Gefährliche Rentnerproteste: Wenn die Ex-Kulturrevolutionäre in China auf die Straße gehen

Der Rentner-Protest von Wuhan ist für die herrschende Kommunistische Partei gefährlicher, als es den Anschein hat. Dabei verlief der Protest sogar recht ruhig, auch die Polizei hielt sich überraschend zurück. Ein Chinaexperte analysiert einen brisanten Hintergrund.
Titelbild
Menschen stehen vor Bildern des chinesischen Präsidenten Xi Jinping im Museum der Kommunistischen Partei Chinas in Peking am 4. September 2022.Foto: NOEL CELIS/AFP via Getty Images
Von 14. Februar 2023

Als am 8. Februar in Wuhan, Hauptstadt der Provinz Hubei, Zehntausende Rentner auf die Straße gingen, um gegen die neue Krankenversicherungsreform der Lokalregierung zu protestieren, hielt sich die Polizei deutlich zurück. In einer Analyse geht der aus Hongkong in die USA ausgewanderte Wirtschaftsjournalist und Chinakommentator Shi Shan in der chinesischsprachigen Epoch Times auf Hintergründe ein, die man von Westen aus betrachtet vielleicht kaum vermuten würde. Sie bringen eine Brisanz ins Spiel, die die Kommunistische Partei ein weiteres Mal in ihren Grundfesten erschüttern könnte.

Nach drei Jahren auszehrender Null-COVID-Politik, der hektischen Öffnung am 7. Dezember und der verheerenden Corona-Welle der vergangenen Wochen steckt die Kommunistische Partei Chinas (KPC) tief in der Krise. Die aktuellen Rentnerproteste, nicht nur in Wuhan, auch in Guangzhou und anderen Orten – wird das der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt?

Doch was macht die friedlichen Proteste der alten Leute für die Partei so gefährlich? Um das zu verstehen, muss man in die Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas schauen. Welche Menschen sind diese Rentner eigentlich?

Null-COVID-Politik und leere Kassen

Bei dem Protest am vergangenen Mittwoch in Wuhan hieß es, dass die Stadtregierung den Rentnern zugesichert habe, die Durchführung der Reform werde ausgesetzt. Offiziell gibt es dazu allerdings nichts zu finden. Am nächsten Tag hatte jedenfalls das städtische Büro für die Krankenversicherung von Wuhan darauf hingewiesen, dass man „definitiv weiter voranschreiten“ werde.

Auch in einer von „China News Service“ veröffentlichten Mitteilung des Krankenversicherungsbüros war nicht von einem Zurückrudern die Rede. Stattdessen wird in der von der nach „Xinhua“ zweitgrößten staatlichen Nachrichtenagentur Chinas die Richtlinieninterpretation zur neuen Krankenversicherungsreform abgedruckt. Darin wurde das Sparprojekt beworben und den Leuten schmackhaft gemacht.

Die Lokalregierung von Wuhan steckt in einer finanziellen Extremsituation. Daher der Griff in die Tasche der Rentner. Die Kosten für die Lockdowns, die Massentests, die Quarantänelager und Massen an Überwachungspersonal in weißen Schutzanzügen haben die Kassen enorm geleert. Hinzu kommen die eingebrochenen Einnahmen aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der jahrelangen Null-COVID-Politik. Das ist im Prinzip in allen Städten Chinas so.

Der bis 2009 in China lebende amerikanische Ökonom Davy Jun Huang erklärte gegenüber der Epoch Times: „Die Krankenversicherung dient ursprünglich dem Schutz von Parteimitgliedern und Kadern und Beamten, dann dem öffentlichen Dienst, Mitarbeitern staatlicher Unternehmen und schließlich von allgemeinen Unternehmen und einfachen Menschen (Angestellte, die für die Krankenversicherung bezahlen). Diese Reihenfolge hat sich nicht geändert.“ Die KP China habe eine riesige Belegschaft von Beamten und Parteimitgliedern und es gebe eine große Finanzierungslücke, so der Wirtschaftswissenschaftler.

Wird Peking Wuhan zum Einlenken bringen?

Chinaexperte Shi Shan analysiert in der chinesischsprachigen Epoch Times die Proteste in Wuhan und meint, dass Peking darüber sehr verärgert sein dürfte. Man werde auf Aufklärung drängen und wahrscheinlich einzelne Beamte von Wuhan intern kritisieren und bestraften. Auch geht er davon aus, dass Peking die Wuhan-Regierung zum Einlenken bewegen wird.

