Höchststrafe für Hauptangeklagten Stephan E. in Lübcke-Mordprozess

Siebeneinhalb Monate dauerte der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, nun wurde das Urteil verkündet.
Titelbild
Der Hauptangeklagte Stephan Ernst (r) steht an einem Prozesstag im Dezember 2020 hinter der Anklagebank neben seinem Anwalt Mustafa Kaplan.Foto: Boris Roessler/dpa/dpa
Epoch Times28. Januar 2021

Im Mordprozess um den Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wurde heute (28. Januar) das Urteil verkündet.

Der Hauptangeklagte Stephan E. wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main stellte in seinem Urteil wegen Mordes am Donnerstag zudem die besondere Schwere der Schuld des 47-Jährigen fest. Demnach wird außerdem die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach der Haftverbüßung vorbehalten.

Der Mitangeklagte Markus H. wurde zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main sprach den 44-Jährigen am Donnerstag wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz schuldig. Vom Anklagevorwurf der psychischen Beihilfe zum Mord an Lübcke sprachen die Richter ihn hingegen frei.

Seit Juni vergangenen Jahres verhandelt der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt gegen den mutmaßlichen Täter Stephan Ernst und den wegen Beihilfe angeklagten Markus H. Die Bundesanwaltschaft geht von einem rechten Motiv aus. Beide Angeklagte waren viele Jahre in der rechten Szene aktiv.

Der 47 Jahre alte Deutsche Ernst soll Lübcke im Juni 2019 auf der Terrasse von dessen Wohnhaus erschossen haben. H. soll ihn politisch radikalisiert haben. Ernst wird außerdem versuchter Mord an einem irakischen Flüchtling vorgeworfen, der im Januar 2016 bei einem Messerangriff schwer verletzt wurde.

Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer lebenslange Haft und anschließende Sicherungsverwahrung für Ernst und neun Jahre und acht Monate Haft für H. gefordert. Die Verteidiger von Ernst plädierten auf Totschlag, während die Anwälte von H. einen Freispruch für ihren Mandanten erreichen wollen.

Der Nebenklagevertreter, der die Witwe und die beiden Söhne Lübckes in dem Prozess vertritt, forderte hingegen, auch H. solle als Mittäter wegen Mordes verurteilt werden. Die Hinterbliebenen Lübckes glauben der Aussage Ernsts vor Gericht, auch H. sei mit am Tatort gewesen. Ernst hatte mehrere unterschiedliche Versionen der Tat gestanden.

Der Senat folgte in seiner Urteilsbegründung den Angaben E.s aus seinem ersten Geständnis vom Juni 2019. Auf dieser Einlassung basierte auch in großen Teilen die Anklage der Bundesanwaltschaft. Die Angaben seien glaubhaft, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel. E. habe das Geständnis auf eigenen Wunsch und ohne anwaltliche Begleitung abgelegt.

Die Angaben seien „detailreich, lebhaft und in sich stimmig“. Lediglich seine Verneinung, Lübcke nach dem Schuss berührt zu haben, sei ein Widerspruch. Es sei durchaus möglich, dass er das bei seiner Vernehmung schlicht vergessen habe, sagte Sagebiel. E. war durch eine DNA-Spur an Lübckes Hemd erst in den Fokus der Ermittler gerückt.

Bei der Urteilsverkündung wandte sich Sagebiel direkt an die Familie des Ermordeten, die an dem Verfahren als Nebenkläger teilnahm. „Wir wissen, dass wir Ihren Verlust kaum ermessen können und das Verfahren für Sie sehr schmerzhaft war.“ Das Gericht habe zugleich einen fairen Prozess zu führen gehabt. Darum habe es sich „bemüht“.

Zugleich sprach das Frankfurter OLG den 47-Jährigen in seinem Urteil vom Donnerstag vom Vorwurf des versuchten Mordes an einem irakischen Asylbewerber im Januar 2016 frei, der ebenfalls Teil der Anklage war. E. bestritt, für diesen Messerangriff verantwortlich zu sein.

Der Senat gelangte nach Angaben Sagebiels nicht zu der Auffassung, dass E. die Tat beging. Die Einlassung E.s, nichts mit der Tat zu tun haben, habe nicht widerlegt werden können. Der einzige Tatzeuge sei das Opfer, das jedoch keine taugliche Beschreibung des Täters habe abgeben können.

