Ampel will Wahlrecht ändern: Direkt gewählte Mandate würden schwächer

Die Ampelkoalition will das Wahlrecht ändern, um den Bundestag zu verkleinern. Der Entwurf würde Listen auf Kosten direkt gewählter Abgeordneter stärken.
Blick in den Plenarsaal des Bundestags zu Beginn der Sitzungswoche. Mit der Wahlrechtsreform, die SPD, Grüne und FDP vorschlagen, soll der Bundestag auf seine Regelgröße schrumpfen.
Blick in den Plenarsaal des Bundestags zu Beginn der Sitzungswoche. Mit der Wahlrechtsreform, die SPD, Grüne und FDP vorschlagen, soll der Bundestag auf seine Regelgröße schrumpfen.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 13. März 2023

Die Parteien der Ampelkoalition haben sich offenbar auf ein neues Wahlrecht zum Bundestag geeinigt. Die geplanten neuen Bestimmungen sollen schon bei der Bundestagswahl 2025 zum Einsatz kommen. Ziel ist es, die Anzahl der Abgeordneten zu reduzieren. Zuletzt war diese auf 736 angestiegen – während das bestehende Wahlsystem eigentlich von 598 ausgeht.

Keine getrennte Auszählung von Erst- und Zweitstimmenmandaten

Grund dafür ist das System von Erst- und Zweitstimmen. In 299 Stimmkreisen zieht der stimmenstärkste Erststimmenkandidat direkt in den Bundestag ein. Die übrigen 299 Sitze sind nach dem Sainte-Laguë-Verfahren je nach Zweitstimmenanteil unter allen Parteien oberhalb der Fünf-Prozent-Hürde aufzuteilen.

An der Zuteilung nehmen auch Wahlvorschläge teil, die keine fünf Prozent der Zweitstimmen, aber drei Direktmandate erreicht haben. Deshalb ist auch die Linkspartei weiterhin im Bundestag vertreten, obwohl sie 2021 nur noch auf 4,9 Prozent der Zweitstimmen gekommen war.

Die Verteilung erfolgt jedoch nicht wie beim Grabenwahlsystem unabhängig voneinander und ohne Verrechnung. In einem solchen Fall würden lediglich die 299 Zweitstimmenmandate nach Stimmenanteil vergeben, was größere Parteien mit vielen Direktmandaten bevorzugen würde. Vielmehr erfolgt die Mandatsverteilung bezogen auf die Gesamtsumme der zu vergebenden Sitze.

Es kommt deshalb regelmäßig zu Situationen, in denen einzelne Parteien bereits mehr Direktmandate erringen konnten, als ihnen gemäß Zweitstimmenanteil überhaupt Sitze zustünden. Diese kommen ihnen in Form von Überhangmandaten zugute. Allerdings profitieren in weiterer Folge die übrigen Parteien von Ausgleichsmandaten, die ihnen zukommen, bis die Mandatsverteilung wieder dem Verhältnis der Zweitstimmen entspricht.

Reformiertes Wahlrecht soll Höchstzahl an Mandaten garantieren

Die zunehmende Zersplitterung des deutschen Parteiensystems bildete sich zuletzt auch in der Mandatsverteilung ab – und damit auch in der Größe des Bundestages. Nach wie vor behalten die früheren großen Volksparteien CDU, CSU und SPD in den meisten Direktstimmkreisen die Oberhand. Gleichzeitig sind ihre bundesweiten Zweitstimmenanteile auf zum Teil deutlich unter 30 Prozent gesunken.

Dies hatte zur Folge, dass immer mehr Überhang- und Ausgleichsmandate erforderlich waren, um die Mandatsverteilung dem Zweitstimmenanteil anzupassen. Nach der Bundestagswahl 2013 waren 631 Abgeordnete im Bundestag vertreten – FDP und AfD verfehlten damals den Parlamentseinzug. Im Jahr 2017, als sieben Parteien dem Bundestag angehörten, stieg die Zahl bereits auf 709. Im Jahr 2021 wuchs das Parlament erstmals auf die Rekordgröße von 736 Abgeordneten an.

Keine Ausgleichs- und Überhangmandate mehr

Künftig sollen dauerhaft 630 Abgeordnete im Bundestag vertreten sein – unabhängig vom Verhältnis zwischen Erststimmenmandaten und Zweitstimmenverteilung und wie gehabt auch der Wahlbeteiligung.

Was der Ampelkoalition vorschwebt, geht eher in die Richtung eines inversen Grabenmodells: Es soll künftig keine Ausgleichs- und Überhangmandate mehr geben. Geht die Zahl der direkt errungenen Mandate in den 299 Einzelstimmkreisen über jene hinaus, die einer Partei nach dem Zweitstimmenergebnis zustünden, ginge dies auf Kosten der direkt Gewählten.

Zwar sollen insgesamt 32 Mandate mehr zur Verteilung kommen, als der Summe aus jeweils 299 Direkt- und Listenmandaten entspricht, hat eine Partei dennoch mehr Direktmandate errungen als ihr insgesamt an Sitzen zustünde, fielen die direkt gewählten Mandate mit den wenigsten Stimmen weg.

