Regierungskrise in Paris
Frankreich nach Aus für 12-Stunden-Kabinett: Angst vor Instabilität und neuer Schuldenkrise
Nach nur 27 Tagen im Amt hat der französische Premierminister Sébastien Lecornu seinen Rücktritt erklärt. Der enge Vertraute von Präsident Emmanuel Macron scheiterte an den verhärteten Fronten zwischen den Parteien. Frankreich steht damit erneut ohne funktionsfähige Regierung da – und die Finanzmärkte reagieren prompt.

Premierminister Sébastien Lecornu am 6. Oktober 2025. Frankreich steckt in einer schweren Regierungskrise.
Foto: Stephane Mahe/Reuters Pool/AP/dpa
In Kürze:
- Der französische Premierminister Sébastien Lecornu tritt nur Stunden nach der Vorstellung seines Kabinetts zurück.
- Präsident Macron verliert erneut den Regierungschef; Frankreich steckt in einer tiefen Krise.
- Börsen reagieren mit Kursverlusten, Analysten warnen vor einer neuen Eurokrise.
- Eine Technokratenregierung oder erneute Neuwahlen sind unter den Optionen.
Nach dem Paukenschlag in Frankreich am Montagmorgen, 6. Oktober, hat sich der zurückgetretene Premier Sébastien Lecornu am späten Vormittag zu Wort gemeldet. Lecornu, den Präsident Emmanuel Macron am 9. September mit der Bildung einer Regierung beauftragt hatte, stellte erst am Sonntag sein Kabinett vor. Diesem gehörten Minister des zentristischen Macron-Lagers sowie erstmals aber auch der konservativen Republikaner an.
Nur etwa 12 Stunden später erklärte Lecornu jedoch bereits seinen Rücktritt. Von seinem Amtssitz, dem Hôtel Matignon, aus machte er den politischen Akteuren des Landes massive Vorwürfe. In seiner Ansprache äußerte er:
„Jede politische Partei spielt sich auf, als hätte sie ihre eigene Mehrheit im Parlament.“
Frankreich steht erneut ohne Regierungschef da
Unter den gegebenen Umständen, so Lecornu, seien „die Bedingungen nicht erfüllt“, um im Amt zu bleiben. Die Kompromisslosigkeit der beteiligten Akteure hindere ihn daran, den Regierungsauftrag in angemessener Weise auszufüllen:
„Ich war zu Kompromissen bereit, aber jede politische Partei hat von der jeweils anderen verlangt, sich vollständig ihrem Programm anzupassen.“
Präsident Emmanuel Macron hat Berichten zufolge den Rücktritt bereits angenommen. Es wird erwartet, dass er sich noch im Laufe des Tages zu den aktuellen Entwicklungen zu Wort melden wird.
Die Börse in Paris hat nach Bekanntwerden des Scheiterns der Regierung deutlich nachgegeben, gegen 10:00 Uhr lag der französische Leitindex CAC40 2 Prozent im Minus. Auch der Euro verlor rund 0,6 Prozent gegenüber dem Dollar.
In seiner Erklärung betonte Lecornu, man solle „immer das eigene Land der eigenen Partei vorziehen“. Auch wenn der zurückgetretene Regierungschef keinen davon namentlich erwähnte, interpretieren viele Medien die Aussage als Kritik an den Republikanern und Innenminister Bruno Retailleau.
Hardliner Retailleau als Buhmann
Der als Hardliner geltende Politiker galt als möglicher Verbindungsmann zum rechten Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen, um in entscheidenden Abstimmungen dessen Zustimmung abzusichern. Seit den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni und Juli 2024 verfügt kein politisches Lager mehr über eine eigene Mehrheit.
Entscheidungen bedürfen entweder einer Unterstützung aus den Reihen der Le-Pen-Partei oder des Linksbündnisses. Letzteres besteht jedoch etwa zur Hälfte aus Abgeordneten der Partei „La France Insoumise“. Die Partei von Jean-Luc Mélenchon spricht sich für ein Ende der Fünften Republik aus und positioniert sich gegen EU und NATO.
Lecornu gilt damit nicht nur als der Premierminister mit der kürzesten Amtszeit. Er ist auch der erste Regierungschef, der keine Grundsatzerklärung abgegeben hat. Die Bekanntgabe seines Kabinetts am Sonntag war jedoch nicht nur von den Begehrlichkeiten der Republikaner überschattet, die weitreichende Zugeständnisse verlangten, aber keine unverbrüchliche Loyalität zusichern wollten.
