Leopoldina: Neun „Wiener Thesen“ zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie

Die älteste Gelehrtengesellschaft der Welt bewertet gemeinsam mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ihre Arbeit während der Pandemie, doch von Selbstreflexion fehlt jede Spur.
Titelbild
Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina.Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 10. März 2023

Die Wissenschaftler der Leopoldina haben während der Pandemie drastische Forderungen an die Politik gestellt. Mitunter haben sie dadurch zu unverhältnismäßigen Maßnahmen beigetragen. In einem aus neun Punkten bestehenden Thesenpapier bewerten die Mitglieder der weltweit ältesten naturwissenschaftlich-medizinischen Gelehrtengesellschaft nun ihre Arbeit. Von Selbstreflexion fehlt allerdings jede Spur, schreibt die „Welt“ auf ihrer Internetseite. Ein einziger Satz mache gar alle Einsichten zunichte.

Harte und zum Teil sinnlose Maßnahmen

Die Risse im sozialen Gefüge der deutschen Gesellschaft sind „besorgniserregend“. Die „bitter notwendige“ Aufarbeitung der Corona-Pandemie hat begonnen. Der „Welt“ zufolge seien viele Menschen in Politik, Wissenschaft und Medien selbstkritisch. Sie räumen Fehler ein, sprechen von Maßnahmen, die zu hart waren und wenig bis nichts genutzt haben. Auch erinnern sie an Mahnungen und Hinweise, die nicht ernst genommen wurden.

Als Beispiel wird der Deutsche Ethikrat angeführt. Deren Vorsitzende Prof. Dr. Alena Buyx hatte im November 2022 zugegeben, zu spät auf die Belastungen für Kinder und Jugendliche durch die Pandemiemaßnahmen hingewiesen zu haben. Im Fokus der Reflexion stehen allerdings bisher nur die Maßnahmen. Fehlanzeige auch bei der Kommunikation oder dem kritischen Hinterfragen von Beiträgen der vielen Akteure, die zur gesellschaftlichen Meinungsbildung oder politischen Entscheidung beigetragen haben. So stellt kaum jemand die Frage, ob die Art und Weise der Beeinflussung von öffentlicher Meinung und politischen Prozessen Krisenbewältigung oder gesellschaftlicher Stabilität dienlich war.

Nach zehn Stellungnahmen wurde es still

Zum Selbstverständnis der Leopoldina gehört eine Beratung von Politik und Öffentlichkeit, „die einer wissenschaftlich fundierten Analyse bedürfen“. Vor diesem Hintergrund wäre ein offener Umgang mit den eigenen Fehlern zu erwarten. Immerhin hatte sich die Leopoldina in zehn sogenannten Ad-hoc-Stellungnahmen zwischen März 2020 und November 2021 zu Wort gemeldet. Danach wurde es jedoch still. In den Vordergrund rückten seither Themen wie Klimawandel, Ersatz für russisches Erdgas, Frauen in der Wissenschaft oder Photovoltaik.

Kürzlich tauchte dann ein dreiseitiges Thesenpapier auf der Internetseite der Leopoldina auf. Es trägt den Titel „Wiener Thesen zur wissenschaftsbasierten Beratung von Politik und Gesellschaft“. Gemeinsame Herausgeber sind die Leopoldina und die Österreichische Akademie der Wissenschaften. Sie versprechen, „wichtige Erfahrungen der Wissenschaftsakademien während der Corona-Krise (zu) reflektieren“.

„Wissenschaft soll informieren, nicht legitimieren“

Doch wer glaubt, dass nun auch politische Handlungen, an denen die Institutionen beteiligt waren, kritisch unter die Lupe genommen werden, sieht sich getäuscht. Gleich im zweiten Absatz diagnostizieren die Verfasser, dass sich eine „Wissenschaftsskepsis, die fast schon den Charakter einer sozialen Bewegung annahm“, entwickelt hätte. Die Wissenschaft sei „ins Visier“ genommen worden, Experten seien „zur Zielscheibe von Wut und Hass“ geworden, die Wissenschaft sei „attackiert“ worden.

Diese Passagen erwecken den Eindruck, es würden Menschen und Institutionen angegriffen und müssten sich daher verteidigen. Reflexion würde aber die Ursachen einer solchen Situation mitbedenken. Sie würde fragen, ob das, was da als Angriff gedeutet wird, in Wirklichkeit eine Abwehrreaktion war. Doch davon ist in dem Papier nichts zu finden. Die ersten beiden Thesen wecken Hoffnung, gleicht man ihre Überschriften mit den Erinnerungen an die Pandemie ab. Da heißt es, „Wissenschaft soll in der Beratung von Politik und Gesellschaft als ‚ehrlicher Makler‘ agieren“. Und: „Wissenschaft soll informieren, nicht legitimieren“. Dabei fällt einem die siebte Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina vom 8. Dezember 2020 ein: „Die Feiertage und den Jahreswechsel für einen harten Lockdown nutzen“, lautete der Titel. Sie stellte Forderungen an die Politik, die als alternativlos galten.

