die Hilfe wirklich benötigt, und zeitgleich Menschen in ihr Land zurückführen, die sich unrechtmäßig in Deutschland aufhalten. Zudem sollen keine Anreize geschaffen werden, sich aus wirtschaftlichen Gründen in Deutschland niederzulassen. Gleichzeitig betonen die Unterzeichner aber auch: Hilfsbedürftige Menschen zu unterstützen, „entspricht unserem Selbstverständnis und unserem Wertekompass.“ Ein kleines Detail am Rande: Zu den Unterzeichnern gehört auch der Bürgermeister der Stadt Schwalbach, Alexander Immisch. Diese Stadt ist der Heimatort von Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Das Schreiben lässt sich nicht als parteipolitisches Manöver abtun. So hat auch die Vizelandrätin des Main-Taunus-Kreises, Madlen Overdick, den Brief unterschrieben. Overdick hat das Parteibuch der Grünen. „Eine ernstzunehmende Integrationsarbeit ist bei den aktuellen Zuzugszahlen kaum noch möglich“, wird Overdick in einer Mitteilung des Landkreises zum Brief zitiert.

Flüchtlingsgipfel nicht ausreichend

Eine ernstzunehmende Reaktion der Bundesregierung auf den Hilferuf des Landkreises blieb aus. Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigte im ZDF lediglich an, dass sie alsbald zu einem Flüchtlingsgipfel in ihr Haus einladen möchte. Die Reaktion der Kommune auf diese Ankündigung blieb sehr verhalten. Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, reagierte im Januar auf die Ankündigung sehr deutlich. In einer Mitteilung auf der Website des Landkreistages bezeichnete er diese Ankündigung als völlig unzureichend:

Die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten in den Landkreisen stößt immer stärker an Kapazitätsgrenzen. Es fehlt an Wohnungen, an Kitaplätzen, an Lehrern für Schulen und Sprachkurse. Auch deshalb vergrößern sich die gesellschaftlichen Spannungen“, so der Präsident.

Seit 2014 habe man etwa 1,4 Millionen Asylbewerber und zuletzt über 1 Million ukrainische Geflüchtete aufgenommen, untergebracht und betreut. Die Kapazitäten seien vielerorts erschöpft und das erforderliche Geld dazu fehle auch. „In dieser Situation brauchen die Landkreise dringend politische Unterstützung aus dem Kanzleramt“, appellierte Sager damals in Richtung Bundesregierung.

Bundeskanzler Scholz ist persönlich gefragt

Für Reinhard Sager ist die Innenministerin nicht die richtige Ansprechpartnerin für die Lösung der Probleme, die die Kommunen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsunterbringung haben. Nancy Faeser habe anlässlich ihres bisher einzigen Gesprächs mit den kommunalen Spitzenverbänden am 11. Oktober verdeutlicht, dass sie keine Zuständigkeit in Finanzfragen habe. „Es ist auch deswegen höchste Zeit für ein Gespräch mit dem Bundeskanzler. Nur er hat die übergreifende Kompetenz in allen uns berührenden Fragen – es geht schließlich auch um die Übernahme von Wohnkosten, Gesundheitskosten, Bauen und andere Themen“, so Sager, der bis vor wenigen Tagen Landrat im Landkreis Ostholstein war. Nach 22 Jahren hatte er sich nicht noch einmal zur Wahl gestellt.

„Das ist weniger, als wir erwartet haben“

Die Erwartungen an den am vergangenen Donnerstag stattfindenden Migrationsgipfel waren also äußerst gering. Dass am Ende aber so wenig dabei herauskommt, das hatten die Vertreter der Kommunen wohl selbst nicht erwartet.

