Politik ist die Kunst des Möglichen

Angela Merkel vom Bundestag zur Bundeskanzlerin gewählt
Titelbild
Angela Merkel erhielt im Schloss Charlottenburg ihre Ernennungsurkunde von Deutschlands Bundespräsidenten Horst Köhler. (AP Photo/Roberto Pfeil)
Von 22. November 2005

Sie predigt zwar nicht Blut, Schweiß und Tränen, aber sie lässt keinen Zweifel aufkommen an dem notwendigen Sparkurs ihrer künftigen Regierung. Sie trinkt zur Feier des Koalitionsvertrages Mineralwasser und kürzt entschlossen Beamtengehälter. Die Unternehmer sollten sich mit Kritik zurückhalten, besonders wenn es in ihren eigenen Betrieben nicht zum Besten stünde, sie rede ihnen schließlich auch nicht hinein – obwohl ihr manchmal danach wäre. Angela Merkel, die Frau aus dem Osten, redet Klartext, aber niemand kann jetzt schon sagen, was uns unter ihrer Kanzlerschaft erwartet. 

Eine Frau wurde heute mit 397 der 614 Abgeordnetenstimmen (612 wählten) im deutschen Bundestag zur Bundeskanzlerin gewählt, die als „mein Mädchen“ vor 15 Jahren eine politische Talent-Entdeckung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl war.

In dessen Spendenaffäre scheute sich Merkel jedoch nicht, ihren politischen Ziehvater zum Wohle der CDU zu entmachten. Wie ein rettender Engel erschien sie damals vielen Deutschen, als sie versprach, dass alles auf den Tisch käme. Und es kam auf den Tisch.

„Wer sie unterschätzt, der hat schon verloren“, dieser hochachtungsvolle Spruch über sie hat sich in den letzten Wochen und Monaten als richtig erwiesen. Mancher fiel schon ihrem strategischen Talent zum Opfer.

Da sie nach den Erfahrungen in einem kommunistischen System die Pressefreiheit als wertvolles Gut hoch hält, versprach sie kürzlich, diese auch zu schützen, „selbst wenn ich mich ärgere“. Und so hält sie es auch mit den Anstrengungen der Demokratie. Ganz nüchtern stellte sie unlängst bei dem 50-jährigen Jubiläum der Konrad-Adenauer-Stiftung fest: „Demokratie wird nicht einfach vererbt, sondern muss in jeder Generation neu erarbeitet werden.“ Demokratie sei anstrengend – aber es gebe keine bessere und freiheitlichere Staatsform. Sie wünsche sich eine „aktive Bürgergesellschaft, die zu freiwilligem Engagement“ ermutige.

Um dorthin zu kommen, kündigte sie harte Entscheidungen in der Bundespolitik an, bekräftigte aber, dass diese stets „vom christlichen Menschenbild“ geprägt sein müssten. Im internationalen Wettbewerb könne man sicher nicht so günstig wie die Konkurrenz sein, erklärte Merkel: „Aber wir müssen mindestens soviel besser sein, wie wir teurer sind.“

Sie sagte nach dem Abschluss der Koalitionsvereinbarung, dies sei kein Abschluss, sondern der Anfang einer gemeinsamen Regierungstätigkeit mit einem Partner, mit dem man fast 40 Jahre in tiefe Kämpfe verstrickt gewesen sei. Das werde nicht einfach werden, räumte sie ein. Doch hätten die Verhandlungen gezeigt, dass auch bei der SPD ein Geist der Verantwortung herrsche.

Sie erinnerte daran, dass das Ergebnis der Bundestagswahl das gewünschte Regierungsbündnis mit der FDP nicht ermöglicht habe. Eine Neuwahl aber wäre „ein verheerendes Signal“ gewesen. „Ich sehe als einzige verantwortbare Perspektive, auch aus staatspolitischer Notwendigkeit, die Möglichkeit einer großen Koalition“, betonte Merkel. Die Union stehe nach wie vor zu ihrem Regierungsprogramm. „Aber Politik ist die Kunst des Möglichen“ und müsse mit gesundem Realismus ihr Handeln den Gegebenheiten anpassen, zitierte sie Konrad Adenauer.

Union und SPD wollen nach Merkels Worten „mit Fröhlichkeit und Leidenschaft“ gemeinsam vier Jahre lang „Verantwortung tragen, Mut beweisen und eine menschliche Politik machen“. Angela Merkel, viele unterschätzen sie immer noch, und das ist manchmal eine bessere Startchance als die Überschätzung. Man erinnere sich an Rita Süssmuth, die auch zunächst nur Verachtung empfing wegen ihrer kleinbürgerlichen katholischen Herkunft. Welch kompetente und respektable Politikerin in ihr steckte, hat sie durch ihre Arbeit bewiesen, obwohl sie es gar nicht beweisen wollte. So kann man es bisher schon bei Angela Merkel sehen, sie will dienen, dem Land und seinen Menschen. Und wohl deshalb erklang es auch am Sonntag bei Sabine Christiansen: „Lasst sie doch erst mal anfangen.“ Jetzt ist es soweit. 100 Tage Schonfrist bekommt traditionell jede Regierung.    

   



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