Lehrer fordern verbindliche Grundschulempfehlung: „Hochbegabte und Förderschüler sitzen in einer Klasse“

Baden-Württemberg möchte wieder eine verbindliche Grundschulempfehlung einführen, andere Bundesländer sind auch am Überlegen. Lehrer an den weiterführenden Schulen beklagen sich über ein immer größeres Leistungsspektrum bei den Schülern, dem sie nicht mehr gerecht werden können. Doch ist eine verbindliche Grundschulempfehlung die Lösung?
Epoch Times15. Februar 2018

Baden-Württemberg ist eines der ersten Bundesländer die bei der Grundschulempfehlung wieder einen Schritt zurück gehen. Unter der Rot-Grünen Vorgängerregierung wurde die verbindliche Grundschulempfehlung abgeschafft.

Die Grün-Schwarze Regierung hat nun am Dienstag beschlossen einen neuen Gesetzentwurf in den Landtag einzubringen, der besagt, dass die schriftliche Grundschulempfehlung beim Wechsel auf eine weiterführende Schule vorgelegt werden muss.

Sollte sich dann die von den Eltern angestrebte Schule von der empfohlenen Schule abweichen, müssen die Eltern plausibel darlegen, warum es auf diese Schule gehen soll.

Die Grundschulempfehlung wird in der vierten Klasse ausgesprochen. Die Eltern haben damit die Möglichkeit, ihr Kind am Gymnasium, der Realschule oder der Hauptschule anzumelden. Die Gesamtschule als eine weitere Form steht grundsätzlich jedem offen.

Bis jetzt war die Grundschulempfehlung für die Eltern unverbindlich d.h. die Eltern entschieden selbst, wo sie ihr Kind anmelden. Das soll sich, entsprechend dem Gesetzentwurf, ab August 2018 ändern.

Lehrer wünschen sich homogeneres Leistungsspektrum

Hintergrund ist der Unmut bei vielen Lehrern darüber, dass Eltern aufgrund einer zu hohen Erwartungshaltung ihr Kind überfordern. Dies führt zu einer Mehrbelastung für den Lehrer, der viel intensiver auf das Kind eingehen muss und zu einem hohen Druck, der auf dem Kind lastet. Insbesondere die Gymnasien sind davon stark betroffen.

Karin Broszat, Vorsitzende des baden-württembergischen Realschullehrerverbands, äußert der „Welt“ gegenüber: „Bei uns sitzen inzwischen Hochbegabte und Förderschüler in einer Klasse.“ Es sei schlicht unmöglich, den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Mehrere Bundesländer in denen die verbindliche Grundschulempfehlung ebenfalls abgeschafft wurde, geht es ähnlich. Auch sie bemerken ein immer stärkeres Auseinanderdriften der Leistungsfähigkeit bei den Schülern.

Auch Schleswig-Holstein möchte eine schriftliche Grundschulempfehlung genau wie in Baden-Württemberg einführen. Die Jamaika-Regierung beschloss dies bereits im letzten Jahr, doch noch läuft das Gesetzgebungsverfahren.

In Nordrhein-Westfalen bestehen Überlegungen, noch einen Schritt weiterzugehen. Hier brachte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) eine verbindliche Grundschulempfehlung ins Gespräch.

Viele Lehrer erhoffen sich dadurch eine Homogenisierung des Leistungsniveaus der Schüler. Doch vielleicht ist es ja nur ein Wunschtraum?

Bildungsforscher sehen Nachteile bei verbindlicher Grundschulempfehlung

Tatsächlich stieg nach dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung der Anteil der Schüler an Gymnasien und damit auch das Leistungsspektrum bei den Schülern.