Das etwa halbjährige Verfahren war unter anderem geprägt durch zahlreiche Befangenheitsanträge seitens der Verteidigung. Eine wesentliche Rolle spielten auch widersprüchliche und wechselnde Aussagen des Hauptangeklagten. Zwei Geständnisse zog er zurück. In seiner letzten Einlassung vom August gab er den tödlichen Schuss auf Lübcke erneut zu. Zugleich sagte er aus, dass sein Mitangeklagter H. am Tatort gewesen sei. Dieser bestritt das.

Bereits im Oktober hatte das Gericht den mitangeklagten H. aus der Untersuchungshaft entlassen, weil es eine Beihilfe zum Mord aus Mangel an Beweisen nicht als erwiesen ansahen. Seitdem musste H. sich nur wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz verantworten. Er besaß nach Ansicht des Senats eine Dekowaffe, deren Griffstück nicht ausreichend unbrauchbar gemacht wurde. Die Anklage sah den Vorwurf der Beihilfe zum Mord bei ihrem Plädoyer weiter als erwiesen an und forderte neun Jahre und acht Monate Haft.

Der Prozess wurde von hohen Sicherheitsvorkehrungen begleitet. Die Corona-Pandemie sorgte für besondere Umstände: Zuschauer und Medienvertreter mussten eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen, wegen der Abstandspflicht konnten zudem zahlreiche Plätze nicht besetzt werden. Obwohl der Prozess im größten Saal des Gerichts verhandelt wurde, gab es nur maximal 19 Plätze auf der Pressetribüne und 18 Zuschauerplätze.

Bis zu 41 Journalisten konnten außerdem in einem anderen Raum eine Audioübertragung des Prozessgeschehens verfolgen. An zahlreichen Verhandlungstagen bildeten sich daher schon früh am Morgen Warteschlangen für den Einlass ins Gericht.

Ein Überblick

2. UND 3. JUNI 2019

Der CDU-Politiker Lübcke wird in der Nacht zum 2. Juni tot auf der Terrasse seines Hauses in Wolfhagen-Istha im Landkreis Kassel gefunden. Laut Obduktionsergebnis wurde er aus nächster Nähe erschossen. Es wird bekannt, dass Lübcke nach Äußerungen während der Flüchtlingskrise 2015 anonyme Morddrohungen erhielt. Er hatte nach Anfeindungen bei einer Bürgerversammlung für die hiesigen Werte geworben und gesagt: „Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen – das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“

5. JUNI 2019

Im Netz tauchen zahlreiche hämische Kommentare zum Tod Lübckes auf. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verurteilt die Reaktionen.

15. UND 16. JUNI 2019

Der damals 45 Jahre alte E. aus Kassel wird in der Nacht zum 15. Juni festgenommen. Einen Tag später wird ihm der Haftbefehl eröffnet. Die Festnahme erfolgte aufgrund eines DNA-Treffers.

17. JUNI 2019

Die Bundesanwaltschaft übernimmt die Ermittlungen. Sie geht von einem rechtsextremen Hintergrund der Tat aus. Es gebe aber keinen Hinweis auf eine Einbindung E.s in ein rechtsterroristisches Netzwerk. E. war in der Vergangenheit in der rechtsextremen Szene aktiv und ist einschlägig vorbestraft, etwa wegen eines versuchten Rohrbombenanschlags auf ein Flüchtlingsheim im hessischen Hohenstein-Steckenroth im Dezember 1993.

26. JUNI 2019

E. legt ein Geständnis ab. Laut Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) handelte er allein.

27. JUNI 2019

Die Bundesanwaltschaft bestätigt zwei weitere Festnahmen – H. und Elmar J., der E. die Tatwaffe verkauft haben soll. Die Ermittler finden ein Waffenversteck von E. mit fünf Waffen.

2. JULI 2019

E. zieht sein Geständnis zurück. Ein neuer Haftbefehl wird erlassen.

19. SEPTEMBER 2019

Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen E. neben dem Mordfall Lübcke auch wegen versuchten Mordes an einem Iraker. Es gebe Anhaltspunkte, dass E. am 6. Januar 2016 in Lohfelden bei Kassel versucht habe, den Asylbewerber „heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zu töten“.

28. NOVEMBER 2019

E.s Verteidiger kündigt ein neues Geständnis an. Das hessische Landeskriminalamt teilt mit, dass E. vor etlichen Jahren Informationen über etwa 60 Menschen und Objekte gesammelt habe.

