Kolumne vom Freischwimmer: Über wen ich mich aufrege, entscheide immer noch ich

Falls Sie freiwillig und ohne äußeren Zwang meine Kolumne lesen, sind Sie selbst schuld.
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Wir haben jedoch  immer die Wahl, wie wir reagieren wollen: wir könnten uns gegenseitig hochschaukeln, oder aber jeder könnte selbst seinen Beitrag dazu leisten, dass es nicht eskaliert.Foto: iStock
Von 14. Juni 2020

Vielleicht wurden Sie aber auch von Ihrem Unterbewusstsein auf diese Seite geleitet, um sich einmal richtig zu ärgern. Zum Beispiel über meinen Schreibstil. Oder über den Inhalt.

Es geht um Ärger. Selbst gemachten. Oder den von anderen Menschen gemachten.

So wie die Wut, die aufkommt, wenn man zum Bus rennt und der Fahrer einem die Tür vor der Nase zu macht, schelmisch grinst, und dann locker los fährt. Oder über gelegentlich aufkommenden Unmut, wenn unfreundliche Sachbearbeiter ungeniert nervende Sätze bilden, die einem das Gefühl vermitteln, schikaniert zu werden.

Ärger über die Kollegen soll es in unseren Breitengraden auch schon gegeben haben. Über unangebrachte Anspielungen oder gar Mobbing. Selbstverständlich kann auch die aktive Teilnahme am Straßenverkehr und damit verbundene Handgesten für Empörung sorgen.

Ganz allgemein gesagt werden wir wütend, weil uns jemand respektlos behandelt. Menschen die unsere „Knöpfe drücken“, können auf die Dauer ganz schön anstrengend sein. Dann sagt man Dinge, die man eigentlich gar nicht so gemeint hat,und die man später eventuell bereut.

Nun soll dies aber keinesfalls eine tiefenpsychologische Sprechstunde werden.

Außerdem hat es auch immer etwas mit uns selbst und unseren Anschauungen zu tun, warum wir nun gerade genau auf dieses Verhalten, oder genau auf diese Äußerung  „anspringen“. Um das herauszufinden müsste eigentlich jeder bei sich selbst suchen, welche Ursache das hat. Dafür hat man jedoch im Alltag nicht immer die Zeit. Und manchmal möchte man einfach auch nur schnell reagieren.

Dabei sind die gebräuchlichsten Reaktionen auf wütende Menschen im allgemeinen, dass wir uns entweder zurückziehen oder zum Gegenangriff übergehen. Daran sind wir schon gewöhnt.

Man kann sich aber nicht IMMER nur zurückziehen oder IMMER gleich zum Gegenangriff blasen. Noch weniger kann man sich im Alltag andauernd in zwischenmenschlichen Kämpfen aufreiben. Das kostet zu viel Energie. Außerdem würde es in einen nicht enden wollenden Kreislauf münden, an dessen Ende alle streitenden Parteien vor Wut in die Tischkante beißen.

Wir haben jedoch  immer die Wahl, wie wir reagieren wollen: wir könnten uns gegenseitig hochschaukeln, oder aber jeder könnte selbst seinen Beitrag dazu leisten, dass es nicht eskaliert. Da man davon ausgehen kann, dass der aggressive Gesprächspartner im Moment nicht in der Lage ist, deeskalierend zu agieren, muss man eben selbst versuchen, die Wogen zu glätten. Dabei kommt mir gelegentlich der Spruch von Mahatma Gandhi in den Sinn: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“

Dies gelingt mir zugegebener Maßen noch nicht zu meiner vollsten Zufriedenheit. Aber: „Gefahr erkannt – Gefahr gebannt“. Doch mit der Zeit wird es immer besser. Dabei ist mein Motto : „Über wen ich mich aufrege, entscheide immer noch ich!“

Eine (selbst erprobte) Methode ist, auf kleinere Angriffe einfach mit Humor zu reagieren. Dadurch schaffe ich eine gewisse Distanz und signalisiere, dass ich den (vermeintlichen) Angriff nicht so ernst nehme. Dies löst wiederum Spannungen. Auch auf Sachen, die mir Angst machen und deren Ausgang ungewiss ist, reagiere ich mittlerweile mit Humor. So musste ich mich zum Beispiel vor ein paar Monaten einer schweren Operation unterziehen. Dazu musste ich zum Vorgespräch in eine Spezialklinik und der Professor erklärte mir in den schillerndsten Farben, welche Komplikationen bei dem Eingriff auftreten könnten. Da ich eher der visuelle Typ bin, tauchten in meinem Kopf während seiner Erläuterungen die blutigsten und furchtbarsten Bilder auf. Irgendwie schienen seine Horrorgeschichten kein Ende zu nehmen und ich wurde immer unruhiger.

Schließlich unterbrach ich ihn und sagte: „ach wissen Sie, Herr Professor, wenn ich Ihren Ausführungen so folge, komme ich zu dem Schluss, dass ich doch lieber eine Wunderheilung nehme“. Er schaute mich fassungslos an – aber in mir war plötzlich die Spannung raus. Durch meinen – zugegebener Maßen albernen – Einwurf hatte ich plötzlich keine Angst mehr.

„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“. (Reinhold Niebuhr)

Auch nehme ich mir gelegentlich ein Beispiel an einem Freund. Als wir einmal gemeinsam in der Stadt unterwegs waren, betraten wir einen Laden, in dem die Bedienung sehr unfreundlich war. Der gute Mann hinter der Theke steigerte sich immer mehr in seine Wut hinein und es hatte den Anschein, als wolle er uns nur benutzen, um seinen angestauten Ärger einmal loswerden zu können. Mein Freund hörte sich den aggressiven Vortrag seines Gegenübers an und lächelte dabei ganz entspannt. Als der Aggressor eine kurze Pause machte um Luft zu holen, sagte mein Freund nur ganz kurz: „Ach herje, wir wollen uns doch jetzt nicht auch noch streiten so kurz vor`m 10. Parteitag“. Plötzlich mussten wir alle grinsen. Damit war die Spannung raus und die Wogen geglättet.

Eine andere Taktik, um aufkommenden Ärger schon im Vorfeld abzuschwächen, ist die Methode der „paradoxen Intervention“. Auch damit habe ich bereits kleinere Erfolge feiern können. So auch, als sich einer meiner Jungs (9 Jahre alt) heftig darüber beschwerte, dass die Lehrerin von ihm verlangt, dass er seine Arbeit auch noch in Schönschrift schreiben soll. Ich spürte, dass es ihm dabei eigentlich gar nicht um die Schönschrift ging, sondern viel mehr darum, es überhaupt nicht schreiben zu wollen. Eine Diskussion bahnte sich an. Doch obwohl ich innerlich schon leicht genervt war, sagte ich ganz ruhig: „ Es ist mir egal, wie du schreibst. Aber du kennst ja die Regel: schöne Jungs schreiben schön und hässliche Jungs schreiben hässlich! Wie du jedoch schreiben willst, kannst du selbst entscheiden“. Burschi überlegte kurz und erwiderte: „Ich denke es ist besser wenn ich schön schreibe“.

Ständiger Streit und immer wiederkehrender Ärger schadet nicht nur uns, sondern auch unseren Mitmenschen. Mittlerweile habe ich gelernt, dass man Gelassenheit trainieren kann. Auch Humor kann gelegentlich sehr hilfreich sein. Denn das Leben ist eine Übung; eine tägliche Übung.

„Das Ärgerliche am Ärger ist, dass man sich schadet, ohne anderen zu nützen“. (Kurt Tucholsky)

Und

„Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt“. (Joachim Ringelnatz)

Ahoi

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