Wohnen minus Freiheit

„We are here, we will fight, freedom of movement is everybodys right“ skandieren die Männer, Frauen und ein Mann in Frauenkleidern vor dem seit einem Jahr betriebenen Abschiebegefängnis.
Titelbild
Demonstration der Abschiebegegner am „Aktionstag für grenzenlose Solidarität – kein Abschiebegefängnis in Glückstadt“ im April 2021.Foto: Thilo Gehrke
Von 16. Januar 2023

Schon von weitem hör und sichtbar ist in der Dämmerung die Kundgebung der „Besuchsgruppe für Menschen in Abschiebehaft Glückstadt“ und deren Sympathisanten, etwa 30 Personen. Zwischen den Redebeiträgen in englischer Sprache scheppern Lautsprecher in Richtung Hafthäuser laute Beat- und Reggae-Rhythmen. Es ist die Silvesternacht zum Jahr 2023.

Andere Kundgebungen vor der Anstalt laufen ähnlich, sie tragen große Bilder von Migranten vor dem Bauch, auf dem Rücken die Geschichte einer Flucht. Es sind Schicksale junger Muslime, die aus verschiedenen Gründen kein Bleiberecht in Deutschland haben. Für die Träger dieser Schilder sind es keine Einzelfälle, Wörter wie „Rassismus“ und „Abschiebung ist Mord“ fallen im Gespräch. Auffallend ist, dass weder betroffene Frauen sowie Familien, noch Kinder porträtiert sind, ebenso ist augenscheinlich kein Migrant unter den Demonstranten.

Antifa und Pro Asyl als Berater der Insassen

Zu Silvester wurde die weiße Gefängnismauer von Scheinwerfern angestrahlt. Sogar eine Liveschaltung per Telefon zu Ustarz S. hinter der Mauer, der nach Ghana abgeschoben werden soll, läuft über das Mikrofon.

„Wir sind hier, um den Menschen in der Abschiebehaft zu zeigen, dass sie nicht allein sind und wir sie nicht vergessen. Wir finden es unmöglich, dass Ustarz– trotz neu eingeführtem Chancenaufenthalt – nicht bleiben kann und hier trotz seiner jahrelangen, harten Arbeit eingesperrt wird“, meint Liv Schröder von der Besuchsgruppe.

Sie gehen regelmäßig auf Wunsch der Inhaftierten in die Anstalt, um die Insassen zu beraten, wie eine Abschiebung durch ein Bleiberecht verhindert werden kann. Sie machen mit Unterstützung der Antifa, Pro Asyl und kirchlichen Gruppen Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit, mit dem Ziel das Gefängnis zu schließen und allen Zugewanderten in Deutschland Zuflucht zu bieten.

Abschlusskundgebung zu Silvester vor dem Abschiebegefängnis Glückstadt: „No Border – no nation – no deportation!“, und „Say it loud, say it clear – refugees are welcome here!“ schallt es aus 30 Kehlen in die Nacht. Foto: Thilo Gehrke

60 Plätze für jährlich 18 Millionen Euro

In der idyllisch verträumten alten Festungsstadt an der Elbe in Schleswig-Holstein sind 4 Blöcke in der Marinekaserne mit einer 6 Meter hohen Betonmauer abgesperrt. Mit der Einrichtung soll verhindert werden, dass Migranten, die über keinen Aufenthaltsstatus in Deutschland verfügen und in ihre Heimatländer abgeschoben werden sollen, im letzten Moment untertauchen. Die 60 Haftplätze kosten den Steuerzahler aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zusammen jährlich 18 Millionen Euro, gemietet ist das Areal bis zunächst 2036. In Deutschland sind über 300.000 Zugewanderte ausreisepflichtig.

Mit dem Abzug der Marine endete im Jahr 2004 die 400-jährige Garnisonsgeschichte der Hafenstadt. Die Kaserne aus Wehrmachtszeiten fristete bis 2015 ein tristes Dasein. Ein Bauunternehmer hatte sie für einen symbolischen Preis vom Bund gekauft und wollte auf dem Areal, nach Abriss aller Gebäude, einen Baumarkt errichten. Keiner seiner Bauanträge hatte Erfolg.

Doch dann kam die „Flüchtlingskrise“, schnell wurden die klangvollen Beschriftungen „Schlesien“, „Ostpreußen“ und „Pommern“ von den Kasernenblöcken entfernt, die Anlage wurde zu einer Erstaufnahmeeinrichtung für Zuwanderer mit 1.800 Plätzen. Die massiven Rotklinkerblocks wurden zu diesem Zweck umfassend saniert und vom Land zurück gemietet. Die größte sanierte Wohneinheit, das Haus „Berlin“, wurde dann im Zuge des Umbaus zur Haftanstalt für die 6 Meter hohe Anstaltsmauer abgerissen, für den letzten Umbau waren 50 Millionen Euro veranschlagt.

Auswärtige machen Politik in Glückstadt

Die Entscheidung der Landesregierung Schleswig-Holstein, in der alten Kaserne eine Abschiebeeinrichtung für die drei Bundesländer zu errichten, entfachten in der Politik auf Landes- und Kommunalebene sowie unter den Anwohnern Unruhe. Der NDR hat eine dreiteilige Dokumentation veröffentlicht, die eindrucksvoll die Entstehungsgeschichte der Abschiebehaft-Einrichtung in Glückstadt begleitet und verschiedene Perspektiven auf den Bau der Einrichtung beleuchtet. Die Kamera war bei Diskussionsrunden zwischen Aktivisten und Bürgern dabei, dokumentierte das Ringen um Akzeptanz dieser Einrichtung mitten in einem Wohngebiet.

