Auf dem „Tahrir-Platz Spaniens“ bahnt sich eine Revolution an

Titelbild
Demonstranten während einer Kundgebung gegen die Wirtschaftskrise und die himmelhohe Arbeitslosenrate auf dem Platz Puerta del Sol in Madrid.Foto: Pedro Armestre/AFP/Getty Images
Von 4. Juli 2011

Spanien ist zu Recht stolz auf die Paella, ein unverwechselbares Gericht, eine schmackhafte Mischung von Köstlichkeiten aus diversen Gemüsearten und Meeresfrüchten.

In politischer Hinsicht finden ähnliche Ereignisse wie auf dem Tahrir-Platz jetzt auf Madrids Puerta del Sol statt. Dort versammelte sich eine vielfältige Mischung von Aktivisten – alt, jung, männlich und weiblich, Behinderte, Einwanderer und Aktivisten aus der Westsahara. Sie schufen einen Ausgangspunkt dafür, wovon viele meinen, es käme der revolutionären Bewegung am nächsten, die dieses Land in den 1930er-Jahren erlebt hat.

Vor mittlerweile einem Monat begann die Reale Demokratie, eine Basis-Plattform, wie sie genannt wird, einen Marsch, an dem zunächst nur eine Handvoll Aktivisten teilnahmen. Inzwischen erreichte sie das Einkaufsviertel auf der Puerta del Sol, schwoll auf über 25.000 Menschen an und sorgte damit bei ihren Organisatoren, Teilnehmern und Politikern der beiden großen Parteien für Überraschung.

Allerdings verwandelte sich dieser Marsch in eine Bewegung, als viele ihrer Anhänger beschlossen, auf dem Platz zu bleiben. Sie waren zweifellos durch die Ereignisse in Ägypten inspiriert. In Kairo war sich die große Menschenmenge in der Forderung, dass Mubarak gehen muss, einig, auch wenn ihre Ursachen später auf eine zusammenbrechende Wirtschaft und Massenarbeitslosigkeit unter den jungen Menschen zurückgeführt wurden. Ihre Geschichte wurde von sozialen Medien verbreitet und in Live-TV-Sendungen ausgestrahlt.

Empörung

Die Bewegung wurde nach ihrem Twitter-Name als „#spanishrevolution“ bekannt. Dort wurden Nachrichten, Bilder und Filmmaterial der Bewegung verbreitet. Es begann mit dem Internet-Aufruf zum Protest am 15. Mai, um „Reale Demokratie jetzt!“ zu fordern. Die Demonstranten wurden „Indignados“ genannt – die Empörten.

Die Idee, die hinter ihren Aussagen und Forderungen steht, stieß in mehr als 160 Städten und Gemeinden auf Resonanz.

Der Aktivist Pablo Quiziel artikulierte das Gefühl: „Mitten in lokalen und regionalen Wahlkämpfen und mit den Plaketen der verschiedenen politischen Parteien im ganzen Land sagen die Leute auf den Straßen „genug!“ Desillusionierte Jugendliche, Arbeitslose, Rentner, Studenten, Einwanderer und andere entrechtete Gruppen ahmten ihre Brüder in der arabischen Welt nach und fordern nun ein Stimmrecht, um die Möglichkeit zu erhalten, in Würde zu leben.“

In Spanien sagten die Aktivisten, sie drückten ihre Empörung über den Zustand der Wirtschaft des Landes und die parasitäre Natur der beiden wichtigsten politischen Parteien aus. Es sind die Sozialisten (PSOE – Partido Socialista Obrero Español) und die Volkspartei der rechten Mitte (PP – Partido Popular), die weiterhin ihr bisheriges Verhalten zeigen und ihren vorhersagbaren Tanz der gegenseitigen Beschuldigungen. Es gab nur wenig Lösungsideen, während die Märkte einbrachen.

Sie prangern auch die Korruption an und fordern faire Wohnverhältnisse, Arbeitsplätze und eine transparente Regierung.

Dezentralisiert

Aber sie bewegten sich außerhalb der Wahlpolitik und schufen ein befreites Dorf mit Zelten und provisorischen Strukturen. Sie hatten keine Führer und wollte auch keine. Sie praktizierten eine Form des konsensbasierten Basisdemokratie, nämlich eine Art demokratischer Entscheidungsfindung. Es erinnerte mich an das, was ich über utopische Gemeinschaften gelesen hatte, in denen „das Volk“ Regie führt. Die Idee, die hinter ihren Aussagen und Forderungen steht, stieß bald in mehr als 160 Städten und Gemeinden auf Resonanz.

