Bayern-Wahl Analyse: CSU franste nach links und rechts aus – CDU könnte in Hessen ähnliches Schicksal drohen

Während die Grünen mit 17,5 Prozent in Bayern am Ende unter den letzten Prognosen geblieben sind, profitierten die Freien Wähler offenbar in letzter Minute von taktischen Wählern, die eine schwarz-grüne Koalition fürchteten. Dieser Umstand verhinderte auch ein höheres AfD-Ergebnis. Auch eine prominente Persönlichkeit aus dem Privatfernsehen wird künftig im Maximilianeum sitzen.
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Der bayerischen Landesverfassung zufolge muss nun innerhalb von vier Wochen eine neue Regierung gebildet werden.Foto: iStock
Von 15. Oktober 2018

Die Bayernwahl ist vorbei, die CSU hat ein ernüchterndes Ergebnis eingefahren – der prognostiziere Linksruck ist dennoch ausgeblieben. Zwar ist es den Grünen gelungen, in Großstadtbezirken wie München-Mitte oder München-Schwabing Rekordergebnisse zu erzielen, insgesamt aber blieben sie trotz eines beispiellosen medialen Rückenwindes mit 17,5 Prozent unter den Prognosen, die sie schon fast bei 20 Prozent gesehen hatten.

Außerdem stehen den grünen Zugewinnen von 8,9 Prozent Verluste der SPD in Höhe von 10,9 Prozent gegenüber. Auch unter Berücksichtigung der 1,1 Prozent, die „Die Linke“ dazugewonnen hat, haben die Parteien links der Mitte insgesamt an Prozentpunkten verloren. Demgegenüber blieb die CSU mit 37,5 Prozent immerhin noch deutlich über den letzten desaströsen Umfrageergebnissen vor der Wahl. Diese hatten einen Absturz auf bis zu 33 Prozent vorausgesagt und so wohl auch noch eine Mobilisierung bewirkt. Mit 5,04 Millionen Gesamtstimmen hat die CSU dank gestiegener Wahlbeteiligung immerhin noch mehr Wähler an sich gebunden als bei der Wahl 2008, wo sie mit 43,4 Prozent eine damals als historisch betrachtete Niederlage eingefahren hatte.

Richter Alexander Hold als künftiger Justizminister?

Die Freien Wähler, die auf den letzten Metern noch zahlreiche Leihstimmen von Bürgern bekommen hatten, die eine grüne Regierungsbeteiligung fürchteten, konnten um 2,6 Prozent auf 11,6 zulegen. Der aus dem Fernsehen bekannte Richter Alexander Hold, der für die FW in Kempten 21,4 Prozent der Erststimmen holte und über die schwäbische Bezirksliste in den Landtag einziehen wird, hat seine Vorstellung darüber, wie es in Bayern weitergeht, gegenüber „Allgäu online“ hinreichend deutlich gemacht: „Mehr als die Hälfte der Wähler möchte eine bürgerliche Regierung.“ Mehrere bayerische Zeitungen handeln ihn jetzt schon als möglichen künftigen Minister. Das Justizressort würde naheliegen, andererseits sieht Hold auch in anderen Bereichen Handlungsbedarf: „Es wird Zeit, Alltagsprobleme wie Pflege und Wohnungsnot anzupacken.“

Der bayerischen Landesverfassung zufolge muss nun innerhalb von vier Wochen eine neue Regierung gebildet werden. Auch dieser Umstand dürfte die Christlichsozialen dazu veranlassen, eine Koalition mit den konservativen Freien Wählern anzustreben, statt durch eine Annäherung an die Grünen das ländliche Publikum weiter zu vergrätzen.

Der FW-Erfolg verhinderte offenbar auch ein höheres Ergebnis der AfD, die auf Anhieb 10,2 Prozent erlangte. Die FDP, die in Bayern eine dezidiert gegen grüne Ideen gerichtete, ordoliberale Politik verfolgt, konnte mit einem Plus von 1,8 Prozent in den Landtag zurückkehren. In Summe also gewannen die bürgerlichen Parteien sogar noch mehr dazu als die linksgerichteten.

