Frankreich: „Große nationale Debatte“ verschafft Macron Luft gegenüber den Gelbwesten

Tausende Debatten auf lokaler Ebene mit Spitzenpolitikern und Sympathieverluste für die Gelbwesten durch Vandalismus und antisemitische Vorfälle – auf diese Weise scheint es Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorerst zu gelingen, seine bislang größte Krise auszusitzen.
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Derzeit unter großem politischen Druck: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.Foto: Thibault Camus/AP/dpa
Von 20. Februar 2019

Wie viel die „Große nationale Debatte“, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Anbetracht der im Spätherbst des Vorjahres landesweit aufgeflammten „Gelbwesten“-Proteste ausgerufen hatte, am Ende tatsächlich bewirken wird, ist unklar.

Auch wenn die Teilnehmerzahl der Veranstaltungen regelmäßig einige Dutzend kaum überschreitet, hat sie Politiker der ersten Reihe dazu bewegt, auch in kleineren Gemeinden persönlich präsent zu sein und sich den Fragen und Anliegen der dortigen Bürger und Lokalpolitiker zu stellen. Wie die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtet, haben bislang mehr als 4000 Veranstaltungen in den vergangenen Wochen landesweit stattgefunden, weitere 3300 oder mehr sollen bis Mitte März noch folgen. Dazu kommt eine sechsstellige Zahl an Einträgen und Vorschlägen auf der dazugehörigen Internetseite.

Mehrere Volksabstimmungen am 26. Mai?

Dem angeschlagenen Präsidenten verschafft die Entwicklung jedoch Luft, zumal die Teilnehmerzahl an den Gelbwesten-Protesten in den letzten Wochen zurückgegangen ist. Zuletzt waren es landesweit nur noch 41 500 Demonstranten. Gleichzeitig erholen sich Macrons Umfragewerte wieder, obwohl insbesondere aus Paris immer noch Bilder gewalttätiger Polizeieinsätze gegen Gelbwesten die Runde machen.

Dadurch, dass Macron selbst an einer Reihe von Veranstaltungen im Rahmen der „Großen nationalen Debatte“ teilgenommen hat, ist es ihm gelungen, sein Image als abgehobener, elitärer Oberschichtenpolitiker zumindest ansatzweise zu korrigieren. Sollte er jetzt keinen Fehler begehen und beispielsweise die im November des Vorjahres für vorerst sechs Monate auf Eis gelegten Ökosteuerpläne aus der Schublade holen, könnte er die bislang größte innenpolitische Krise seiner Amtszeit überstanden haben.

Die NZZ spekuliert nun darüber, ob Macron vielleicht gar einen Befreiungsschlag der besonderen Art zum 26. Mai, dem Tag der Europawahl, wagt und einige Vorschläge, die im Zuge der Debatte geäußert wurden, dem Volk zur Abstimmung stellt.

„Wir sind ein gewalttätiges Volk, und das schon über Jahrhunderte“

Dies wäre die weitreichendste und PR-technisch wohl auch erfolgreichste Option, die Macron offen stünde. Demgegenüber wäre eine bloße Regierungsumbildung nur Oberflächenkosmetik, ein großer Dialog der Sozialpartner wie 1968 infolge ihres Bedeutungsverlustes ineffektiv und reines Aussitzen zu riskant.

Einer der zentralen Forderungen der Gelbwesten möchte Macron hingegen auf keinen Fall nähertreten, wie er auch gegenüber „Le Monde“ betont: der Volksinitiative nach Schweizer Vorbild und damit einem eigenen Initiativrecht der Bürger.

Eine Begründung dafür liefert Macron auch: Er glaube an „grundlegende Identitäten der Völker“. Frankreich sei nicht die Schweiz und auch in der Schweiz gehe nicht alles so gut wie man denken möge. Die Konkordanzdemokratie, die Strukturen, die Einwohnerzahl, die Toleranz gegenüber Ungleichheiten und viele weitere Faktoren würden beide Länder und Systeme miteinander unvergleichbar machen. Außerdem spräche eine spezifische Eigenheit des französischen Nationalcharakters gegen einen Schweizer Weg: „Wir sind ein gewalttätiges Volk, und das schon über Jahrhunderte.“

Was Macron ebenfalls in die Hände spielt, ist, dass die öffentliche Unterstützung für die Gelbwesten nicht mehr so breit ist wie zu Beginn der Bewegung. Immerhin leidet die Kaufkraft, deren Rückgang den Anlass zu den Protesten gegeben hatte, mittlerweile auch an den Folgen von blockierten Straßen, geschlossenen Geschäften in Innenstädten an Kundgebungstagen, Gewalt und Randale sowie antisemitischen Übergriffen, von denen nicht immer klar ist, inwieweit sie sich tatsächlich den Gelbwesten zuordnen lassen – die aber regierungsnahe Medien gerne in deren Kontext stellen.

Antisemitische Vorfälle: Trittbrettfahrer oder selbstgemacht?

So sah sich jüngst der bekannte Philosoph Alain Finkielkraut, der die Bewegung anfänglich unterstützt hattem in Paris am Rande eines Protests antisemitischen Pöbeleien ausgesetzt. Es mehrten sich zwar in weiterer Folge Hinweise dahingehend, dass der Verantwortliche ein radikaler pro-palästinensischer Islamist war – bereits in den Monaten zuvor waren jedoch auch mehrfach antisemitische Vorfälle und Infiltrationsversuche bekannt geworden, die einen Zusammenhang mit den Protesten aufwiesen.

Seitdem die Proteste zunehmend von gewalttätigen Ausschreitungen und antisemitischen Vorfällen überschattet werden, sind auch erste konservative Medien zu ihnen auf Distanz gegangen. Mittlerweile wollen einer jüngst veröffentlichten Umfrage zufolge gar 56 Prozent der Franzosen, dass die Proteste enden.

Es sieht im Moment danach aus, als könnte Macron mithilfe seiner „Großen nationalen Debatte“ die Gelbwesten-Bewegung fürs Erste ausbremsen. Innenpolitisch profitiert er zudem nach wie vor von den Schwächen seiner Gegner – allen voran der nach wie vor fehlenden Mehrheitsfähigkeit der Bewegung von Marine Le Pen und den Flügelkämpfen zwischen Globalisten und Souveränisten bei den konservativen Republikanern.

Politische Schritte etwa im Zusammenhang mit dem „Klimaschutz“, die vor allem auf Kosten der kleinen Leute und des Wohlstands des Landes gehen würden, könnten jedoch schneller wieder die Massen auf die Straßen treiben als Macron und seinem Kabinett lieb ist.



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