Einige Bildungsforscher widersprechen allerdings den Lehrerverbänden, die sich davon eine Homogenisierung des Leistungsniveaus versprechen. „Die Argumentation der Lehrerverbände stimmt definitiv nicht“, sagt der ehemalige Direktor des Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Jürgen Baumert der „Welt“ gegenüber. „Die Schülerschaft an Gymnasien wird seit über 50 Jahren kontinuierlich heterogener.“

Dies sei unabhängig von der Frage, wer für die Auswahl der Schüler zuständig sei. Denn auch in Bayern seien die Unterschiede der Kinder an den Gymnasien gestiegen – also in einem Land, in dem die Grundschulempfehlung noch verbindlich ist, äußert sich Baumert in der „Welt“.

Neben Bayern gibt es die verbindliche Grundschulempfehlung auch noch in Thüringen und Sachsen .

Verbindliche Grundschulempfehlung verfassungswidrig

Allerdings ist die verbindliche Grundschulempfehlung mit dem Bestimmungsrecht der Eltern verfassungsrechtlich nicht konform, stellte das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe 1972 fest.

Die Karlsruher Richter erklärten damals (BVerfGE 34, 165 <184>), dass das Bestimmungsrecht der Eltern auch die Befugnis umfasse, den Bildungsweg des eigenen Kindes frei zu wählen (Grundgesetz Art. 6 Abs. 2 S. 1): „Dabei wird sogar die Möglichkeit in Kauf genommen, dass das Kind durch einen Entschluss der Eltern Nachteile erleidet, die im Rahmen einer nach objektiven Maßstäben betriebenen Begabtenauslese vielleicht vermieden werden könnten.“

Auch die bestehende Möglichkeit in Bayern, Kinder in einen dreitägigen Probeunterricht am Gymnasium zu schicken, ändert laut Prof. Wolfram Cremer , wissenschaftliche Direktor des Instituts für Bildungsforschung und Bildungsrecht der Universität Bochum, nichts an der fehlenden Legitimation des Grundschulabiturs: „In der Regel schaffen über die Hälfte der Kinder diese Probezeit, obwohl ihre Grundschulnoten eigentlich zu schlecht für das Gymnasium waren. Das zeigt, wie wenig diese Noten wert sind.“

Auch hier gebe es zudem soziale Ungerechtigkeiten, da nur wenige Kinder sozial schwacher und bildungsferner Eltern überhaupt den Probeunterricht versuchten, äußert Cremer der „dpa“ gegenüber.

Zudem zeigten wissenschaftliche Studien, „dass Kinder aus sozial schwächeren Familien bei gleichen Testleistungen eine deutlich geringere Chance haben, eine Empfehlung fürs Gymnasium zu erhalten, als Kinder aus bildungsnahen, sozial starken Familien“, sagte Martin Güll, Vorsitzender des Bildungsausschusses des Bayrischen Landtags, der „dpa“.

Auffallend ist, dass selten die gesamte Schulstruktur hinterfragt wird. Dazu gehört auch die materielle Ausstattung und die Beschaffenheit des Unterrichtsmaterials, die personellen Bedingungen und auch die Lehrmethoden und Unterrichtsmodelle als solches. Hier schlummert sicher noch ein großes Potenzial. Auch die Fragestellung, warum so viele Kinder die Motivation und die Freude am Lernen verlieren, wenn sie auf eine staatliche Schule kommen, wird viel zu wenig thematisiert.

Ehrliche Einschätzung seitens Elternschaft und Lehrer gefragt

Die Grundschulempfehlung bleibt also ein „heißes Eisen“, da verschiedene Interessen und Verständnisse, von Seiten der Lehrer und der Elternschaft aufeinandertreffen können. Außerdem stellen Noten nur ein beschränktes Mittel zur Einschätzung der Fähigkeiten und des Potenzials eines Menschen dar. Daher ist ein Umdenken auf eine ganzheitliche Betrachtung des Kindes schon lange erforderlich.

Es kommt also auf das Fingerspitzengefühl beider Seiten an und auf eine ehrliche, realistische Einschätzung und kein Wunschdenken. (er)

Mehr dazu:

Gender-Mainstream und „Sexualpädagogik der Vielfalt“: Welcher Zweck wird damit verfolgt? Wem nützt es?



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