CSU franste nach links und rechts aus

Während die SPD deutlich verlor, wuchsen die grünen Bäume außerhalb der Großstädte nicht in den Himmel. Dabei haben die beiden im Landtag vertretenen Linksparteien nicht einfach Stimmen getauscht. Die Grünen konnten 210 000 Stimmen von der SPD holen, 200 000 aber auch von der CSU – dabei wohl nicht zuletzt aus dem Lager progressiver Angehöriger der Kirchen, die Bundesinnenminister Horst Seehofer kritische Äußerungen über die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin Angela Merkel übelnahmen.

Andererseits wanderten auch 180 000 frühere CSU-Wähler aus diametral entgegengesetzten Gründen zur AfD. Die Rechtskonservativen konnten zudem 170 000 vormalige Nichtwähler für sich mobilisieren – 50 000 mehr als die Grünen – und 220 000 frühere Wähler sonstiger Parteien, etwa der Bayernpartei, die nur noch auf 1,7 Prozent kam (minus 0,4 Prozent), oder der nicht mehr angetretenen Republikaner (2013: 1,0 Prozent). Ihre besten Ergebnisse erzielte die AfD in traditionell ländlichen CSU-Hochburgen Niederbayerns, etwa in Regen/Freyung-Grafenau mit 16,6 Prozent. In der Grünen-Hochburg München-Mitte (42,5 Prozent) schnitt die Rechtspartei am schlechtesten ab (3,7 Prozent).

Publizist und Medien-Manager Gabor Steingart betrachtet das Wahlergebnis in Bayern in seinem „Morning Briefing“ vor allem als Absage an die Große Koalition in Berlin:

„Das gesamte Berliner Ensemble, das monatelang durch Bayern tourte, ist beim Publikum durchgefallen. Die Stimmenverluste von CSU und SPD sind die Buhrufe des Bürgertums. Man muss kein Politikwissenschaftler sein, um zu erkennen: Deutschland wird nicht links und nicht rechts regiert, sondern einfach nur schlecht. Das Drehbuch ist wirr, die Hauptdarsteller mit Statisten besetzt.“

Steingart: Nahles bietet „Klassenkampf zum Schnäppchenpreis“

Die Wähler in Bayern, meint Steingart weiter, hätten „ihre Reifeprüfung bestanden“. Sie seien „nicht die Opfer der Veränderung, sondern deren Quelle“. Die Wahlbeteiligung sei von 63,9 Prozent auf gut 72 Prozent angestiegen. Das typische Politikerverhalten – alles hören, nichts verstehen – hätten sie nicht mehr als Marotte hingenommen.

„Das Ziel der Bürger“, so das Fazit Steingarts, „ist nicht die Überwindung der Demokratie, sondern die Überwindung ihrer Erstarrung. Die Menschen durchschauen, dass Politiker wie Seehofer nicht nach Lösungen suchen, sondern nach Streit. Es gibt offenbar eine Obergrenze für Selbstverliebtheit.“

Für die SPD-Bundesvorsitzende Andrea Nahles, deren Partei in Bayern unter die Zehn-Prozent-Marke gerutscht ist, hatte der Publizist hingegen nur Spott übrig:

„Es gibt kein einziges politisches Problem, für das sie nicht eine billige Parole anzubieten hätte. Sie hat die SPD in ein politisches Outlet-Center verwandelt, in dem die Restposten der jeweils letzten Saison angeboten werden. Klassenkampf zum Schnäppchenpreis. Und auch der Kampfanzug gegen Rechts, den die Weimarer SPD unter Kanzler Hermann Müller hätte tragen sollen und nicht trug, wird 73 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur als Second-Hand-Klamotte angeboten.“

Steingart rechnet mit einem baldigen Versinken von Nahles und Seehofer in die Bedeutungslosigkeit:

„Seehofers Zeit ist abgelaufen, die von Nahles hat gar nicht erst begonnen. In den Hinterzimmern der Partei-Präsidien wartet auf beide schon die Guillotine.“

CDU könnte in Hessen ähnliches Schicksal drohen

Die „Welt“ mutmaßt in ihrer Analyse, dass in 14 Tagen die CDU in Hessen ein ähnliches Debakel erleiden könnte. Derzeitige Umfragen ließen das schlechteste Ergebnis der Kanzlerpartei seit 1966 erahnen. Torsten Krauel schreibt:

„Ein disziplinierter CDU-Landesverband, der mit den Grünen regiert und Merkel unterstützt, verliert genauso viele Stimmenanteile wie eine schlingernde CSU, die die Grünen und Merkel bekämpft. Wenn das am 28. Oktober tatsächlich so kommt, dann hat die hessische CDU seit der Übernahme des CDU-Bundesvorsitzes durch Angela Merkel 2000 nahezu die Hälfte der Wähler verloren.“

Solange Angela Merkel im Kanzleramt sitze, werde die Union verlieren – gleichgültig in welchem Bundesland, gleichgültig mit welchem Koalitionspartner.

Auch für die SPD hat der Chefkommentator keine besseren Nachrichten:

„Die SPD redet nur noch von Sozialpolitik und davon, wie schrecklich Trump sei. Das tut die Linkspartei auch und dümpelt folgerichtig bei zehn Prozent dahin. Der SPD fehlt jede erkennbare Zukunftsvorstellung zu Themen wie Wirtschaft, Außenpolitik, Digitalisierung, Klimaschutz – eine Zukunftsvorstellung für die Bevölkerung auch jenseits von Hartz IV, eine Zukunftskonzeption in dem Sinne, dass die gesamte Partei sie trägt.“

Schwarz-Grün und Jamaika als Wählerschreck

Während die Freien Wähler in Hessen eine ungleich geringere Rolle spielen als in Bayern, könnte die CDU vor einer ähnlichen Entwicklung stehen wie im Freistaat: Wer einen linksbürgerlichen Kurs unterstützt, könnte gleich auf das grüne Original zurückgreifen, wer diese – medial stark favorisierte – Form der Koalition mit der Speerspitze progressiver Gesellschaftsveränderung für einen Sündenfall hält, wird von der CDU möglicherweise zur AfD abwandern. Bereits in Hamburg war die CDU für eine Koalition mit den Grünen 2011 mit dem Sturz in die Bedeutungslosigkeit honoriert worden, im Saarland kassierte die FDP die Prügel für das „Jamaika“-Experiment.

Die „Welt“ sieht unterdessen auch die Ambitionen von CSU-Kandidat Manfred Weber, EU-Kommissionspräsident werden zu wollen, gefährdet. Sollte das CSU-Resultat bei der Europawahl im kommenden Frühjahr ähnlich schlecht ausfallen, könne Bayern „in Brüssel nicht mehr hinter den Kulissen auftrumpfen“. Und Merkel, deren bundesweite Ergebnisse sehr von der CSU mit abhingen, müsste bei einer Europa-Niederlage ernsthaft die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen fürchten.

Im Fall weiterer Niederlangen könnte die Europawahl, so die „Welt“, auch zum ersten Erfolg eines Neustarts werden – mit neuen Namen an der Unionsspitze. Krauel meint:

„Es ist natürlich ein frommer Wunsch, dass die CSU und die CDU sich brav an Stabilitätsvorgaben von oben halten. Irgendwann kocht dort auch einmal das Wasser über – und sei es bei der Erkenntnis, dass der Wiederaufstieg der CSU 2013 zwingend den Wechsel des Spitzenpersonals nach der Niederlage 2008 zur Voraussetzung hatte. Nur würde die Union solche Diskussionen eben gern bis zum hessischen Wahlabend vermeiden. Und die SPD erst recht.“



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