Polen lobt Karlsruher Urteil zu EZB: "Eines der wichtigsten Urteile in der Geschichte der EU"
Erstmals hat sich das deutsche Verfassungsgericht gegen den Europäischen Gerichtshof gestellt - und damit in Brüssel ein Beben ausgelöst. Polen lobt das Gericht in Karlsruhe: Es sei „eines der wichtigsten Urteile in der Geschichte der Europäischen Union“.

Mateusz Morawiecki.
Foto: Niklas Halle’n – WPA Pool/Getty Images
Nach seinem Urteil zur Europäischen Zentralbank hat das deutsche Bundesverfassungsgericht Unterstützung aus Polen bekommen.
Bei der Entscheidung der Karlsruher Richter handle es sich um „eines der wichtigsten Urteile in der Geschichte der Europäischen Union“, schrieb der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki an die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS). Es sei vielleicht jetzt zum ersten Mal in dieser Klarheit gesagt worden:
„Die Verträge werden von den Mitgliedstaaten geschaffen, und sie bestimmen, wo für die Organe der EU die Kompetenzgrenzen liegen.“
Der Gerichtshof der Europäischen Union habe zwar „sehr weit gehende Befugnisse“, aber nur „auf dem Gebiet, das sich aus den Beschlüssen der Staaten ergibt“. Versuche, dieses Gebiet zu erweitern, nannte Morawiecki „willkürlich und gefährlich für die Rechtsstaatlichkeit“.
Anders als der EuGH entschieden die Karlsruher Richter, die Notenbank habe ihr Mandat überspannt. Das EuGH-Urteil nannten sie „objektiv willkürlich“ und „methodisch nicht mehr vertretbar“.
Die deutschen Verfassungsrichter hatten am Dienstag das 2015 gestartete EZB-Programm für Staatsanleihenkäufe in Teilen als verfassungswidrig eingestuft. Die Zentralbank hätte demnach prüfen müssen, ob die Maßnahmen verhältnismäßig sind. Kann die EZB dies binnen drei Monaten nicht darlegen, darf sich die Bundesbank an dem Programm nicht mehr beteiligen. Damit stellte sich Karlsruhe gegen eine Entscheidung des EuGH, der das Vorgehen der EZB gebilligt hatte.
Grünen-Politiker der EU forderte Vertragsverletzungsverfahren
Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen prüft in dem Fall ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. „Ich nehme diese Sache sehr ernst“, schrieb sie in einem Brief vom Samstag an den Grünen-Europapolitiker Sven Giegold. Dieser hatte die EU-Kommission aufgefordert, solch ein Verfahren einzuleiten.
Giegold, Sprecher der deutschen Grünen-Abgeordneten und Obmann der Grünen im Währungsausschuss des Europaparlaments, sagte am Samstag, ihm gehe es nicht um einfache Kritik am Bundesverfassungsgericht. Doch bedrohe der Streit zwischen Karlsruhe und Luxemburg die europäische Rechtsgemeinschaft.
Von der Leyen bekräftigte in ihrer Antwort an den Europaabgeordneten, das deutsche Urteil werde derzeit genau analysiert, fügte aber bereits an: „Auf der Basis dieser Erkenntnisse prüfen wir mögliche nächste Schritte bis hin zu einem Vertragsverletzungsverfahren.“
Das letzte Wort zum EU-Recht hat der Europäische Gerichtshof
Das Urteil des Verfassungsgerichts werfe Fragen auf, die den Kern der europäischen Souveränität berührten, hieß es in dem Schreiben. Die Währungspolitik der Union sei eine ausschließliche Zuständigkeit.
EU-Recht habe Vorrang vor nationalem Recht, und Urteile des EuGH seien für alle nationalen Gerichte bindend.
„Das letzte Wort zum EU-Recht hat immer der Europäische Gerichtshof in Luxemburg“, schrieb von der Leyen. Die EU sei eine Werte- und Rechtsgemeinschaft, die die EU-Kommission jederzeit wahren und verteidigen werde. Nach EU-Recht ist das die Zuständigkeit der Brüsseler Behörde: Sie ist die „Hüterin“ der EU-Verträge und muss Verstöße ahnden. Leitet sie ein Verfahren wegen Verletzung der Verträge ein, kann dies wiederum vor dem EuGH landen.
Polens Regierungschef schreibt der FAS zufolge, jede reife Demokratie brauche ein System der Gewaltenteilung und des Gleichgewichts der Gewalten. „Wenn das fehlt, wird jede Gewalt, auch die der Gerichtsbarkeit, zur willkürlichen, unbegrenzten, undemokratischen Macht“, so Morawiecki. (dpa)
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