Logo Epoch Times
plus-iconAnhaltende Proteste in Budapest

Big Brother in Budapest? Orbán will Demonstranten per Gesichterkennung identifzieren

Budapest wird zum Schauplatz anhaltender Demonstrationen gegen ein neues Gesetz der Regierung Orbán. Opposition und Demonstranten sprechen von einem Angriff auf die Grundrechte und warnen vor weitreichender Überwachung.

top-article-image

Demonstranten marschieren am 15. April 2025 über die Elisabethbrücke in Budapest. Sie protestieren gegen Verfassungsänderungen, die am Tag zuvor von ungarischen Abgeordneten beschlossen wurden.

Foto: Attila Kisbenedek/AFP via Getty Images

0:00
Artikel teilen

Lesedauer: 9 Min.

Seit Mitte März herrscht in der ungarischen Hauptstadt eine angespannte Stimmung. Wöchentlich versammeln sich Tausende Demonstranten unter der Führung von Oppositionsparteien und dem unabhängigen Abgeordneten Ákos Hadházy, um gegen jüngste Gesetzes- und Verfassungsänderungen der Regierung zu protestieren.
Ein neues Gesetz ermöglicht es den Behörden, öffentliche LGBTQ+-Veranstaltungen zu verbieten und die Teilnehmer von jeglichen Protesten mithilfe von Gesichtserkennungstechnologie zu identifizieren. Sowohl gegen Veranstalter als auch Teilnehmer von verbotenen LGBTQ+-Veranstaltungen können hohe Geldstrafen festgesetzt werden.
Den Ausgangspunkt bildete eine am 18. März verabschiedete Änderung des Versammlungsrechts. Diese sieht vor, dass Veranstaltungen, die Inhalte über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität öffentlich thematisieren – wie etwa die Budapest Pride Parade –, künftig grundsätzlich nicht genehmigt werden können. Als Ziel wird der Schutz von Minderjährigen genannt.
Mitte April beschloss das ungarische Parlament zudem eine Änderung der Verfassung, die diese Gesetzesänderung festschrieb. Sie legt unter anderem fest, dass jedem Kind ein Anrecht auf Schutz und Fürsorge im Sinne seiner körperlichen, geistigen und moralischen Entwicklung zusteht. Zudem wird rechtlich festgeschrieben, dass eine Person entweder männlich oder weiblich ist.
Die Debatte wird sowohl innerhalb Ungarns als auch auf internationaler Ebene aufmerksam verfolgt. Besondere Aufmerksamkeit erregten die sogenannten „Brückenbesetzungen“, bei denen zentrale Verkehrsadern blockiert wurden. Trotz polizeilicher und gerichtlicher Hürden plant Hadházy eine Großdemonstration am 1. Mai.​

Was ist das genaue Ziel der Proteste?

Laut Hadházy – dem Hauptorganisator – richten sich die Proteste nicht nur gegen die Einschränkungen von LGBTQ+-Veranstaltungen, sondern auch gegen die Möglichkeit der Regierung, die freie politische Meinung- und Versammlungsfreiheit in Ungarn beschneiden zu können.

Der Organisator der Demonstration, der unabhängige Abgeordnete Ákos Hadházy, spricht am 15. April 2025 vor dem Sándor-Palast, dem Sitz des ungarischen Staatspräsidenten.

Foto: Attila Kisbenedek/AFP via Getty Images

Der unabhängige Abgeordnete äußerte sich dazu in einem Interview mit dem Nachrichtenportal „24.hu“: „Unser Ziel ist klar. Die Regierung soll das Gesetz zurücknehmen, das die Versammlungsfreiheit einschränkt. Es geht dabei nicht nur um das Verbot der Pride Parade, sondern auch um die Verhinderung zukünftiger systemkritischer Demonstrationen.“
Hadházy äußerte zudem die Befürchtung, dass das neue Gesetz letztlich auch den Weg für die flächendeckende Einführung von Gesichtserkennungssystemen ebne. Die nun erlaubten Technologien zur Gesichtserkennung dienen dazu, Teilnehmer von Protesten einfacher zu identifizieren und zu sanktionieren.
Seiner Einschätzung nach liege genau darin der wahre Kern der jetzigen Initiative der Regierung, während alle weiteren Maßnahmen lediglich „Begleitgeräusche“ und bewusste Polarisierung seien.
Er sei besonders alarmiert davon, dass diese Systeme künftig auch zur „Prävention“ von Ordnungswidrigkeiten eingesetzt werden könnten. Hadházy sprach von einer drohenden „totalen Überwachung“, wie sie bereits in China hersche.​