„Der Grund dafür ist einfach: Solche Dinge kann die Kommunistische Partei Chinas nicht unterdrücken.“ Sie habe ein Instrument, das sie bei jeder Unterdrückung und bei allen in Gang gesetzten Bewegungen benutzt habe, erklärte Shi. Sie gehe gegen eine kleine Gruppe vor, die in der Regel nicht mehr als fünf Prozent ausmache. „Die übrige Mehrheit muss durch verschiedene Methoden gewonnen werden, einschließlich des Einsatzes verschiedener Mittel von Ruhm und Reichtum.“

Shi nannte dafür geschichtliche Beispiele: „Die Landreform tötete die Großgrundbesitzer.“ Diese seien nur eine kleine Zahl von Menschen gewesen, ebenso wie die Rechten nur eine kleine Zahl von Menschen waren, auch die Konterrevolutionäre seien eine kleine Zahl von Menschen gewesen. „Sie hatten nichts mit der Mehrheit der Menschen zu tun.“ Aber die Krankenversicherung für Rentner betreffe fast alle.

Sobald ein hoher Beamter in Wuhan das Thema anpacke, sei ein Schaden für mehr als zwei Millionen Rentner in Wuhan angerichtet, und alle Familien in Wuhan seien ausnahmslos betroffen. Daher könne diese Angelegenheit nur rückgängig gemacht, nicht aber unterdrückt werden.

Signale an die Gesellschaft

Ein weiterer wichtiger Punkt: Im Leben eines Rentners spiele die Lebenssicherheit eine große Rolle, insbesondere die Gesundheit und der Zugang zu Krankenhäusern im Krankheitsfall. Das betreffe das Sicherheitsgefühl fast aller Menschen, „weil sie auch Familien und Kinder haben, die davon betroffen sind“. Wenn diese Sicherheit – ein Grundbedürfnis der menschlichen Natur – einmal erschüttert sei, sei die Wucht der Gegenreaktion schwer abzuschätzen, meinte der ehemalige Hongkong-Journalist.

Ähnliches meinte auch Li Yuanhua gegenüber der Epoch Times. Der ehemalige außerordentliche Professor der Capital Normal University in Peking lebt heute in Australien. Der Historiker erklärte eine weitere Auswirkung der Rentnerproteste auf die Gesellschaft: „Es ist sehr ungerecht und erhöht die Belastung für alle, deshalb werden die Rentner dagegen kämpfen.“ Das werde auch weit verbreitete Besorgnis hervorrufen. „Die derzeitigen Arbeitnehmer werden denken: Das ist auch mein Schicksal in der Zukunft.“ Li meinte, wenn das bösartige politische System nicht geändert werde, werde diese unsinnige Politik immer so weitergeführt. Jedes Mal werde es die Interessen einiger Menschen betreffen. „In diesem Prozess werden immer mehr Menschen ihre Illusionen über die KPC vollständig aufgeben.“

Proteste auf Kommunistisch

Ein Video im Internet, geteilt von dem bekannten, blinden chinesischen Menschenrechtsaktivisten und Dissidenten Chen Guangchen, zeigt eine Gruppe protestierender Senioren mit Regenschirmen im Regen von Wuhan. Als Zeichen des Protests singen sie die kommunistische Internationale auf Chinesisch. Das Video zeigt nur eine Momentaufnahme des Rentnerprotests, weist aber auf wichtige Zusammenhänge hin.

Wer waren diese Menschen, die da am 8. Februar in Wuhan vor dem Rathaus protestierten? Laut Shi waren es Leute im Alter von 60 und älter, was nach den demografischen Daten Chinas 20 Prozent der chinesischen Bevölkerung entspreche. „Dies ist die Gruppe von den Chinesen, die in den 50er- und 60er-Jahren geboren und während der Kulturrevolution ausgebildet wurde.“

Um das näher zu erläutern, ging Shi auf die jüngste Rede von Chinas Führers Xi Jinping an der Zentralen Parteihochschule in Peking, der Kaderschmiede der KPC, ein. Xi Jinping habe gesagt, dass wir „in der Zukunft allen Arten von vorhersehbaren und unvorhersehbaren Risiken und Herausforderungen, Härten und sogar schockierenden Wellen begegnen werden, sodass wir unseren Sinn für Besorgnis schärfen, uns an das Grundprinzip des Denkens halten, auf Gefahren in Zeiten des Friedens vorbereitet sein werden, uns auf Regentage vorbereiten, den Kampf wagen und gut darin sein werden, zu kämpfen, und durch zähes Ringen neue Horizonte für die Entwicklung erschließen müssen“.

