
Im Strudel der Likes: Wie soziale Medien Psyche und Freundschaften belasten
Der Mensch ist ein „soziales Tier“ und hungrig nach sozialer Interaktion. Soziale Medien scheinen diesen Hunger zu stillen. Doch der Schein könnte trügen.

Besonders in der Pubertät reagieren Menschen sehr empfindlich auf Ablehnung und Anerkennung durch Gleichaltrige.
Foto: gpointstudio/iStock
Followers, Likes und Kommentare – die sozialen Medien sind voller Interaktionen. Doch durch digitale Beziehungen kommt etwas zu kurz: die authentische persönliche Freundschaft. Das hat Folgen für die psychische Gesundheit, vor allem bei Jugendlichen.
Keine Freundschaften trotz vieler „Freunde“
Dass der digitale Kontakt nicht das Gleiche ist wie ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht, wissen wir spätestens seit den Corona-Lockdowns. Denn die sozialen Medien schaffen ein Paradox der „Freundschaftsinvestitionen“.
Die Menschen geben sich dabei der Illusion hin, mehr Verbindungen mit weniger individuellem Aufwand pflegen zu können. Der Wirtschaftswissenschaftler und Autor Umair Haque bezeichnet dieses Paradox als „Beziehungsinflation“, bei der der Wert jeder Interaktion mit zunehmender Menge abnimmt.
Das hat auch Folgen auf neuronaler Ebene: Wenn Menschen emotional miteinander verbunden sind, synchronisieren sich verschiedene Resonanzsysteme. Das finde online nicht statt, erklärte Bernard Crespi gegenüber Epoch Times. Er ist Professor für Evolutionsbiologie an der Simon Fraser University (SFU) in Kanada.
So sei beispielsweise die Wirkung von Spiegelneuronen, spezielle Gehirnzellen, die mit Empathie zu tun haben, bei Online-Interaktionen gedämpft, erklärt der Evolutionsbiologe.
Online-Interaktion als „evolutionäre Anomalie“
Ebenso verstärken soziale Medien verzerrte Selbstbilder, heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Studie in „BMC Psychiatry“. Denn sie schaffen eine stark kuratierte Umgebung – das Persönliche der Interaktion wie Körpersprache, Sprechtempo und gemeinsam verbrachte Zeit im gleichen Raum fehlen jedoch.
Um es zu verdeutlichen: Eine Jugendliche könnte beispielsweise Stunden damit verbringen, sich zu schminken, schön anzuziehen und Fotos von sich selbst zu machen und zu bearbeiten. Nachdem sie diese veröffentlicht hat, wartet sie auf die Reaktionen Gleichaltriger. Wenn Likes und Kommentare nun ausbleiben, könnte sie das als Ablehnung interpretieren.
Gleichzeitig könnte die junge Frau sich stundenlang auf den Profilen anderer Frauen befinden und ihr eigenes Aussehen mit den sorgfältig bearbeiteten Fotos anderer vergleichen. Das kann ihr Selbstwertgefühl mindern.
Laut Nancy Yang, einer Evolutionsbiologin an der SFU und Hauptautorin der Studie, ist eine solche Online-Interaktion eine „evolutionäre Anomalie“. Denn soziale Medien würden im Gegensatz zu persönlichen Interaktionen – wie sie die Menschen während des größten Teils der Geschichte pflegten – unsere Fähigkeit stören, unser Selbstwertgefühl durch soziales Feedback anderer zu regulieren und anzupassen, erklärte sie gegenüber Epoch Times.
Im Dienste des illusorischen Blickkontakts
Was in den sozialen Medien außerdem verloren gehe, sei der Blickkontakt. Diese besonders wichtige „intime Sprache des Blickkontakts“ sei notwendig, um Verbindung und Wohlbefinden herzustellen, so die Evolutionsbiologin weiter.
Der Erfolg in den sozialen Medien hänge hingegen von einem hohen Maß an sozialer Vorstellungskraft ab – dem imaginären Blick. Die Ersteller von Inhalten müssten die Richtung der „virtuellen Augen“ vorhersehen – was Forscher als „illusorischen Augenkontakt“ bezeichnen – und so auftreten, dass sich das imaginäre Publikum persönlich angesprochen fühlt.