Oberbürgermeister Eckart Würzner, erster Stellvertreter des Präsidenten des Deutschen Städtetages, bringt es in einer Mitteilung auf den Punkt:

Klare Zusagen hat es heute kaum gegeben. Das ist weniger als wir erwartet haben.“

Die Verabredung für einen konkreten Arbeitsprozess von Bund, Ländern und Kommunen lasse aber hoffen. Das betreffe die Unterbringung, die Integration, die Entlastung der Ausländer- und Sozialbehörden sowie Fragen der Rückführung und der Begrenzung des Zuzugs. Vor allem hätte sich Würzner aber die Antwort auf die Frage gewünscht, wer das alles finanziert. Hier hatte Innenministerin Faeser lediglich angekündigt, dass man sich noch einmal über Ostern treffen würde. „Bis Ostern muss es dann aber wirklich konkrete Ergebnisse geben, denn der Druck auf die Kommunen wächst von Tag zu Tag weiter“, so der Heidelberger Oberbürgermeister.

Worten müssen nun Taten folgen

Deutlicher wird Landkreistagspräsident, Reinhard Sager:

Zwar war es gut, sich mit der Bundesregierung zu diesem drängenden Thema erstmals seit dem Herbst zu treffen. Allerdings bleiben die Ergebnisse deutlich hinter unseren Erwartungen zurück. Wir sind auch mit der Forderung in das Treffen gegangen, die Landkreise von den Flüchtlingskosten zu entlasten. Dem Ansinnen nach einer erneuten vollständigen Übernahme der Unterkunftskosten für anerkannte Flüchtlinge hat der Bund aber eine klare Absage erteilt.“

Dass Bundesministerin Faeser am Donnerstag die Kommunen vor den Kopf gestoßen hat, war am Rande der anschließenden Pressekonferenz greifbar. Reinhard Sager gab sich sehr kritisch in seinem Pressestatement. Er erneuerte auch noch einmal seine Forderung, dass die Kommunen gerne mit dem Bundeskanzler zusammenkommen wollen, um die Probleme gemeinsam zu besprechen. Man konnte förmlich die Angst fassen, der Bund könnte am Ende die Landkreise mit den Kosten alleine lassen. Es geht immerhin um zwei Milliarden Euro pro Jahr. Richtung Faeser mahnte der Landkreispräsident weiter an:

Bei den Themen Begrenzung der irregulären Migration und Rückführung abgelehnter Asylbewerber müssen den Worten nun Taten folgen, denn den Landkreisen steht vor Ort das Wasser bis zum Hals.“

Für die Landkreise habe sich die Lage deutlich verschärft im Vergleich zur Flüchtlingskrise 2015 bis 2017, betonte Sager weiter. „Die Landkreise sind an den Kapazitätsgrenzen angelangt und brauchen Erleichterung. Das gilt nicht nur für die Unterbringungsmöglichkeiten, sondern längst auch für Schulen und Kindergärten. Und es betrifft auch unsere Mitarbeiter“, so Reinhard Sager. Von dem Gespräch mit der Bundesinnenministerin hätte deshalb sowohl eine stärkere kurzfristige als auch strukturelle Perspektive ausgehen müssen.

Das ist „Heuchelei“

Wie groß die Enttäuschung aufseiten der Kommunen sein muss, wird auf der Pressekonferenz wenig später deutlich. Als Vertreter der SPD-Innenminister fasst Hamburgs Innensenator Andy Grote das Ergebnis des Gipfels aus seiner Sicht zusammen. Während seine Vorredner, abgesehen von der Innenministerin, das Gipfelergebnis eher skeptisch sehen, versucht Grote den Gipfel als Erfolg umzudeuten. Der SPD-Politiker sagte mit Blick auf die verabredeten neuen Arbeitsprozesse: „Wir beziehen die Kommunen noch stärker ein.“ Ostern sei ein guter Zeitpunkt, um erneut über Geld zu sprechen. Bis dahin werde man besser einschätzen können, wie viele zusätzliche Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu erwarten seien.

Dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, Hans-Günter Henneke, platzt in diesem Moment die Hutschnur. Er sitzt bei dem Grotes Statement zwischen den Journalisten. Plötzlich springt er auf, verlässt den Saal und ruft: „Heuchelei“.



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