Innenminister Hans-Joachim Grote von der CDU aus Kiel sagt: „Wer nicht hierbleiben darf, muss dieses Land wieder verlassen und dafür steht diese Einrichtung.“ Seine Nachfolgerin Sabine Sütterlin Waak, CDU, ringt im NDR-Interview um Worte. „Wir müssen uns um diese Menschen sehr kümmern, um Selbstmorde zu verhindern und damit sie anderen keinen Schaden zufügen.“

Der alte Haupteingang der Marinekaserne Glückstadt. Foto: Thilo Gehrke

Anstaltsleiter Frank Keinert spricht lieber von Untergebrachten als von Häftlingen und will mit „Wohnen minus Freiheit“ einer besonders humanen Einrichtung vorstehen. Ihm ist es wichtig, deutsche Gesetzte durchzusetzen. Serpil Midyatli, SPD Vorsitzende von Schleswig-Holstein bezeichnet die Abschiebehaft als Symbol der Härte, die es ohne die AFD im Landtag nicht gegeben hätte.

Auch der Glückstädter Pastor Stefan Eggenberger erkennt Symbolpolitik und will den Insassen Trost und Hilfe spenden. Aktivist Frank Thurow aus Kiel vom Bündnis „Glückstadt ohne Abschiebehaft“ tritt stets im Seawatch.org T-Shirt auf. Er findet, Menschen, die nichts verbrochen haben, darf man nicht einsperren und sieht dadurch eine Entmenschlichung.

Bürgermeisterin Manja Biel ist irritiert, dass mit diesem Bündnis schon seit Jahren Auswärtige auf ihrem Marktplatz Politik machen. Der altehrwürdige Handwerkerstammtisch im Restaurant „Zur alten Mühle“ am Hafen ist sich einig: „Wofür das genutzt wird und was es kostet, steht in keinem Verhältnis, wir wollen gerne die Anlage besichtigen“.

Bürger dürfen es sich nicht anschauen, die Presse ja

Die geplante Besichtigung für die Glückstädter Bürger wurde vom Innenministerium dann aber kurzfristig abgesagt. Bei der Pressebegehung waren dann viele ernüchtert: vergitterte Fenster, hoch umzäunte asphaltierte Freiganghöfe, grelles Kaltlicht in den Hafthäusern. Jürgen Fehrs, Anwohner von gegenüber, ist zerknirscht.

„Die Stimmung der Bürger ist zuletzt in Ablehnung umgeschlagen, es wurde seitens des Innenministeriums von einer Abschiebeeinrichtung gesprochen, entstanden ist eine viel zu große Gefängnisanlage mit einer 6 Meter hohen Mauer und Stacheldraht.“ Und merkt an: „Es ist ein Unterschied, ob es eine Marinekaserne ist, mit angenehmen Kameraden, oder ein Gefängnis“.

„Willkommen im Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge in Schleswig-Holstein“ – Wohnen minus Freiheit. Foto: Thilo Gehrke

Für die Mitglieder der Besuchsgruppe und deren Unterstützer verstoße die Abschiebehaftanstalt gegen „elementare Menschenrechte“. Warum werden die da weggesperrt? Die haben doch nichts verbrochen, finden sie.

Anwohner Jürgen Fehrs lebt direkt neben der ehemaligen Kaserne und fürchtet sich vor möglichen Ausbrüchen. Bisher fühlte er sich hier immer sicher, auch 2016, als in der ehemaligen Kaserne bis zu 1800 Geflüchtete lebten. „Die waren freundlich, die hatten Perspektiven.“ Aber was jetzt käme, das sei nicht mehr positiv. Auch seine Ferienwohnung könne er dann nicht mehr gut vermieten.

30 gegen Abschiebungen – sie sind nicht aus dem Ort

Es fanden bereits Hungerstreiks der Insassen gegen die Haftbedingungen statt, im Oktober letzten Jahres floh ein Afrikaner aus dem Knast. Der Fachanwalt für Migrationsrecht Peter Fahlbusch sagt, dass 50 Prozent der Zuwanderer zu Unrecht in Haft sitzt. Er gibt Fortbildungen über Abschiebehaftrecht bei der Diakonie Hamburg.

Im Oktober twitterte der Flüchtlingsrat SH: „Flucht ist kein Verbrechen! Erfolgreicher Ausbruch einer Person aus Gambia aus der Abschiebungshaft Glückstadt. @FRSHev fordert Ende der Abschiebungshaftpolitik und ein Bleiberecht für alle.“

Unterdessen geht die Silvesterkundgebung der selbst ernannten Menschenrechtler vor dem Gefängnis dem Ende zu. Um die möglicherweise traumatisierten neun Insassen nicht zu gefährden, ist von der Stadt um die Anlage eine Böllerverbotszone eingerichtet worden. Bengalos und Nebelkerzen werden gezündet, Transparente mit Parolen und Fäuste werden kämpferisch emporgestreckt.

„Rassistische Strukturen angreifen – Abschiebeknäste schließen!“, steht auf dem der Antifa. „No Border – no nation – no deportation!“, und „Say it loud, say it clear – refugees are welcome here!“ schallt es aus 30 Kehlen in die Nacht. Die Gruppe der Teilnehmer entfernt sich Richtung Marktplatz. Ein schlanker junger Mann klebt eilig Sticker auf Laternenmasten, Bänke und Stromkästen am Wegesrand. Darauf steht „Kein Abschiebegefängnis in Glückstadt und anderswo – Glückstadt statt Knaststadt“. Am Bahnhof endet die Spur der Sticker.

 



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