Kaum neue Gesichter dämpften Hoffnungen auf Neuanfang
Kritik regte sich auch an dem Umstand, dass sich in dem Kabinett, das für einen Neuanfang stehen sollte, sehr viele bekannte Namen wiederfanden. Unter diesen befanden sich unter anderem Ex-Premierministerin Élisabeth Borne ebenso wie die Ex-Minister Manuel Valls, Gérald Darmanin oder Agnès Pannier-Runacher.
Auch der frühere Superminister für Wirtschaft und Finanzen Bruno Le Maire war für eine Rückkehr in die Regierung vorgesehen – als Verteidigungsminister. Vielfach blieben Minister aus dem Macron-Lager, die schon in früheren Kabinetten gedient hatten, in der Regierung – maximal mit veränderten Zuständigkeiten.
Der Präsident hat nun mehrere Optionen, um auf die Unwägbarkeiten zu reagieren, die der Rücktritt von Lecornu weiter verschärft hat. Keine davon gilt als vielversprechend, um die Sorgen der Märkte zu besänftigen. Frankreich droht eine Schuldenkrise, die an die Eurozonen-Krise der frühen 2010er-Jahre erinnert.
Steht Frankreich vor einer Technokratenregierung?
Analyst Marc Perelman skizzierte gegenüber „France24“, dass Macron die Möglichkeit habe, als Reaktion auf die erneute gescheiterte Regierungsbildung eine Technokratenregierung zu ernennen. Frankreich verfüge über geeignete Personen, die diese Aufgabe wahrnehmen könnten. Sie hätten den Vorteil, nicht im Verdacht politischer Taktiererei zu stehen.
Dies könnte ihre Ausgangsposition bezüglich dringlicher Themen wie Haushalt, Schulden oder Rentensystem verbessern. Macrons Mandat als Präsident endet 2027. Allerdings wären die Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung immer noch die gleichen. Bislang sind alle Versuche, weitreichende Reformen in den genannten Bereichen auf den Weg zu bringen, an fehlenden Mehrheiten im Parlament gescheitert.
Macrons Lager verfügt auch unter Einschluss der Republikaner über keine parlamentarische Mehrheit. Daran sind alle bisher von ihm seit der Wahl im Vorjahr nominierten Premierminister gescheitert. Perelman nannte nun die Ernennung eines linksoffenen Regierungschefs oder aber eines Premiers aus den Reihen des RN als weitere Optionen. Macron hatte jedoch stets betont, der Le-Pen-Partei keine Regierungsoption bieten zu wollen. Unklar wäre auch, ob ein Premier aus den Reihen der Rechten in der Lage wäre, Mehrheiten zu organisieren.
Mélenchon fordert Rücktritt von Macron – RN will Neuwahlen
Das Linksbündnis verfügt über eine relative Mehrheit im Parlament. Rechnerisch wäre es denkbar, einen Kandidaten aus ihren Reihen zu nominieren – vielleicht sogar Ex-Präsident François Hollande. Die Linke hatte bereits seit ihrem Wahlsieg in der zweiten Runde der Parlamentswahlen im Juli 2024 gefordert, einen Regierungsbildungsauftrag zu erhalten. Nach dem Aus für Lecornu ertönt dieser Ruf aus einem Teil des Bündnisses.
Allerdings ist sich dieses nicht mehr einig. Insoumise fordert einen Rücktritt Macrons – ihr Vorsitzender Mélenchon erklärt auf X, eine Neuwahl und zwei Misstrauensvoten seien „alle umsonst“ gewesen. Sie hätten nur den Sinn verfolgt, „die Ausbeutung durch die parasitäre Oligarchie im Land“ zu fördern. Es sei an der Zeit, sie alle „rauszujagen“. Mélenchon fordert eine umgehende Vollversammlung der Spitzen des Linksbündnisses.
Der Vorsitzende des RN, Jordan Bardella, forderte Macron dazu auf, den Weg zu erneuten Neuwahlen freizumachen:
„Stabilität kann nicht ohne erneute Wahlen und ohne die Auflösung der Nationalversammlung wiederhergestellt werden.“
Auch diese wären neben einem Rücktritt, den er bislang ausgeschlossen hat, eine Option für Macron. Umfragen zufolge würde davon jedoch vor allem die Rechte profitieren. Das Regierungslager müsste hingegen ein noch schlechteres Ergebnis als 2024 befürchten.
Reinhard Werner schreibt für Epoch Times zu Wirtschaft, gesellschaftlichen Dynamiken und geopolitischen Fragen. Schwerpunkte liegen dabei auf internationalen Beziehungen, Migration und den ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen.
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