Flüchtlingspolitik: Zerbricht die große Koalition schon nach knapp 100 Tagen?

Zerbricht die große Koalition schon nach knapp 100 Tagen? Der Streit zwischen CDU und CSU über die Flüchtlingspolitik stellt auch die Union vor eine Zerreißprobe. Und der dritte Koalitionspartner ist ebenfalls in Sorge.
Epoch Times15. Juni 2018

Im eskalierten Machtkampf zwischen CDU und CSU über die Flüchtlingspolitik stehen die Zeichen weiter auf Konfrontation.

Die CSU dringt bis Montag auf eine Entscheidung, andernfalls droht Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit einem Alleingang. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will dagegen in den kommenden zwei Wochen eine Lösung auf europäischer Ebene suchen. Einem Bericht zufolge soll nun der Bundestagspräsident zwischen den verkrachten Schwesterparteien vermitteln.

Mit einem Platzen der Koalition rechnet Merkel nach eigenen Worten nicht. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat sie zwei Kompromissangebote der CSU abgelehnt. Die CSU habe bei dem Krisentreffen am Mittwochabend im Bundeskanzleramt zunächst vorgeschlagen, sofort mit Zurückweisungen weiterer Asylbewerber an den deutschen Grenzen zu beginnen – dies aber bei einem Erfolg des EU-Gipfels in zwei Wochen wieder zu beenden. Außerdem habe die CSU den Vorschlag gemacht, jetzt schon weitere Zurückweisungen an den Grenzen zu beschließen – aber nur für den Fall, dass die Verhandlungen auf europäischer Ebene scheitern. Auch diesen zweiten Vorschlag habe die Kanzlerin abgelehnt, hieß es aus CSU-Kreisen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel am Ende eines Tages voller Zerreißproben. Foto: Bernd von Jutrczenka

Nach Informationen der „Rheinischen Post“ haben die CDU-Spitze und Unionsfraktionschef Volker Kauder nun Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) darum gebeten, mit der CSU-Führung in den kommenden Tagen eine Kompromisslinie auszuloten. Schäuble habe in der Flüchtlingspolitik trotz seiner Loyalität zur Kanzlerin immer wieder eine kritische Haltung eingenommen und besitze auf beiden Seiten Glaubwürdigkeit, hieß es zur Begründung. Zu einem Gespräch zwischen Kauder (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt soll es demnach erst am Montag nach den Parteigremiensitzungen kommen, berichtet die Zeitung unter Berufung auf Angaben aus der CDU-Führung.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder verteidigte am Donnerstagabend in den ARD-„Tagesthemen“ das Vorgehen der CSU. Wenn man den Satz ernst nehme, dass sich 2015 nicht wiederholen dürfe, brauche man eine grundlegende Veränderung – und dazu gehöre die Sicherung der Grenzen. Es gehe dabei nicht um Eitelkeiten, sondern darum, „was richtig ist“. Zu einem möglichen Bruch der Koalition sagte Söder: „Wir wollen auf keinen Fall riskieren, Glaubwürdigkeit zu verlieren.“

Keine besten Freunde: Die Kluft zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer wird immer tiefer. Foto: Michael Kappeler

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther sagte im ZDF-„heute journal“: „In der Tat ist der Konflikt groß. Es war heute ein gebrauchter Tag für die Union. Aber was alle eint, ist, dass die Unionsfamilie zusammenbleiben muss.“

Seit Tagen streiten CDU und CSU darüber, ob auch Asylbewerber ohne Papiere und solche, die bereits in anderen EU-Ländern als Asylbewerber registriert sind, nicht mehr über die deutsche Grenze gelangen dürfen. Die CSU will diese künftig zurückweisen, Merkel lehnt dies ab. Lediglich bei der Zurückweisung von Personen, deren Asylantrag in Deutschland bereits abgelehnt wurde, signalisierte das CDU-Präsidium am Donnerstag Kompromissbereitschaft: Diese sollen bei einem zweiten Versuch der Einreise sofort zurückgewiesen werden. Das betrifft allerdings ohnehin nur sehr wenige Menschen.

Raum für Kompromisse in dieser Sache sieht der CDU-Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten nicht. „Die gesamte Politik besteht aus Kompromissen, aber die Frage, ob wir an der Grenze bestimmte Personengruppen abweisen, kann nur mit Ja oder Nein beantwortet werden“, sagte er der „Heilbronner Stimme“. Die Unionsfraktion sei klar auf der Seite Seehofers und werde seinem sogenannten Asyl-Masterplan zustimmen, falls dieser zur Abstimmung gestellt würde. Zwar sei eine europäische Lösung immer die bessere, sagte von Stetten. „Aber auf diese warten wir bereits seit zweieinhalb Jahren – und deshalb muss jetzt gehandelt werden.“

Dieses Selfie von Bundeskanzlerin Merkel mit einem Flüchtling ging im Herbst 2015 um die Welt. Jetzt könnte die Bundesregierung über die Flüchtlingspolitik stoplpern. Foto: Bernd von Jutrczenka

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) warnt davor, an der Grenze Schutzsuchende abzuweisen, die bereits in anderen EU-Ländern registriert sind. „Deutschland ist verpflichtet, bei Schutzsuchenden, die an der Grenze um Asyl nachsuchen, zu prüfen, welches Land zuständig ist. Jedenfalls für die Dauer dieser Prüfung muss die betreffende Person auch bleiben dürfen“, sagte der Leiter des UNHCR in Deutschland, Dominik Bartsch, der „Welt“.

Am heutigen Freitag steht das Thema Flüchtlinge auch im Bundestag auf dem Programm. Geplant ist eine Abstimmung zum Thema Familiennachzug. Außerdem soll es eine Aktuelle Stunde zur Flüchtlingspolitik geben.

Das Verhältnis der beiden Alphatiere Angela Merkel und Horst Seehofer ist zerrüttet wie lange nicht. Foto: Kay Nietfeld

Der Koalitionspartner SPD betrachtet die Entwicklung mit Sorge. „Die Lage im Streit in der Union ist offenbar ernst“, sagte Bundesjustizministerin Katarina Barley der „Augsburger Allgemeinen“. Sie warnte vor einer schweren Koalitionskrise und betonte, dass ihre Partei dabei nicht über die mit der Union vereinbarten Punkte hinausgehen werde. „Die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag müssen eingehalten werden.“ SPD-Vize Malu Dreyer nannte das Verhalten der CSU „menschlich gesehen wirklich unterirdisch“.

Er hat es geschafft: Ein somalischer Flüchtling hält eine Aufenthaltsgestattung in den Händen. Foto: Arne Dedert

Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden sieht im Streit über die Asylpolitik einen Kampf „um das bundespolitische Überleben“ der CSU. Die Partei wisse, dass die Migrationsfrage das zentrale innenpolitische Thema sei, sagte Patzelt der „Huffington Post Deutschland“.

Erste Politiker bringen für den Fall eines Scheiterns auch wieder eine Jamaika-Koalition ins Gespräch. „Wir Liberalen stehen bereit“, sagte Thüringens FDP-Landeschef Thomas Kemmerich den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). (dpa)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion