In Kürze:
- SPD-Fraktion beschließt Positionspapier zur Zukunft der deutschen Stahlindustrie
- Staatsbeteiligung als „letztes Mittel“ – doch staatliche Eingriffe werden bereits vorbereitet
- Forderung nach dauerhaft subventioniertem Industriestrompreis und „Buy European“-Regeln
- Hintergrund: sinkende Produktion, verschobene Projekte, steigender Konkurrenzdruck aus China und den USA
Die SPD-Fraktion im Bundestag plant zur Rettung der notleidenden deutschen Stahlindustrie, notfalls zum Mittel der Staatsbeteiligung zu greifen. Dies geht aus einem Positionspapier hervor, das die Fraktion am Dienstag, 14. Oktober, beschlossen hat, wie mehrere Medien übereinstimmend berichten. Der staatliche Einstieg ist dabei als Ultima Ratio vorgesehen – aber auch schon im Vorfeld glauben die Sozialdemokraten nicht, dass die Branche ohne staatliche Eingriffe überlebensfähig sein wird.
Keine Staatsbeteiligung im Stahlpapier der Fraktionsvorsitzendenkonferenz erwähnt
In dem Papier ging es um mögliche industriepolitische Maßnahmen zur Stärkung der Stahlindustrie. Ziel sei es, „heimische Kapazitäten zu sichern, strategische Abhängigkeiten zu vermeiden und Investitionen in klimaneutrale Produktionsprozesse zu ermöglichen“. Dazu müsse ein staatlicher Einstieg in die deutsche Stahlproduktion „in begründeten Einzelausnahmefällen eine Option sein“.
Bereits vor zwei Wochen hatte die
Fraktionsvorsitzendenkonferenz der SPD ein Positionspapier zur Stahlindustrie beschlossen. In diesem war von einer teilweisen oder vollständigen Staatsbeteiligung noch nicht die Rede. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass nicht alle SPD-Fraktionen in den Landtagen einen solchen Schritt für praktikabel halten.
Auch in der Bundestagsfraktion stehe eine Staatsbeteiligung „am Ende unserer Prioritäten“. Gedacht sei es als „ergänzendes Instrument für absolute Ausnahmefälle, nicht als Ersatz für eine aktive Industriepolitik“. So soll etwa ein „Mix aus politischen Maßnahmen“ für ein international wettbewerbsfähiges Strompreisniveau für die Stahlindustrie sorgen.
Protektionsmaßnahmen der EU sollen Rückendeckung geben
Zu den Kernpunkten der Stahlpolitik, wie sie der SPD-Fraktion vorschwebt, gehört eine Ausweitung des Bundeszuschusses zu den Stromkosten auch über 2026 hinaus. Einen „verlässlichen und wettbewerbsfähigen“ Industriestrompreis will sie ebenfalls „schnellstmöglich“ einführen. Im Ergebnis bedeutet dies eine Beibehaltung und teilweise Erweiterung von Subventionen eines nach wie vor nicht konkurrenzfähigen Strompreises.
Protektionismus soll auch im Vergaberecht eine Rolle spielen. So sollen dort klare „Buy European“-Vorgaben geschaffen werden. Auf EU-Ebene gibt es dafür bereits Rahmenrichtlinien durch den
Clean Industrial Act, der bisher nur als Vorschlag der Kommission besteht und noch nicht verabschiedet wurde. Im Kern plant die EU unter diesem Banner Standards – primär ökologischer Natur – zu definieren, um den europäischen Anbietern in Vergabeverfahren einen Vorteil zu sichern.
Die SPD rechtfertigt das Vorgehen neben dem schwierigen Marktumfeld vor allem auch mit dem Vorgehen der USA und Chinas. Die Amerikaner verlangen auch nach dem Zolldeal mit Brüssel Sonderzölle auf Stahl und Aluminium in Höhe von 50 Prozent. Gleichzeitig drängt China mit Billigprodukten auf den Markt. Jüngst hatte auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) einen Stahlgipfel im Kanzleramt angekündigt.
„Stahlstiftung“ soll „marktunabhängig“ agieren können
SPD-Wirtschaftspolitiker Sebastian Roloff begründete den Vorstoß seiner Fraktion damit, dass auch andere Länder – vor allem China – ihrer Stahlindustrie Wettbewerbsvorteile verschaffen:
„Wir dürfen heimische, gut bezahlte Arbeitsplätze nicht gefährden, indem wir uns in Abhängigkeit von massiv subventioniertem ausländischem Stahl begeben“, so Roloff gegenüber dem „Handelsblatt“.
Auch eine „Stahlstiftung“ soll aus Sicht der Sozialdemokraten kein Tabu sein. Unter deren Dach könnte eine „dauerhaft tragfähige Struktur“ entstehen. Diese soll „marktunabhängig“ agieren, „strategische Investitionen“ begleiten und „Unternehmen beim Umbau zu einer klimaneutralen Produktion“ unterstützen.
Die Politik müsse verhindern, dass verschiedene Standorte gegeneinander ausgespielt werden, heißt es im Papier der SPD weiter. Man braucht eine „Pause bei Stilllegungen von Anlagen und beim Abschalten von Hochöfen“.
Weiterer Rückgang bei Produktion und Umsätzen
In der deutschen Stahlindustrie arbeiten derzeit noch etwa 88.000 Menschen. In sogenannten stahlintensiven Branchen kommen etwa vier Millionen Arbeitsplätze dazu. Im Vorjahr schrumpfte das Auftragsvolumen zum zweiten Mal in Folge. Der Umsatz sank um 5,3 Prozent auf 45,3 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr 2025 ging es noch deutlicher abwärts – die Produktion sank um knapp 12 Prozent auf 17,1 Millionen Tonnen, wie das „Handelsblatt“ berichtete.
Unterdessen drohen Projekte zu scheitern, die als Leuchtturmprojekte im Bereich des Grünen Stahls angedacht waren. Thyssenkrupp verschiebt die Inbetriebnahme der für 2026 geplanten Direktreduktionsanlage in Duisburg vorerst auf 2027. Das Vorhaben ist mit hohen Subventionen verbunden, während der Konzern ein weitreichendes Rationalisierungsprogramm angekündigt hat.
ArcelorMittal-CEO bezweifelt Praxistauglichkeit deutscher Stahlpolitik
Im Juni verkündete
ArcelorMittal aus einem gemeinsamen Dekarbonisierungsprojekt für die Standorte Bremen und Eisenhüttenstadt auszusteigen, trotz in Aussicht stehender Fördermittel von 1,3 Milliarden Euro. Deutschland-CEO Reiner Blaschek sagte über seine Erwartungen zur Tragfähigkeit des Vorhabens:
„Die Rahmenbedingungen ermöglichen aus unserer Sicht kein belastbares und überlebensfähiges Geschäftsmodell.“
Für die Reduktion der Emissionen mit Wasserstoff seien die Vorgaben zu eng, um flexibel und profitabel genug arbeiten zu können, hieß es aus dem Vorstand von ArcelorMittal. Die noch vom ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) abgeschlossenen Klimaschutzverträge mit der Stahlbranche bewertete Blaschek als „absolut praxisuntauglich“. Neben der bis auf Weiteres bestehenden Nichtmachbarkeit eines vollständigen Umstiegs auf erneuerbaren Wasserstoff belasteten noch weitere Faktoren den Standort.