Streit um Schulintegration: Ukraine misstraut deutschem Schulsystem

Die ukrainische Generalkonsulin Iryna Tybinka will Flüchtlingskinder aus der Ukraine nicht in deutschen Willkommensklassen unterrichtet sehen. Neben der fehlenden Kontinuität sieht sie im deutschen Schulsystem zu viel Rücksicht gegenüber „russischem Imperialismus“.
Titelbild
Flüchtlingskinder aus der Ukraine im Auffangzentrum in Berlin.Foto: Maja Hitij/Getty Images
Von 23. März 2022

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Die ukrainische Generalkonsulin Iryna Tybinka hat sich gegenüber der Kultusministerkonferenz kategorisch dagegen ausgesprochen, Flüchtlingskinder aus der Ukraine über sogenannte Willkommensklassen in das deutsche Schulsystem einzugliedern.

Dies berichtet der „Tagesspiegel“. Stattdessen schlägt sie vor, die Kinder über die digitale Plattform e-school.net.ua zu unterrichten und auf den Einsatz von ukrainischen Lehrkräften zu setzen, die zusammen mit den Kindern geflüchtet seien.

Unterricht in der Ukraine „intensiver und mit höheren Anforderungen“

Tybinka will auf diese Weise sicherstellen, dass die Kinder auf Ukrainisch und nach den ukrainischen Rahmenplänen beschult werden. Dies sei kurzfristig zu bewerkstelligen, weil die Ukraine äußerst stark digitalisiert sei und die Plattform unter dem Eindruck der Corona-Pandemie ohnehin ausgebaut worden sei. Zudem seien alle Schulbücher in allen Schulfächern in digitaler Form öffentlich zugänglich.

Der Unterricht in der Ukraine, so die Diplomatin, sei „intensiver“, vollziehe sich in kürzerer Zeit als in Deutschland und habe „ebenso höhere Anforderungen“. Die Kinder würden ohnehin zeitnah nach dem Ende des Krieges wieder in die Ukraine zurückkehren. Die Sicherstellung eines kontinuierlichen Unterrichts sei gerade jetzt nötig, um den Geflüchteten einen Abschluss ihres Schuljahres oder ihrer Schulform zu ermöglichen.

Demgegenüber würden Willkommensklassen „für die ukrainischen Kinder eine Wand des Unverständnisses, das Gefühl der Minderwertigkeit und des geringen sozialen Schutzes bedeuten“.

Ukrainischer Nationalismus vs. postnationales Selbstverständnis in Deutschland?

Neben diesen formalen Bedenken mit Blick auf die ukrainischen Schulabschlüsse dürfte sich hinter der reservierten Haltung Tybinkas auch eine grundsätzliche Diskrepanz verbergen. Offenbar misstraut man in der politischen Elite der Ukraine auch den ideellen Lehrzielen des deutschen Schulsystems.

Der ausgeprägte und von strikter Abgrenzung von allem Russischen gekennzeichnete Nationalismus in der Post-Maidan-Gesellschaft der Ukraine geht vielfach nicht mit dem postnationalen Selbstverständnis des Schulsystems in Deutschland konform. Dessen Schwerpunkte wie Ökologie, Toleranz oder kritische Geschichtsaufarbeitung passen aus Sicht Tybinkas offenbar nicht zu den Prioritäten eines Volkes im Krieg.

Die Diplomatin beklagt, dass die Ukraine mit ihrer „jahrtausendealten Geschichte“ in deutschen Schulbüchern kaum eine Rolle spiele, was dem nationalen Identitätsgefühl der Kinder abträglich sein könne.

Deutsches Schulsystem schaffe zu viele „Russlandversteher“

Außerdem würden in den Lehrplänen und Richtlinien des deutschen Schulsystems „nach wie vor Russland und russischer Imperialismus“ dominieren. Dies, so Tybinka, bewirke auch „die Neigungen und das Bestreben vieler Menschen in Deutschland, Russland zu verstehen, Russlands Verbrechen zu rechtfertigen, aber auch die Angst davor, Russland irgendwie zu kränken“.

Die ukrainische Community sei sehr gut vernetzt, erklärt die Diplomatin. Dies würde es auch erleichtern, Lehrkräfte für die Kinder akquirieren zu können.

Bei den Verantwortlichen in den Kultusministerien stößt Tybinka allerdings auf wenig Verständnis. Die Bildungsverwaltung arbeite zwar auch daran, „anstehende ukrainische Schulabschlüsse zu beachten“, heißt es etwa aus dem Berliner Senat. Allerdings widerspricht etwa die selbst als bosnisches Flüchtlingskind nach Berlin gekommene SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasic bereits der Einschätzung, dass die Rückkehr der ukrainischen Flüchtlinge schon zeitnah zu erwarten wäre.

Gegenüber dem „Tagesspiegel“ erinnert sie daran, dass „die Annahme, dass die Kinder schnell wieder weg sind, bisher bei keiner einzigen Fluchtbewegung bewahrheitet hat“. Am 21. März sind dem Konzept der Senatsverwaltung zufolge die ersten Unterrichtseinheiten für ukrainische Schulkinder in „Willkommensklassen“ erfolgt.



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