Jugendliche im Strudel der Gefühle
Evolutionsbiologin Yang erklärt: „Das Nutzen sozialer Medien zur sozialen Erfüllung kann so sein, als würde man Popcorn essen, um den Hunger zu stillen. Es mag zwar ‚Essen‘ sein, aber es bietet nicht den gleichen Nährwert wie eine richtige Mahlzeit.“
Wenn Heranwachsende fortlaufend von digitalen Interaktionen „naschen“, wachse ihr Verlangen – und der Hunger bleibt, meinte sie.
Das hat vor allem damit zu tun, dass die Pubertät eine Entwicklungsphase ist, in der Menschen besonders empfindsam auf Ablehnung und Anerkennung durch Gleichaltrige reagieren. Das zeigte auch eine Studie von Psychologen an der Universität Amsterdam aus dem Jahr 2024.
Demnach sind Jugendliche empfindlicher als Erwachsene, was soziales Feedback in Form von Likes anbelangt. Sie passen ihr Posting-Verhalten auch an die Anzahl der erhaltenen Likes an. Dies deutet darauf hin, dass das Engagement Jugendlicher in den sozialen Medien stärker von Emotionen gesteuert wird.
„Warum hast du meinem Bild kein Like gegeben?“
Diese Emotionen erstrecken sich auch auf Freundschaften, wie eine andere Studie aus dem Jahr 2025 feststellte. Demnach leidet die Freundschaft von der Erwartung, immer erreichbar zu sein und auf Nachrichten zu antworten. Allerdings schaden der Freundschaft die negativen Gefühle am meisten, die entstehen, wenn Freunde nicht auf Nachrichten antworten. Die Forscher bezeichneten diese Empfindungen als „Enttäuschung“.
Die Enttäuschung stand sechs Monate später in signifikantem Zusammenhang mit mehr Streitigkeiten zwischen Freunden. Sich verpflichtet zu fühlen, Freunden immer zu antworten, führte nicht zu demselben Ausmaß an Konflikten.
Der visuelle Faktor steigert diese Wirkung noch. Denn Fotos und Videos sind „Investitionen“ mit höherem Einsatz, so die Studie. Sie erfordern eine entsprechende Gegenleistung, was den Effekt der Enttäuschung noch verstärkt. Wenn Jugendliche ein sorgfältig ausgewähltes Bild teilen, leisten sie im Grunde eine größere emotionale Einlage und erwarten eine entsprechende Rückzahlung in Form von Bestätigung.
Laut den Ergebnissen ärgern sich Jugendliche nicht darüber, dass sie sich die Mühe gemacht haben, einen Inhalt zu erstellen. Vielmehr sind sie verärgert, wenn sie nicht die erwartete „Rendite“ erhalten. Sie posten Inhalte in der Erwartung, dass sich ihr Engagement auszahlt – wenn dies nicht der Fall ist, kann dies zu Konflikten unter den Freunden führen.
Soziale Kompetenzen lernen – aber nicht online
Laut Yang könnten soziale Medien ein nützliches Instrument sein, doch man sollte sie in Maßen nutzen. Sie empfiehlt viel mehr, Gespräche von Angesicht zu Angesicht zu führen. Diese seien notwendig, um sinnvolle Beziehungen zu pflegen.
„Soziale Kompetenzen sind wie Tanzen lernen. Man kann sich so viele Tanzvideos ansehen, wie man will, aber es ist nicht dasselbe wie Tanzen“, so die Evolutionsbiologin.
Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Gesundheitsfragen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Teen Social Batteries Drain While Phones Charge“. (redaktionelle Bearbeitung as)

Mari Otsu studierte Psychologie und Kunstgeschichte. Zudem absolvierte sie den Lehrgang für klassische Zeichenkunst und Ölmalerei an der Kunstschule Grand Central Atelier in New York City. Sie absolvierte Praktika in verschiedenen Forschungszentren für Psychologie wie im Gilbert Lab der Harvard University, im Trope Lab der New York University sowie am West Interpersonal Perception Lab, wo sie als Laborleiterin arbeitete. Ferner absolvierte sie ein Praktikum am Smithsonian American Art Museum, einem Kunstmuseum für US-amerikanische Kunst in der US-Hauptstadt Washington.
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