1. DEZEMBER 2019

Das Land Hessen ehrt Lübcke posthum für hervorragende Dienste um die demokratische Gesellschaft mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille.

8. JANUAR 2020

Vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs präsentiert E. eine völlig neue Geschichte: H. habe Lübcke im Streit versehentlich erschossen, sein Tod sei nicht geplant gewesen. Beide hätten Lübcke lediglich eine „Abreibung“ verpassen wollen.

15. JANUAR 2020

Der Bundesgerichtshof hebt den Haftbefehl gegen J. auf.

27. JANUAR 2020

E.s Untersuchungshaft wird verlängert. Trotz seiner Aussage, in der er H. des Mordes bezichtigte, besteht weiterhin dringender Mordverdacht.

29. APRIL 2020

Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen E. und H. und wirft ihnen Mord beziehungsweise Beihilfe zum Mord vor. Die Behörde sieht eine von Rassismus getragene „völkisch-nationalistische Grundhaltung“ als Motiv. Sie legt E. zudem den versuchten Mord an dem irakischen Asylbewerber zur Last.

2. JUNI 2020

Am Jahrestag des Anschlags lässt das Frankfurter OLG die Anklage der Bundesanwaltschaft gegen E. und H. zu und eröffnet das Hauptverfahren.

16. JUNI 2020

Der Prozess gegen E. und H. beginnt unter hohen Sicherheitsvorkehrungen.

25. JUNI 2020

Der hessische Landtag votiert einstimmig für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Mord an Lübcke. Da der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts die Gerichtsakten erst nach Ende der Beweisaufnahme freigeben will, tritt der Ausschuss monatelang auf der Stelle.

28. JULI 2020

Der Frankfurter Staatsschutzsenat stimmt einem Antrag E.s zu, seinen Verteidiger Frank Hannig zu entpflichten. Kurz darauf werfen E. und sein zweiter Verteidiger Mustafa Kaplan Hannig vor, das zweite Geständnis vom Januar erfunden zu haben, um eine Aussage H.s zu provozieren. Im Oktober leitet die Staatsanwaltschaft Kassel Ermittlungen wegen des Verdachts der Anstiftung zur falschen Verdächtigung ein, ohne jedoch Hannigs Namen zu nennen.

5. AUGUST 2020

Am achten Verhandlungstag lässt E. von seinem Anwalt Mustafa Kaplan eine Einlassung verlesen, in der er den tödlichen Schuss auf Lübcke gesteht. Es ist E.s drittes Geständnis.

1. OKTOBER 2020

Aus Mangel an Beweisen für eine Beihilfe entlässt der Senat H. aus der Untersuchungshaft. Zum Prozess in Frankfurt muss er trotzdem weiterhin erscheinen – H. muss sich noch wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz verantworten.

19. NOVEMBER 2020

Ein Gutachter stuft E. als voll schuldfähig ein. Außerdem sieht er die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung als erfüllt an. E. habe einen Hang zur Begehung schwerer Straftaten.

22. DEZEMBER 2020

Die Bundesanwaltschaft fordert in ihrem Plädoyer lebenslange Haft für E. und will die besondere Schwere der Schuld feststellen lassen. Oberstaatsanwalt Dieter Killmer plädiert zudem auf eine anschließende Sicherungsverwahrung. Für H. fordert er wegen psychischer Beihilfe zum Mord und eines Verstoßes gegen das Waffengesetz neun Jahre und acht Monate Haft. Die Nebenklage schließt sich diesen Forderungen Mitte Januar 2021 überwiegend an.

20. JANUAR 2021

Knapp ein halbes Jahr nach seiner Konstituierung erhält der Untersuchungsausschuss im Landtag alle angeforderten Unterlagen, die vom OLG am 22. Dezember freigegeben wurden.

21. JANUAR 2021

E.s Verteidigung plädiert auf eine „verhältnismäßige“ Haftstrafe wegen Totschlags. E. habe sich nicht wegen Mordes schuldig gemacht. Mordmerkmale lägen nicht vor.

26. JANUAR 2021

H.s Verteidigung fordert einen Freispruch ihres Mandanten.

28. JANUAR 2021

Stephan E. erhält die Höchstrafe. Das OLG verurteilt ihn wegen Mordes zu lebenslanger Haft und stellt zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Außerdem wird die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach der Haftverbüßung vorbehalten. Der Mitangeklagter Markus H. wird wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

(dpa/afp/aa)



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