Abwägung konkurrierender Werte und Interessen

Die zehnte Ad-hoc-Stellungnahme trug den Titel „Klare und konsequente Maßnahmen – Sofort“! Darin bescheinigte die Leopoldina „Teilen der Politik und der Öffentlichkeit, die Dramatik der Situation nicht in ihrem vollen Ausmaß zu erfassen“. Die Verfasser forderten ein sofortiges Gegensteuern. In den „Wiener Thesen“ heißt es nun, dass politische Streitfragen letztlich nicht durch (noch so überzeugende) Zahlen und Fakten entschieden werden, sondern in der Abwägung konkurrierender Werte und Interessen, also im Bereich der Politik.“ Und weiter: „Ziel der Wissenschaft kann es nicht sein, der Politik ihre Entscheidungs- und Handlungskompetenz streitig zu machen. (…) Umfassende Sachstandsdarstellungen und nuancierte Stellungnahmen sollten die Politik dazu bewegen, ihre Entscheidungen selbstständig zu begründen.“

Doch wer hier an eine selbstkritische Reflexion glaubt, wird enttäuscht: „Der Verweis auf ‚die‘ Wissenschaft (oder den Konsens namhafter Expertinnen und Experten) zum Zweck politischer Legitimation sollte akuten Krisensituationen vorbehalten bleiben, wenn unter hohem Zeitdruck und erheblicher Ungewissheit entschieden werden muss.“ Damit weist die Leopoldina praktisch alle Fehler von sich. Schließlich gab es sie ja, die akute Krisensituation. Der Zeitdruck war ebenfalls groß. Daher suggerierte man einen Konsens in der Wissenschaft, der zur politischen Legitimation von Maßnahmen genutzt werden konnte.

„Grenzüberschreitungen“ bei der nächsten Krise vermeiden

Nachvollziehbar ist laut „Welt“ indes, dass in einer schweren Krise wie der Pandemie bei aller Angst und Sorge jeder, der sich als Experte sieht, möchte, dass seine Ratschläge berücksichtigt werden. Genau deswegen müsse es aber Teil der Reflexion sein, solche „Grenzüberschreitungen“ bei der nächsten Krise zu vermeiden. Denn sie führten zu den Fehleinschätzungen und nicht gerechtfertigten Maßnahmen. Und unter denen litten etwa Kinder und Jugendliche. Und sie führten zu einer tiefen und schwer zu heilenden Zerrissenheit in der Gesellschaft.

Andere Meinungen waren „nicht genehm“

Uneins war man sich bei der Leopoldina auch in Hinsicht der Beurteilung von Daten. Letztlich führte das dazu, dass der Mathematiker Prof. Dr. Stephan Luckhaus aus Protest die Wissenschaftsakademie am 6. Dezember 2020 verließ. Erwähnung findet der Konflikt in den Thesen jedoch nicht. Wie Epoch Times berichtete, wertete der Wissenschaftler Statistiken aus und kam zu ganz anderen Ergebnissen bei der Mortalitätsrate. Doch, so sagte er, sei das der Leopoldina nicht genehm gewesen. Sie hätte eine Veröffentlichung seiner Ergebnisse unterdrückt.

Politik einen „gut begründeten Dissens“ präsentieren

Ins Auge fällt in diesem Zusammenhang die fünfte These mit der Überschrift „Konsens unter Fachleuten ist kein Selbstzweck“. Darin heißt es: „Wissenschaft will (und sollte) Klarheit schaffen und nicht Verwirrung stiften.“ Ein weitreichender Konsens gelte deshalb als erstrebenswertes Ziel institutionalisierter Politikberatung. Einstimmigkeit sollte allerdings nicht zum Selbstzweck werden. Gerade in Krisensituationen ist man auf Schätzungen und Szenarien angewiesen, wenn gesichertes Wissen fehlt und die Datenqualität schlecht ist. Unter Umständen sei es klüger, „der Politik einen geordneten und gut begründeten Dissens zu präsentieren als einen Konsens, der mangels kanonischen Wissens strategischen Charakter hat. Ein gehaltvoller Dissens unter namhaften Expertinnen und Experten unterstreicht, dass letztlich die Politik entscheiden muss.“ Ein „gehaltvoller Dissens“ war zu Corona-Zeiten offenbar nicht möglich.

Nur gut drei Wochen nach dem Ausscheiden von Professor Luckhaus hatte der Geowissenschaftler Prof. Dr. Thomas Aigner die der Leopoldina angegliederte Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz aus Protest gegen die siebte ad hoc Stellungnahme verlassen. Das Gutachten sei „einer ehrlichen, kritisch-abwägenden, am Dienst und am Wohle des Menschen orientierten Wissenschaft nicht würdig“. Dabei kritisierte er unter anderem mit Verweis auf wissenschaftliche Gutachten die Seriosität des PCR-Tests. Wörtlich erklärte er: „Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, ein Teil dieser Art von Wissenschaft zu sein. Ich möchte einer Wissenschaft dienen, die einer Fakten-basierten Aufrichtigkeit, einer ausgewogenen Transparenz, und einer umfassenden Menschlichkeit verpflichtet ist.“ Aigner war im März 2022 auch einer von 81 Wissenschaftlern, die einen offenen Brief unterzeichneten, in dem sie die COVID-Impfpflicht verfassungswidrig nannten.



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