Erholung nach „drei Jahren schockgefrosteter Wirtschaft“

Wie sind die Aussichten der Wirtschaft im Jahr 2023? Markus Müller, Chef-Anlagestratege für Nachhaltigkeit der Privatkundenbank der Deutschen Bank, sieht Gegenwind für Realeinkommen. Dafür sollen Anleger auf ihre Kosten kommen.
Volkswirtschaftlicher Ausblick 2023
Markus Müller, Deutsche Bank AG, bei seiner Rede auf der Veranstaltung des Wirtschaftsrates der CDU im baden-württembergischen Baden-Baden.Foto: Mit freundlicher Genehmigung des Wirtschaftsrats Deutschland
Von 22. Januar 2023

Der Wirtschaftsrat der CDU e.V., Landesverband Baden-Württemberg, gab am 18. Januar einen Volkswirtschaftlichen Ausblick für das Jahr 2023. Ökonom Markus Müller sprach in seinem Fachvortrag über die kommenden marktwirtschaftlichen Entwicklungen.

Bereits am 22. November 2022 erklärte die Deutsche Bank ihre Einschätzung zur deutschen Konjunktur. Demnach sei eine Gasrationierung im Winter unwahrscheinlich. Jedoch werde es im Jahr 2023 Gegenwind für Realeinkommen geben.

Guter Zeitpunkt für Anleger?

Besonders gute Möglichkeiten für Anleger sieht der Ökonom in Aktien. Viele Aktien seien im Jahr 2022 günstiger geworden. Zudem würden sich die Märkte in der aktuellen Situation gut behaupten und bereits in den ersten Wochen des neuen Jahres einen guten Aufwärtstrend vorweisen. Besonders die europäischen Aktienmärkte könnten für die Anleger wieder interessanter werden. Trotz möglicher Kursschwankungen sollten die Märkte über das Jahr gesehen moderat wachsen. Risiken sollte man aber dennoch nicht aus dem Auge verlieren.

Anders als in den vergangenen Jahren habe nun der Finanzsektor besonders gute Aussichten. Profitieren könnten europäische Banken – nicht zuletzt wegen der steigenden Zinsen und einer stabileren Kapitalbasis.

Überzeugt ist Müller auch vom Sektor Gesundheitswesen. Dieser gelte als weniger zyklisch und könne robuste Renditen liefern. „Der Sektor ist nur leicht teurer als der Markt und erwies sich als stabil im Rezessionsumfeld.“

Alternative Anlagen könnten 2023 auch attraktive Renditen versprechen, besonders der Bereich der Infrastruktur. Dieser habe großes Wachstumspotential, weil viele Länder ihre Infrastruktur aufgrund politischer und wirtschaftlicher Vorhaben weiter ausbauen wollen, schilderte Müller. „Allein der Markt für gelistete Infrastrukturmaßnahmen beträgt derzeit rund 7 Billionen US-Dollar. Das Beste liegt noch vor uns.“

Zusammengefasst sollten Anleger vier wichtige Aspekte berücksichtigen:

  • Die nachlassende, aber anhaltende Inflation.
  • Moderate, aber positive Renditeerwartung.
  • Das Risiko abwägen, aus persönlicher und wirtschaftlicher Perspektive.
  • Rentenpapiere könnten nach dem großen Ausverkauf 2023 ebenfalls wieder interessantere Anlagemöglichkeiten bieten.

Inflationsprognose für 2023

Für 2023 erwartet Müller zwar eine Beruhigung der hohen Inflation, aber ein weiterhin ungewöhnlich hohes Niveau. In den USA sollte die Inflation bereits ihren Höhepunkt erreicht haben, in Europa sei dies erst zwischen Januar und dem Frühling dieses Jahres der Fall. Dabei prognostiziert der Ökonom für die Eurozone eine Jahresinflation von 6 Prozent und für die USA 4,1 Prozent.

„Die Inflation kam zustande, weil wir drei Jahre lang unsere Wirtschaft schockgefrostet haben“, sagte Müller. Während der Corona-Pandemie habe es kaum Arbeitslose gegeben. Die Menschen konnten durch einen Digitalisierungsdruck andere Jobs annehmen als zuvor. Speziell die USA erlebte eine gewaltige Kündigungswelle seitens der Arbeitnehmer. Auch in China fuhren viele Unternehmen ihre Produktion zurück.

Zum Ausklingen der Corona-Pandemie gab es dann ein Nachfragedruck, da die Menschen wieder mehr konsumieren wollten. Die erhöhte Nachfrage entstand so vor allem durch die in der Pandemie stark erhöhten Sparquoten der Haushalte, zuletzt verstärkt durch fiskalische Unterstützungsmaßnahmen. Die erhöhte Gesamtnachfrage traf dann zudem auf gestörte Lieferketten. „Das alles trieb die Preise in die Höhe. Hinzu kam dann noch der Ukraine-Krieg, der viele Preise zusätzlich erhöhte“, erklärte Müller.

Veränderungen in Ökonomien

Müller erinnerte in seinem Vortrag an die allgemeine Entwicklung von Ökonomien. Sie erleben eine ständige Veränderung und es sei zwischen langfristigen (longue durée) und kurzfristigen (courte durée) Veränderungen zu unterscheiden. Longue durée nehmen die Menschen meist nur unterbewusst wahr, während courte durée meist politische Umbruchphasen kennzeichnen. Auch die Pandemie kann hier eingeordnet werden – es bleibe jedoch abzuwarten, welche langfristige Wirkung sie zeigt.