Neues Wahlrecht könnte Macht der Parteiapparate weiter stärken

Vor allem aus CDU und CSU kommt scharfe Kritik an dem Konzept, das Erststimmensiegern nicht automatisch auch die Ausübung ihres Mandats garantiert. CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei nennt das Vorgehen „verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch problematisch“. Zudem werde es „zu massiven Akzeptanzproblemen führen und der Demokratie in unserem Land schaden“.

Politikwissenschaftler wie Thomas Gschwend von der Universität Mannheim betonen, auch über Listen gewählte Abgeordnete blieben ihrer Region verbunden. Deshalb sei eine „künstliche Überhöhung“ des Direktmandats unangebracht.

Skeptiker dürfte dies jedoch nicht überzeugen. Sie sehen eine weitere Stärkung der Parteien auf Kosten der Bürger. Indirekt bestätigt Gschwend diese auch gegenüber dem ZDF, wenn er erklärt, direkt Gewählte fühlten eine besondere Loyalität gegenüber ihrem Wahlkreis. Deshalb entschieden sie sich häufig auch gegen die Parteilinie. Es würde entsprechend „bei großen Gesetzesvorhaben […] für Parteien schwieriger, eine Mehrheit zu finden“.

Kritiker eines immer weiter ausufernden Parteienstaates hoffen genau auf diesen Effekt. Bei direkt gewählten Abgeordneten wäre die Hemmschwelle höher, umstrittene Vorhaben ihrer Parteien mitzutragen, weil sie wiedergewählt werden wollten. Demgegenüber sei die Liste tendenziell eine Spielwiese für Personen, die vor allem im Parteiapparat beliebt wären.

Weiterhin herausragende Einzelergebnisse – aber auch mehr Zufallsmehrheiten

Allerdings sind in vielen Fällen Direktkandidaten auch über die Landeslisten abgesichert. Zudem steigt der Anteil jener direkt gewählten Abgeordneten, bei denen sich mit kritischem Blick durchaus von einer „Zufallsmehrheit“ sprechen lässt.

Zwar gibt es die Parteihochburgen immer noch, in denen Direktkandidaten ein souveränes Ergebnis im Stimmkreis hinter sich haben. In Aurich-Emden kam beispielsweise Johann Saathoof auf 52,8 Prozent. Für die CDU erzielte etwa Gitta Connemann in Unterems 44,4 Prozent der Erststimmen. Bei den Grünen verteidigte Cem Özdemir mit 40 Prozent sein Mandat in Stuttgart I. Der AfD-Kandidat Tino Chrupalla gewann seinen Stimmkreis in Görlitz mit 35,8 Prozent und Gregor Gysi seinen für die Linkspartei in Treptow-Köpenick mit 35,4.

Bei der Bundestagswahl gab es zahlreiche Wahlkreise, bei denen den Kandidaten weniger als 30 Prozent der Erststimmen für einen Gewinn des Direktmandats reichten. In 13 Fällen gewannen Politiker*innen ihre Wahlkreise sogar mit weniger als 25 Prozent der Stimmen. Den niedrigsten Wert hatte der Wahlkreis Dresden II – Bautzen mit 18,6 Prozent (Lars Rohwer, CDU). Die CDU kam dort nur auf 13,8 Prozent der Zweitstimmen. Offenbar gewann sie den Stimmkreis durch Leihstimmen der Anhänger anderer Parteien, die den Einzug des AfD-Kandidaten Andreas Harlaß verhindern wollten.

Künftig mehr Wahlabsprachen in Direktwahlkreisen?

Thorsten Frei befürchtet nun, es werde „insbesondere in hart umkämpften Wahlkreisen in den Städten und in vielen Regionen im Osten […] künftig keine direkt gewählten Bundestagsabgeordneten mehr geben“. Ebenso wäre es jedoch auch denkbar, dass es mehr Stimmkreise geben wird, in denen die FDP zugunsten der Union auf einen Direktkandidaten verzichtet oder es Absprachen zwischen SPD und Grünen gibt.

Die Linkspartei nimmt vor allem Anstoß daran, dass die Grundmandatsklausel künftig wegfallen soll. Demnach wären Parteien, die bundesweit weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erlangen, grundsätzlich nicht mehr an der Mandatsverteilung teilnehmen. Dies würde auch dann gelten, wenn sie mindestens drei Direktmandate erringen.

Zwei der drei Direktmandate der Linken sind lediglich mit Ergebnissen unter 30 Prozent zustande gekommen. Es wäre denkbar, dass diese nach den neuen Regeln durch den Rost fallen würden. Allerdings betrug auch der bundesweite Zweitstimmenanteil der CSU 2021 nur noch 5,2 Prozent. In ihrem Fall liegen die meisten Wahlkreisergebnisse jedoch deutlich höher als 30 Prozent.

Sollte die Ampelkoalition das neue Wahlrecht zum Bundestag tatsächlich in der von ihr geplanten Form durchsetzen, droht die Opposition jetzt schon mit dem Gang vor das Bundesverfassungsgericht.



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