„Ich bin im Ghetto gelandet“: Warum unser Schulsystem scheitert

Die Schulführung: "Als wir ankamen, erwartete uns ein riesiger grauer Schulkomplex in einem alten Gebäude im Plattenbaustil. Wie wir später erfuhren, gibt es einige Schulräume, die wegen Schimmel und offener und tropfender Decken gar nicht mehr genutzt werden können ..." Janosch Jung machte sich ein Bild vor Ort.
Titelbild
Die Zahl der Schüler in Deutschland wird nach einer neuen offiziellen Prognose bis 2030 um 278.000 auf 11,2 Millionen steigen. Foto. Arne DedertFoto: Arne Dedert/dpa
Von 1. August 2018

Ich habe gerade zusammen mit anderen Referendaren eine Gesamtschule eines ärmeren Viertels im Ruhrgebiet besucht und möchte hier gerne meine Eindrücke von der Schule und das Gespräch mit der Schulleitung schildern, um exemplarisch und anschließend anhand von empirischen Studien zu verdeutlichen, warum und woran unser Schulsystem derzeit scheitert.

Die Schulführung

Als wir ankamen, erwartete uns ein riesiger grauer Schulkomplex in einem alten Gebäude im Plattenbaustil. Wie wir später erfuhren, gibt es einige Schulräume, die wegen Schimmel und offener und tropfender Decken gar nicht mehr genutzt werden können. Nägel oder Heftzwecke dürfen aufgrund des Asbests nicht in die Wände geschlagen werden. Es ist bedrückend warm, an manchen Orten riecht es faulig. Für eine Sanierung reicht das Geld der Stadt nicht, sagt die Referendarin, die uns abholt und zu einer kleinen Führung einlädt.

Alle Flure sind leer. Sie dürfen von den Schülern aufgrund von Vandalismus außerhalb der Unterrichtszeiten nicht benutzt werden. Einige Räume, in denen größere Projekte stattfinden, wurden abgeschlossen, damit die Schüler nicht durchgängig heraus- und hineinrennen. „Brandschutzvorkehrungen und die Fluchtwege freizuhalten, ist hier weniger wichtig, als überhaupt irgendwie unterrichten zu können.“, sagt die Referendarin. Allerdings habe die Brandstiftung durch einige Achtklässler vor einem Jahr schon dazu beigetragen, das Ganze noch einmal zu überdenken.

Der Unterricht wird in den unteren Klassen bis zur 11. Klasse durch ein Selbstlernkonzept gestaltet. Die Schüler bekommen am Anfang der Woche einen Zettel, auf dem sie eintragen können, was sie in der Schule in dem jeweiligen Fach lernen wollen. Dazu zählen auch soziale Ziele wie „Ich höre zu“. Neue Themen dürfen von den Lehrern durch einen kleinen Input eingeleitet werden.

Fächer wie Naturwissenschaften oder Gesellschaftslehre werden nur noch in Projekt- oder Werkstattarbeit unterrichtet. Wer nicht lernen will, muss auch nicht lernen. Anders sei die Beschulung gemäß Schulleitung und didaktischer Leitung vor allem in den unteren Klassen nicht mehr zu gewährleisten. Eine andere Referendarin der Schule weiß aber: „Das Konzept funktioniert nicht, die machen alle, was sie wollen, nur nicht lernen.“ Eine didaktische Bankrotterklärung also zur Entlastung der Lehrer.

Die gehen übrigens, wenn möglich, zu zweit in die Klassen, um Unterricht überhaupt ermöglichen zu können. Wöchentlich gibt es außerdem dreistündige Sitzungen, in denen über jeden einzelnen Schüler gesprochen wird. Mehrarbeit, die die Lehrer nicht bezahlt bekommen.

Auf den Gängen treffen wir einige Lehrer. Eine Lehrerin berichtet, dass sie den Ausflug ihrer Klasse gerade abgesagt hätte, weil die Schüler ihre Tasche durchwühlt und den Inhalt auf dem Boden verteilt hätten. Eine andere erzählt uns, dass sie nach ihrem Referendariat hier im Ghetto gelandet sei. Wir wissen nicht, was wir antworten sollen und gehen peinlich berührt weiter. Unsere Schulführerin erklärt, dass sie vor allem mit den Eltern oft Probleme hat, weil diese sich am Telefon aufregen würden, dass die Lehrer kein Türkisch können und teilweise aggressiv werden. Sie könne deshalb schon verstehen, warum man die Schule als „Ghetto“ bezeichnet. Glücklich sieht von den Lehrern kaum jemand aus, viele haben resigniert.