Shi Shan meinte: „Diese Aussage, die sehr kulturrevolutionär klingt, spiegelt ein stereotypes Denkmuster der damaligen Generation wider. Und die Gruppe von Menschen, die in Wuhan auf die Straße ging, war genau diese Generation Menschen mit der gleichen Denkweise.“

Sie denken, wenn man ihre Krankenversicherung anrühre, werde der Gewinn geschmälert, und ein Gefühl der Besorgnis werde sich einstellen. „Mit dieser Gruppe älterer Menschen auf dem chinesischen Festland sollte man sich nicht anlegen“, meinte Shi. „Ihr Kampfgeist ist so stark, dass die jungen Leute in China sie im Allgemeinen meiden.“ Wenn sich die Kommunistische Partei Chinas mit diesen Menschen anlege, werde sie in Schwierigkeiten geraten, so der Experte.

Angst als Machtinstrument

Doch das sei nur die Oberfläche der aktuellen Probleme in China, meinte Shi und verwies auf „Angst“ als eines der wichtigsten Instrumente der Kommunistischen Partei, „um ihre Macht zu erhalten und die gesamte Gesellschaft zu kontrollieren“. Dieses Werkzeug der Angst sei allerdings immer weniger nützlich.

Shi verweist auf die „Broken Window Theorie“ der amerikanischen Sozialforscher Wilson und Kelling (1982), wonach soziale Bewegungen in der Regel eine Kettenreaktion seien. „In der Masse sind diejenigen, die besonders mutig und kühn sind, die Minderheit; die meisten sind Mitläufer, die der Masse folgen. Sobald die erste Person einen Fehler gemacht hat und nicht sofort bestraft wird, folgt die zweite, dann die dritte und vierte.“

Polizei oder Armee seien zahlenmäßig kleiner als das gemeine Volk. Wenn sich die Aktionen der Gruppe ausweiten, werde sie sehr schwer zu kontrollieren sein. Die KPC sage immer: „Instabilität im Keim ersticken“ und meine damit, es müsse überwacht und rechtzeitig reagiert werden und die Mittel müssten hart sein. Daher sei es notwendig, die Gesellschaft streng zu kontrollieren. Sobald ein Schritt getan werde, müsse er schockierend genug sein, um eine „entsprechende Atmosphäre des Terrors zu schaffen“.

Der offene Terror verschwindet

So habe es die Partei in der Vergangenheit getan. „Doch in letzter Zeit ist mit diesem Unterdrückungsapparat etwas schiefgelaufen.“ In jüngster Zeit habe es viele Massenvorfälle in China gegeben: „White Paper“-Bewegung, die Feuerwerksrevolution, die Lohnbewegung … Die Partei habe schnell gehandelt und die ersten und zweiten Personen verhaftet, die sich bewegt hatten. Aber sie schuf keine große Atmosphäre des Terrors. Nach den „White Paper“-Protesten habe die KPC Dutzende Menschen verhaftet. Aber sie habe nicht gewagt, dies bekannt zu geben oder sie lautstark zu bestrafen, so Shi. „Bis zum heutigen Tag bleibt diese Aktion geheim und privat – ohne öffentliche Darstellung.“

Für das chinesische Volk sei die Änderung der Null-COVID-Politik ein eindeutiges Zugeständnis an die Proteste des Volkes gewesen, eine erfolgreiche Konfrontation. Doch es sei keine öffentliche strenge Bestrafung der („White Paper“-)Anführer erfolgt. Der offene Terror sei nicht zum Vorschein gekommen. Das Gleiche bei der Feuerwerksrevolution. Es gab Zugeständnisse der Lokalregierungen. Die Vorschriften seien in Kraft, aber Regierung und Polizei hätten auf allen Ebenen ein Auge zugedrückt. Jeder habe Silvesterfeuerwerk gezündet. Man habe nicht gehört, das jemand verhaftet oder streng bestraft worden sei.

„Wenn in der Antike jemand ein Verbrechen beging und getötet werden sollte, musste er vor einer großen Menschenmenge mit einem einzigen Schlag niedergestreckt werden.“ So hatte es auch die Kommunistische Partei Chinas am Neujahrstag gemacht. Eine große Zahl von Menschen waren gefesselt auf einem Lastwagen vorgeführt und des Verbrechens angeklagt worden. Dann hatte man sie vor den Augen der Menschenmenge erschossen.

