EU-Parlament ringt um Einfluss in der Corona-Krise

Immer mehr EU-Abgeordnete fühlen sich im Zuge der Corona-Krise an den Rand gedrängt. Sie bemängeln den Einfluss des EU-Parlaments und drängen auf bessere digitale Lösungen für die Abstimmung wichtiger Gesetze.
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Ein Gerichtsdiener des Europäischen Parlaments, der Schutzmaske und Handschuhe trägt, arbeitet während einer Mini-Plenarsitzung des Europäischen Parlaments in Brüssel am 16. April.Foto: JOHN THYS/AFP über Getty Images
Von 17. April 2020

In einer Zeit der Krise haben viele Europaabgeordnete das Gefühl, dass das Europäische Parlament auf die Stummtaste gedrückt hat, schreibt die Brüsseler Zeitschrift „Politico“.

Aktuell gibt es in Brüssel nur Mini-Sitzungen zur Aufrechterhaltung der Aktivitäten. Es gibt elektronische Abstimmungen, welche per Videoverbindung ermöglicht werden. Doch gerade jetzt, wo die Abgeordneten auf einer vorwiegend virtuellen Plenartagung eine Reihe von Sofortmaßnahmen verabschieden sollen, sind immer mehr Gesetzgeber der Meinung, dass die EU-Institutionen irrelevant geworden sind.

EU-Parlament ist nicht in der Lage, „starke Signale zu senden“

„Die Zeit der Exekutive kann nur demokratisch sein, wenn diese Befugnisse vom Parlament kontrolliert werden“, sagte der deutsche Grünen-Abgeordnete Sergey Lagodinsky. „Andernfalls können wir einfach einpacken, nach Hause gehen und nichts tun.“

Moritz Körner, deutscher EU-Abgeordnete aus der Gruppe „Renew Europe“, zeigte sich besorgt darüber, dass die EU-Kammer „ein wenig an Einfluss verlieren wird“.

„Wir sind nicht in der Lage zu arbeiten und zusammenzukommen, um starke Signale zu senden“, sagte Körner zu „Politico“ mit Blick auf die Plenarsitzung am Donnerstag. „Zu dem Zeitpunkt, an dem wir das größte politische Signal aussenden müssten, wird der Saal mehr oder weniger leer sein.“

Aber abgesehen von der Abstimmung über eine Handvoll Notfallmaßnahmen und der Erhöhung des politischen Drucks auf den EU-Rat, können die Abgeordneten wenig tun, um sich in der Krise zu behaupten, stellen die Autoren Maïa de la Baume und Vincent Manancourt von „Politico“ fest.

Einerseits gibt es nur wenige Gesetzesvorlagen, welche nichts mit der Corona-Krise zu tun haben. Andererseits ist das Wesen der parlamentarischen Arbeit – die Bildung von Koalitionen und die Abstimmung in Ausschusssitzungen – entweder nicht existent oder wird aus der Ferne und unter vielen technischen Zwängen durchgeführt.

„Es wird definitiv schwieriger, Rat und Kommission zu kontrollieren“, sagte ein Parlamentsbeamter. „Die Kommission könnte möglicherweise etwas sehr Dringendes vorschlagen, und dann wäre es für das Parlament schwierig, auf normale Weise Änderungen vorzunehmen.“

Birgit Sippel, deutsche EU-Abgeordnete der Sozialdemokratischen Fraktion, sagte, das gegenwärtige System untergrabe die Fähigkeit der Europaabgeordneten, Gesetze zu verhandeln.

In normalen Zeiten „ist es nicht so, dass drei Leute am Tisch sitzen und diskutieren“, sagte Sippel der Zeitschrift. „Es gibt so viele Dinge, auf die man achten muss: Die eigene Position, die Position der anderen Fraktion. Bei allen Gruppen gibt es immer leichte Unterschiede zwischen der persönlichen Position und der Position der Gruppe. Man muss sich alle Details vom Inhalt ansehen. Man muss über seine eigene politische Strategie nachdenken. Normalerweise gibt es mehr als 20 Personen in einem Raum … das ist bei einer Videokonferenz nicht möglich“, so Sippel.

Elektronische Abstimmung auf lange Sicht nicht tragbar

Es gibt auch zunehmende Kritik von Abgeordneten des Europäischen Parlaments, dass das verwendete System zur elektronischen Abstimmung fehlerhaft und auf lange Sicht nicht tragbar sei.

In einem Brief an den Parlamentspräsidenten David Sassoli und andere hochrangige Abgeordnete forderten neun grüne Abgeordnete eine „digitale Plattform“, welche zusammen mit der E-Mail-Abstimmung zu einer „virtuellen Plenarsitzung mit einer technischen Möglichkeit zur Beantragung und mündlichen Präsentation von Änderungsanträgen“ führen könnte.

Andere Abgeordnete sagten, das Parlament sei nicht ausreichend an Entscheidungen im Zusammenhang mit dem EU-Konjunkturprogramm beteiligt gewesen. „Politico“ zufolge werfen sie Sassoli vor, sich nicht stark genug dafür eingesetzt zu haben, zu hochrangigen Treffen eingeladen zu werden. „Wo ist er an den Entscheidungen und Paketen beteiligt?“, fragte Lagodinsky.

Die Abwesenheit von Sassoli bei einem Treffen mit der Spitze der europäischen Politik – Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel, EZB-Chefin Christine Lagarde, und der Vorsitzenden der Eurogruppe, Mário Centeno – hat im März viele Europaabgeordnete aus dem Gleichgewicht gebracht, schreibt „Politico“ weiter.

Iratxe García, Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Parlament, schrieb auf Twitter, dass „das Europäische Parlament den Willen der Bürgerinnen und Bürger repräsentiert und aus diesem Grund den höchsten Respekt verdient“.

Die Aufrechterhaltung der parlamentarischen Tätigkeit erweist sich jedoch als äußerst schwierig. Die Probleme mit Videoanrufen und Home Office waren letzte Woche deutlich zu sehen, als der Ausschuss für regionale Entwicklung seine erste Sitzung seit Beginn der Krise abhielt.

Auf der Website des Parlaments erschien ein unscharfes Bild des französischen Abgeordneten Younous Omarjee und es gab nur wenige Dolmetscher, sodass einige Abgeordnete gezwungen waren, auf Englisch zu sprechen, obwohl sie normalerweise in ihrer Muttersprache sprechen. Einige Abgeordnete erschienen nicht auf dem Bildschirm, konnten keine Verbindung herstellen oder sprachen weiter, wenn sie stumm geschaltet waren, beschreibt „Politico“ die Probleme.



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