Das Gespräch mit der Schulleitung

In einem an die Führung anschließenden Gespräch fragt uns die Schulleitung, ob sie offen reden dürfe. Sie ist eine sympathische Frau Mitte 40, wirkt emphatisch und ist mit Herzblut dabei. Außerdem ist sie gefrustet. Wir sollten uns als Referendare schon überlegen, ob wir an eine solche Schule kommen möchten. Die Schülerschaft sei schwierig und komme aus armen Verhältnissen, der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund ist mit mittlerweile über 80% extrem hoch.

Die Leistungen seien sprachlich insgesamt frappierend schlecht, allerdings auch bei den deutschen Schülern. Bei einem Spracherhebungstest, in dem eine Punktzahl von 50 als noch akzeptabler Wert gelte, erzielen alle Schüler in der 5. Klasse im Durchschnitt eine Punktzahl unter 40, womit ein sprachlicher Förderbedarf besteht. Neuere Klassen haben unlängst im Durchschnitt nur noch 20 Punkte erreicht.

Im letzten Abiturjahrgang mit 60 Schülern sind nur 13 direkt durchgekommen, es gab 88 Nachprüfungen. Den über 150 Kindern mit Förderbedarf (meist emotional-sozial) stehen außerdem so wenige Sonderpädagogen gegenüber, dass jeder von ihnen gleichzeitig 25 Kinder betreuen muss. Außerdem würden die Stellen jetzt weiter abgebaut und es kämen durch neue Schulgesetze neue Inklusionskinder dazu. Sie hält kurz inne und fragt dann, mehr sich selbst: „Wie soll das gehen?“.

Besorgt äußerte sich die Schulleiterin auch über die immer religiös-konservativer werdenden Schüler. Sie sei froh, dass sie jetzt einen Islamlehrer hätten, der den Schülern endlich beibrächte, was wirklich im Koran steht (sic!). Kritisch sieht sie aber eine neue Referendarin, die in Hijab zur Schule geht, also einer relativ konservativen Form der Verschleierung, bei der nur das Gesicht nicht verschleiert ist. Das sei ein schlechtes Vorbild für die muslimischen Mädchen. Auch hätte die muslimische Referendarin vor homophoben Schülern im Unterricht gesagt, dass sie nicht wüsste, wie sie zu Schwulen stehen soll. Das ginge gar nicht.

Es klingelt, unser Raum wird gebraucht und wir gehen in den Flur. Lächelnd schickt die Schulleitung beim Verlassen des Raums noch einen letzten Satz hinterher: „Unter’m Strich bin ich glücklich in meinem Job. Aber man muss ihn zu Hause vergessen können. Ich hoffe, ich habe euch nicht zu sehr abgeschreckt!“.

Auf dem Weg zum Ausgang sehe ich vier Mädchen, die höchstens 11 Jahre alt sein können. Sie tragen Hijab. Am Ausgang angekommen erklärt uns die Referendarin der Schule, dass die Schüler zu unserer Linken eine kleine Nazigruppe sind, die regelmäßig Ausländer anpöbele. Bleiben will sie an der Schule wahrscheinlich nicht.

Ein Einzelfall?

Bei mir hat dieser Besuch einmal mehr den Eindruck verfestigt, dass unser Schulsystem scheitert. Das Erlebte reiht sich ein in die Eindrücke, die ich an einem Gymnasium mit hohem Migrationsanteil gewinnen musste, an dem eine Lehrerin unter Polizeischutz lebte, weil sie den Holocaust nicht von einem muslimischen Jungen geleugnet wissen wollte. Ein homosexueller Lehrer wurde von der Schule gemobbt und jüdische Kinder haben aus Angst vor ihren muslimischen Mitschülern ihre Religionszugehörigkeit verschwiegen.

Von anderen Referendaren höre ich, dass an ihrer Gesamtschule bis zu 1/3 der Lehrer wegen Burnouts oder anderer psychischer Erkrankungen fehlt, Lehrerinnen verprügelt werden, weil sie eine vermeintlich zu schlechte Note gegeben haben und der ganze arabische Großclan in die Schule kommt, wenn ein Schüler von einer Lehrerin aus dem Klassenraum verwiesen wurde. Studien über die gestiegene Gewalt an Schulen, auch gegenüber Lehrern, tun ihr Übriges.