In Anbetracht des Ukraine-Krieges erwähnt Müller das Buch „Ende der Geschichte“ des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama. Hintergrund der Argumentation sei hier die Hegel’sche Philosophie, nach der sich die Welt in einem dialektischen Prozess mit These und Antithese entwickelt. Dies führe schließlich zu einer Synthese. Staaten wie China oder Russland hätten zentrale Argumente des Buches widerlegt. Liberale, marktwirtschaftlich organisierte Demokratien seien zwar in vielerlei Hinsicht überlegene Systeme, seien aber nicht perfekt und müssten ständig an sich ändernde Bedingungen angepasst werden.

Zwischen Resilienz und Rezession

Die jüngsten außergewöhnlichen Situationen wie die Pandemie und der Krieg in Osteuropa zeigten die Schwächen eines Systems, unter anderem auch des deutschen Wirtschaftsmodells, auf.

„Deutschland zeigt Schwächen beim Standortwettbewerb auf, wie auch eine neue Studie der Stiftung für Familienunternehmen erläutert. In solch einem Fall ist die Krise als Chance zur Umkehr zu nutzen“, bekräftigte Müller. Das solle unter anderem durch Innovationsförderung, Senkung der Steuern, Reduzierung des Fachkräftemangels und Bildungsförderung gelingen. Somit soll die Wettbewerbsfähigkeit und der Wohlstand erhöht werden.

Das Wachstum der Weltwirtschaft werde sich vermutlich abschwächen – nach rund 3,2 Prozent im Jahr 2022 auf 2,8 Prozent in diesem Jahr. So erwarte Müller weder in den USA noch in Europa eine im historischen Vergleich starke Rezession.

Für die USA rechnen die Experten der Privatkundenbank mit einem Wachstum von rund 0,4 Prozent nach 1,8 Prozent im Jahr 2022. Europa dürfte mit einem Plus von bis zu 0,3 Prozent rechnen, nach einem Wachstum von etwa 3 Prozent im letzten Jahr. Chinas Wirtschaft könnte nach dem Ende der Null-COVID-Politik bis zu 5 Prozent wachsen. Indien, das 2023 zum bevölkerungsreichsten Land der Erde aufsteigen wird, liegt mit einem prognostizierten Wachstum von 6 Prozent noch etwas darüber.

Ein Schlüssel für Veränderung ist laut Müller Knappheit. „Wieso digitalisieren wir unsere Welt? Weil wir eine Knappheit an Produktivität haben.“ Durch das Bestreben, die Knappheit zu überwinden, entwickele die Gesellschaft entsprechende Lösungen und neue Technologien.

Zwei wichtige Global Player: China und Indien

Wirtschaftsinteressierte sollten laut Müller nach wie vor einen Blick nach Osten werfen. Die aktuellen Entwicklungen in China und Indien beeinflussen immer wieder die westlichen Märkte.

Gerade China sorgte in den vergangenen drei Pandemiejahren nicht nur in seiner eigenen Wirtschaft für Wirbel. Auch andere Länder spürten direkt oder indirekt die Auswirkungen unter anderem der Null-COVID-Politik der Kommunistischen Partei. Mit dem abrupten Ende dieser strikten Maßnahme fand eine „Wiedereröffnung“ des Landes statt. Seitdem hätten auch die chinesischen Aktienmärkte wieder teils „bemerkenswert zugelegt“, stellte Müller fest. Manche Aktien hätten seitdem deutlich zweistellige Wachstumszahlen gehabt.

„In mehreren chinesischen Städten deuten jüngst stark gestiegene Mobilitätsdaten darauf hin, dass die Einwohner wieder zur Arbeit, zum Einkaufen und in die Restaurants zurückkehren – die traditionelle Reisetätigkeit zum Neuen Jahr ist ein weiterer Grund hierfür“, berichtete Müller. Daher geht der Ökonom davon aus, dass in den nächsten Wochen und Monaten auch weitere Großstädte Chinas diesem Trend folgen werden und dies „ein lebhaftes zweites Quartal 2023 zur Folge haben dürfte.“

Nachteilig für die Wirtschaft könne sich jedoch die neuerdings demografisch sinkende Bevölkerungsentwicklung auswirken. Um diesem Trend mittel- bis langfristig entgegenzuwirken, sieht Müller nur eine Lösung: die Digitalisierung. Wenn China in diesen Sektor mehr investiert, könne dies zu einer Innovationswelle führen.

Indien wird in Kürze den Titel des bevölkerungsstärksten Landes der Welt übernehmen. Allerdings sei Indien anders organisiert als China und habe mehr strukturelle Probleme.

Das Land sehe sich dennoch als politische Großmacht, obwohl es im Gegensatz zu China keine extraterritoriale Wirtschaftsstrategie betreibe. Indien habe beispielsweise keine Ambitionen, ein ähnliches Projekt wie die Neue Seidenstraße Chinas zu starten. „Das muss man in Abwägung dieser beiden Länder berücksichtigen“, sagte Müller.



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