Die Reaktion von Orbáns Regierung

Anfang April 2025 äußerte sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender „Kossuth Rádió“ zu den laufenden Protesten. Er erklärte: „Jeder kann seine Meinung äußern, wenn er möchte, auch mit Nachdruck.“ Aber es sei nicht akzeptabel, den Alltag der Menschen durch Brückenbesetzungen zu stören.
Orbán betonte, dass die Regierung gegebenenfalls gesetzliche Maßnahmen ergreifen werde, um sicherzustellen, dass die Rechte der nicht protestierenden Bürger gewahrt bleiben.
Auf Anfrage der Wirtschaftszeitung „hvg.hu“ teilte die Regierung ihre Position zur Gesetzesänderung zu dem Verbot von Pride-Versammlungen mit: „Trotz der Forderungen aus Brüssel wird Ungarn nicht aufgeben, Kinder vor aggressiver LGBTQ-Propaganda zu schützen. Das zuvor verabschiedete Kinderschutzgesetz dient diesem Ziel wirksam, und jeder weitere Schritt der Regierung trägt diesem Ziel Rechnung.“
In Bezug auf den Einsatz von Gesichtserkennung bei Protesten hob die Regierung die Sicherheitsvorteile hervor. Bence Rétvári, parlamentarischer Staatssekretär im ungarischen Innenministerium, äußerte sich im Parlament Ende März zu dem Thema. Er sagte, dass der Einsatz solcher Technologien heute nichts Ungewöhnliches sei. Auch beim Betreten des Parlaments werde Gesichtserkennung eingesetzt – und viele nutzen sie täglich zur Entsperrung ihrer Handys.
Laut dem Staatssekretär müssen die Strafverfolgungsbehörden mit der technologischen Entwicklung Schritt halten. Man könne nicht zu alten Methoden wie Phantombildern zurückkehren. Moderne Technik sei entscheidend für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, meinte er.
Die für den Dienstag, 22. April, von Hadházy angekündigte sechste Demonstration, die erneut mit einer Brückenblockade geplant war, wurde nun sowohl von der Polizei als auch vom Gericht abgelehnt.
Das Gericht genehmigte eine Veranstaltung nur an einem anderen Ort. In der Begründung hieß es zudem, dass zu wenige bei den früher genehmigten Protesten anwesend waren. Ebenso verbot die Polizei eine Sperrung von Brücken für Proteste am 1. Mai. Als alternativer Veranstaltungsort wurde der Lajos-Kossuth-Platz vor dem Parlamentsgebäude angeboten.
Am 22. April setzte Hadházy trotz des offiziellen Verbots ein Zeichen: Er begab sich allein „spazierend“ auf die Elisabethbrücke – gefolgt von zahlreichen Unterstützern. Die Polizei griff schließlich ein, doch es entwickelte sich eine inoffizielle Protestaktion, die zur sechsten symbolischen Brückenbesetzung wurde.
Hadházy betonte, dass sich die aktuellen Proteste von früheren Bewegungen dadurch unterscheiden, dass sie so lange fortgesetzt werden, bis konkrete politische Veränderungen erreicht werden. An den von ihm organisierten Demonstrationen beteiligen sich Mitglieder verschiedener Oppositionsparteien – insbesondere der liberalen Momentum-Bewegung und der sozialdemokratischen Demokratikus Koalíció (DK).​
Viele der Demonstranten äußerten ihre Unzufriedenheit mit der Regierung von Ministerpräsident Orbán, insbesondere im Hinblick auf Korruptionsvorwürfe und wahrgenommene Machtmissbräuche. Zudem beteiligten sich Gruppen, die eine stärkere Anbindung Ungarns an die Europäische Union befürworten oder ihre Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck bringen wollten.

Demonstranten stehen der Polizei gegenüber, während sie sich an einer Blockade auf der Kettenbrücke gegen die neueste Verfassungsänderung beteiligen.

Foto: Peter Kohalmi/AFP via Getty Images

Trotz der breiten Unterstützung innerhalb der Opposition gibt es auch andere Positionen. Péter Magyar, Vorsitzender der neu gegründeten Partei TISZA (Respekt und Freiheit) und derzeit prominentester Oppositionspolitiker, zeigte sich skeptisch. Er sagte, er halte diese Form von Protest für ineffektiv und betonte, dass sich Gesetze nur durch einen Wahlsieg im Jahr 2026 und einen anschließenden Regierungswechsel ändern ließen. Auch erinnerte er daran, dass ähnliche Initiativen in der Vergangenheit bereits gescheitert seien.
Auch auf EU-Ebene sorgt die Entwicklung in Ungarn für Aufmerksamkeit. Vor diesem Hintergrund reiste Mitte April 2025 eine Delegation von fünf Europaabgeordneten nach Ungarn, um die Lage der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit im Land zu bewerten.
Die Abgeordneten, angeführt von der niederländischen Grünen-Politikerin Tineke Strik, zeigten sich besorgt über die jüngsten Gesetzes- und Verfassungsänderungen. Sie sprachen von einer „sehr feindseligen Atmosphäre“ gegenüber der LGBTQ+-Gemeinschaft. Die Delegation rief die EU-Kommission dazu auf, beim Europäischen Gerichtshof eine einstweilige Aussetzung des umstrittenen Gesetzes zu beantragen.
Mária S. Szentmagyari ist eine ungarische Juristin mit deutschen Wurzeln und lebt im Grünen unweit von Budapest. Mit Leidenschaft und großem Interesse an geopolitischen Zusammenhängen berichtet sie für die Epoch Times über die aktuellen Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa, der Ukraine, Russland und dem Nahen Osten. Die Kommentare unter ihren Artikeln liest sie mit besonderer Neugier.

Aktuelle Artikel des Autors

Kommentare

Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.