Diese Entwicklungen werden dazu beitragen, dass sich eine gesellschaftliche Spaltung auch relativ schnell schon in den Schulen vollziehen wird. Privatschulen und die konservativeren Gymnasien werden boomen, während die anderen Schulformen sich selbst überlassen werden. Diejenigen, die heute offene Grenzen und mehr Multikulturalität fordern, werden ihre Kinder eben nicht an Schulen wie die heute besuchte schicken. Ein segregativer Teufelskreis, weil Kultur und Sprache nur im gemeinsamen Austausch gelernt werden können.

In spätestens 10 Jahren werden, wenn man die Zahlen der IQB-Studie hochrechnet, 50% der Kinder in den Grundschulen einen Migrationshintergrund haben. Aus der Pisabegleitstudie von 2003 weiß man, dass das Leistungsniveau einer Schule ab einem Migrantenanteil von 40% stark sinkt und zwar ungeachtet des sozioökonomischen Hintergrunds.

Der IQB-Bildungstrend 2016 hat herausgefunden, dass diese 40-Prozent-Schwelle bundesweit bei fast einem Viertel aller Schulen überschritten wird. Das heißt, an diesen Schulen haben alle Viertklässler aufgrund der Zusammensetzung der Schülerschaft strukturell schlechtere Bildungschancen als der Rest der Schülerschaft.

Schulleistungen in Deutschland seit 2011 stagnierend oder rückläufig

Aus der internationalen Lesestudie (IGLU) geht für das Jahr 2016 hervor, dass die Schulleistungen in Deutschland seit 2011 stagnieren, teilweise gibt es sogar erhebliche Rückschritte bei Viertklässlern im Zuhören, in der Orthografie sowie in der Mathematik und beim Lesen. Fast ein Fünftel der Viertklässler kann nicht richtig lesen.

Dieses Studienergebnis verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass sich beispielsweise in Frankfurt die Grundschullehrer an manchen Schulen schon mittels Zeichensprache mit den Kindern verständigen. Dort haben gemäß Mikrozensus bereits 2016 über 70% der unter 6-Jährigen einen Migrationshintergrund. Deutschlandweit sind es 38,11%, in NRW knapp 50%, Tendenz seit 2015 stark steigend. In den wenigsten dieser Familien wird Deutsch gesprochen.

Beispielsweise wachsen von den 43,3% der Kinder mit Migrationshintergrund in Kindertagesstätten meiner Heimatstadt in NRW 37,3% der Kinder in Familien auf, in denen nicht vorrangig Deutsch gesprochen wird. Dazu muss man sagen, dass Familien mit Migrationshintergrund ihre Kinder weitaus seltener in KiTas schicken als deutsche Familien.

Das ist ein Problem. Man wird die Mehrheit sowohl kulturell als auch sprachlich kaum in die Minderheit integrieren können. Der in vielen Studien ermittelte Unterschied in den Leistungen von Kindern mit Migrationshintergrund und deutschen Kindern wird jährlich größer. Die Leistungsabstände zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund betragen derzeit ein bis zwei Jahre und gelten insbesondere für muslimische Schüler. Auch deshalb müssen dringend kulturelle Faktoren für Bildungsaspiration und –erfolg berücksichtigt werden.

Dass die wirtschaftlich aus ähnlichen Verhältnissen wie die Türkeistämmigen stammenden Vietnamesen mittlerweile in puncto Bildungsabschlüsse weitaus erfolgreicher sind als die Deutschen, ist vor allem ihrer konfuzianisch-buddhistisch geprägten Lernkultur zuzuschreiben.

Integration und Bildungsaufstieg müssen folglich als Mehrgenerationenprojekt angestrebt werden, für das wir im Prinzip kaum noch Zeit haben.

Neben dem rasant wachsenden Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund in deutschen Schulen und der aktuellen Inklusionspolitik, die auch vom IQB-Bildungstrend als die Hauptgründe der zunehmenden Verschlechterung der schulischen Leistungen benannt werden, sind neben vielen anderen Faktoren auch die fehlenden Gelder, u.a. für die Sanierung maroder Schulgebäude, und insbesondere die oft fehlende Frühförderung und Lesesozialisation ausschlaggebend dafür, dass wir auf eine Bildungskatastrophe zusteuern. Diese wird tiefgreifende soziale Spannungen und dann auch den wirtschaftlichen Abstieg herbeiführen. Die ersten Anzeichen dafür mehren sich. Die hier beschriebenen problematischen Schulen, die ich bis jetzt kennengelernt habe, werden künftig eher der Normalfall sein.

Im Original erschienen auf dem Blog von Janosch Jung: Gott und die Welt

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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