Ich kam einen Monat nach dem Ereignis, das als sogenannte 15. Mai-Bewegung begann, dorthin, und zwar fast durch einen Zufall. Auf meiner Reise nach Südafrika flog ich mit der spanischen Fluggesellschaft Iberia, musste aber einen 12-stündigen Zwischenstopp in Kauf nehmen. Als ich durch Madrid ging, ließ mich mein revolutionäres Tourismus-Gen die wunderbare Madrid-Metro nehmen und nach dreimaligem Umsteigen der Revolution gegenüberstehen, bei einer Temperatur von über 32 ° Celsius.

Ja, es war sehr sonnig. Einige der Aktivisten wie Liam, der aus Irland stammt, schmierten sich wegen der heißen Nachmittagssonne dick mit Sonnencreme ein. „Wir werden alle gebraten“, sagte er zu mir.

Obwohl viele in den Medien bereits den Nachruf dieser Bewegung geschrieben haben, scheint sie sich jedoch weiter zu entwickeln. Sie dezentralisiert sich, geht immer tiefer und organisiert Volksversammlungen in allen Stadtteilen. Mehrere Ausschüsse erarbeiten ein Programm, für das sie kämpfen werden. Viele Ideen entspringen dem gesunden Menschenverstand.

Moralische Instanz

Während Sol (der Platz) immer noch als ihre öffentliche Basis funktioniert, spielten sie seine Bedeutung bereits herunter, weil sie sich Whnblock für Wohnblock ausbreiten.

An dem Tag, als ich dort war, verließ eine kleine Abordnung den Sol, um eine Zwangsräumung zu stoppen. Nach der Konfrontation mit einem Vermieter und der örtlichen Bank schafften sie das auch. Sie stellen eine sehr große moralische Instanz dar. Denn sie sprechen über Probleme im Bereich der persönlichen Möglichkeiten, frei von politischer Rhetorik und Schwulst. Sie werfen nicht mit Parolen um sich oder handeln wie frühere Parteigänger.

Dieser Ansatz scheint für viele Sinn zu machen, die ihre Gesellschaft in der Krise sehen, in der sich die Politiker gegenseitig die Schuld geben. Die 15. Mai-Bewegung dagegen ermutigt die Bürger, ihre Beschwerden zu äußern selbst die Dinge in die Hand zu nehmen.

Sie neigen dazu, wie Anarchisten zu denken und von ihrer Selbstverwaltung als einem Prinzip der politischen Ökonomie zu sprechen.

Sie sind sich sehr klar darüber, dass sie eine herkömmliche hierarchische Partei nicht durch eine andere ersetzen möchten. Sie lehnen es ab, Führer heranzuziehen und vorzuzeigen. Ein Aktivist erzählte mir sogar, dass Entscheidungen aufgrund von allgemeiner Einigkeit quälend langsam getroffen werden und von wenigen blockiert werden können, die die Mehrheit als Geiseln halten können.

Liam erzählte mir: „Es gab Leute, die uns dafür lobten, dass wir aufstanden. Wir sagen ihnen, sie sollten nicht zu sehr an uns glauben, sondern sich mehr am Veränderungsprozess beteiligen. Wir können es nicht für sie tun.“

Die ganze lokale Presse schreibt über die Bewegung und scheint bereit, sie zum Scheitern zu erklären. Gleichzeitig berichtet sie über den freien Fall der spanischen Wirtschaft. Die Zeitung Diagonal schreibt über jede ihrer Aktivitäten, während sich Aktivisten in sozialen Medien und Blogs auf lokalen Webseiten zu Wort melden.

Eine Lokalzeitung testete die öffentliche Meinung. Sie fand viele Wähler, die von ihrer Partei befremdet und desillusioniert waren. Über das gesamte Spektrum hinweg fanden viele Menschen den Idealismus und die Energie hinter den Handlungen der Bewegung sympathisch. Ihre bloße Anwesenheit scheint Menschen zu politisieren, wenn auch nur in Form einer Diskussion über die Alternative zur Tradition, die sie repräsentieren.

Viele sind für den Stil der neuen Bewegung und die interaktive Diskussion offen. Bernarda sagte: „Die Demokratie ist hier wirklich schlecht. Es gibt zwei Parteien, aber niemand mag wirklich eine davon.“

Juan meint: „Ich denke, es ist sehr interessant, dass sich Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten und unterschiedlichen Gruppen zusammenschließen.“

Cesar stimmt zu: „Jeder hofft, dass dies nicht verschwinden wird, weil sie der Funke der Veränderung ist.“

Juan fügt hinzu: „Ich bin wirklich stolz auf uns alle.“

Artikel auf Englisch: In Spain’s Tahrir Square, a Revolution Struggles to Be Born

 

 



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