„Auf diese Weise kann man genügend Angst erzeugen, um den Gehorsam der Massen aufrechtzuerhalten. Aber bei den jüngsten Kampagnen fehlen diese Dinge.“

Ohne Geld zerfällt der Terrorapparat

Es sei nicht so, dass die Kommunistische Partei Chinas weniger gewalttätig sei, meinte Shi, aber die Zeiten änderten sich und diese terroristischen Methoden seien für die jüngsten Vorfälle nicht geeignet. „Aber diese Vorfälle reichen aus, um den meisten Menschen in China einen psychologischen Hinweis zu geben, es ihnen gleichzutun.“

Und was noch wichtiger sei: Die gesamte autoritäre Maschinerie der Kommunistischen Partei Chinas beginne sich zu lockern.

Shi Shan: „Im Maschinenbau gilt der Grundsatz, dass das, was man mit einem Teil machen kann, niemals mit zwei Teilen gemacht werde.“ Der Grund dafür sei einfach der, dass die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief gehe, bei zwei Teilen viel größer sei als bei einem. „Das Gleiche gilt für den Staatsapparat: Je komplexer und ausgeklügelter das System gestaltet ist, desto teurer ist sein Unterhalt.“

„Das System der Kommunistischen Partei ist äußerst komplex und ausgeklügelt und im Allgemeinen recht effektiv, aber es ist auch sehr kostspielig in der Anwendung.“ Es gehe nur ums Geld. Ein Problem mit der Wirtschaft, insbesondere mit den Staatsfinanzen, bringe auch Probleme mit dem Funktionieren der gesamten Maschine. „Dieses komplexe System der Kommunistischen Partei Chinas ist auf viel Geld angewiesen, um es am Laufen zu halten.“ Daher der besonders große Anteil an den staatlichen Verwaltungsausgaben in China.

Jetzt sei die Wirtschaft in Schwierigkeiten und es gebe ein Problem mit den Steuereinnahmen aller Regierungsebenen. Die Maschine beginne zu kollabieren. Der öffentliche Dienst beginne überall damit, die Gehälter zu kürzen – in vielen Fällen um 50 Prozent, in anderen um 30. Von den Beamten erwarte man aber, dass sie mehr tun. Das sei unrealistisch. „Die verschiedenen Krisen, mit denen China jetzt konfrontiert ist, sind also im wesentlichen Wirtschaftskrisen.“

Doch die Partei wolle das Problem aus der Höhe des „politischen Bewusstseins“ lösen und suche einfach nach Fischen auf einem Baum. Weil dies die grundlegende Natur des gewöhnlichen Menschen betreffe – kein Geld, keine Vorteile.

Xi Jinping schrieb das letzte Rezept

Xi Jinping habe für das Lösen der Wirtschaftskrise ein „völlig falsches Rezept verschrieben“. Die Krise werde nur noch schlimmer. Nach der Gründung der KPC habe China mehrere große Wirtschaftskrisen erlebt, in den frühen 1960er- und in den späten 1970er-Jahren. In den 1960er-Jahren habe sich Mao Zedong in die zweite Linie zurückgezogen und Liu Shaoqi habe sich für „drei Freiheiten und eine Garantie“ engagiert. Ende der 70er seien dann Regierung und Unternehmen getrennt worden. Es folgten Reformen und Öffnungen. Deren Kern habe darin bestanden, die zentralisierte Macht zu dezentralisieren.

„Aber jetzt ist Xi Jinpings Rezept in Peking, die Macht zu zentralisieren.“ In seiner jüngsten Rede an der Zentralen Parteischule habe Xi diesen Punkt erneut betont: „Um die stürmische See, die vor uns liegt, zu bewältigen“, sei es notwendig, „unbeirrbar an der Führung der Partei festzuhalten“. Das sei jedoch unverblümt ausgedrückt die Führung einiger weniger Personen und die Konzentration der Macht auf diese.

„Infolgedessen ist die KPC in einen negativen Kreislauf eingetreten, in dem die Machtkonzentration zu einem wirtschaftlichen Niedergang führt.“ Dieser führe dann zu einer Lockerung des Systems, was zu einem weiteren Griff zur Macht führe, „bis es vollständig zusammenbricht“.

Shi Shan: „Um ehrlich zu sein, ist dies der gemeinsame Grund für den Untergang aller kommunistischen Diktaturen. Wie in der ehemaligen Sowjetunion wird dies auch bei der Kommunistischen Partei Chinas der Fall sein.“



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