Soziologe El-Mafaalani: Schulen mit „Superdiversität“ überfordert – Förderkriterien stimmen nicht

Der Osnabrücker Bildungsexperte El-Mafaalani sieht die Schulen durch „Superdiversität“ überfordert. Es sei auch erforderlich, das System der Förderung zu überdenken.
Schulhof Diesterweg Grundschule
Schulhof der Diesterweg-Grundschule in Bernburg. Soziologe El-Mafaalani warnt vor vergebenen Chancen im Bildungssystem.Foto: Textbüro Freital
Von 9. Juni 2023

In einem Interview hat der Osnabrücker Soziologe Aladin El-Mafaalani vor einem Verschenken von Chancen durch Fehler im Bildungssystem gewarnt. Die Grundschulen von heute spiegelten die Arbeitsgesellschaft der Zukunft wider. Die Kitas und Schulen seien von der „Superdiversität“, die sich dort zeige, jedoch überfordert. Dies, so der Professor für Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft an der Universität Osnabrück, liege auch an falschen Förderungsansätzen.

El-Mafaalani warnt vor eindimensionaler Fixierung auf Migrationshintergrund

Gegenüber der „Welt“ nimmt El-Mafaalani unter anderem zu den seit Jahren immer schlechteren Leistungsbilanzen deutscher Grundschüler Stellung. In diesem Zusammenhang warnt er vor eindimensionalen Erklärungsansätzen. Solche liegen nach seiner Einschätzung auch dem deutschen Bildungssystem zugrunde – und dessen Ansätzen zur Förderung benachteiligter Kinder.

So sei das vielfach bemühte Kriterium des Migrationshintergrundes allein nicht aussagekräftig genug, um über Förderungswürdigkeit zu entscheiden. El-Mafaalani verweist darauf, dass er selbst als Sohn syrischer Eltern einen solchen aufweise, aber in privilegierten Verhältnissen lebe. Auf andere Kinder syrischer Eltern treffe dies hingegen häufig nicht zu.

Geeignete „harte Kriterien“ für Förderprogramme sei eher die SGB-II-Quote, also der Anteil an Kindern aus Haushalten, die Bürgergeld beziehen. Dazu kämen Kinder, die in erster Generation eingewandert und ohne Sprachkenntnisse nach Deutschland gekommen seien.

Nicht jede Beobachtung hat auch Signifikanz

Zwar gebe es auch Kinder der zweiten Einwanderergeneration, die Probleme mit der deutschen Sprache hätten. Dies treffe aber auch auf manche Kinder ohne Migrationshintergrund zu – ebenso wie es Akademikerkinder auf Hauptschulen gebe. El-Mafaalani betont:

Die Frage ist: Was ist signifikant? Und da kann man klar sagen, dass die zweite Generation wesentlich bessere Bildungschancen hat als die erste.“

In Migrantenfamilien seien die Erfolgserwartungen an die Kinder überdurchschnittlich hoch, macht der Soziologe deutlich. Eltern mit geringem Bildungsstandard seien jedoch häufig nicht in der Lage, die erforderliche Unterstützung zu leisten:

Man fängt nicht irgendwo ganz neu an, ohne das Ziel zu haben, dass es mindestens den Kindern einmal besser geht. In einem Schulsystem wie dem unseren, in dem die Unterstützung der Eltern traditionell stark vorausgesetzt wird, wird das aber zum Problem.“

Grundschulen mit 80 Prozent Migrationsanteil

Die Folge sei, dass Migranten sowohl bei den niedrig Gebildeten als auch bei den hoch Gebildeten überrepräsentiert seien. Auch jenseits des Migrationshintergrundes gelinge es dem Schulsystem nicht, Kinder, die von einer imaginierten Norm abweichen, richtig einzuschätzen.

Dies treffe vor allem dann zu, wenn Kinder bei der Ankunft in Deutschland schon jenseits des Grundschulalters seien. In solchen Fällen würden Kinder nicht individuell eingeschätzt, sondern dort untergebracht, wo gerade ein Schulplatz frei sei. Diese Tendenz habe sich auch mit Blick auf die Fluchtbewegung aus der Ukraine gezeigt.

Zudem fänden jüngere Flüchtlingskinder häufig in Grundschulen in der Nähe der Aufnahmeeinrichtungen oder in bestimmten segregierten Stadtteilen Unterbringung. Die Folge seien Grundschulen mit 80 Prozent Migrationsanteil oder mehr:

Wenn die Kinder dann noch aus 50 verschiedenen Ländern kommen oder 30 verschiedene Sprachen sprechen, ist das eine Herausforderung, für die wir absolut nicht gewappnet sind. Wir sind an Grundschulen und auch an den Kitas personell und konzeptionell absolut nicht dafür gerüstet, mit dieser Superdiversität zurechtzukommen.“

SGB2-Quote wäre ein einigermaßen adäquates Förderkriterium

Um Chancen benachteiligter Kinder zu verbessern, empfiehlt El-Mafaalani eine Abkehr vom Königsteiner Schlüssel. Die großen Herausforderungen existierten hauptsächlich in ganz bestimmten Stadtteilen und strukturschwachen Regionen.

Als Förderkriterium sei die SGB2-Quote einigermaßen aussagekräftig. An den Schulen selbst sei es erforderlich, sich ein Beispiel an Modellen wie Kanada zu nehmen:

Da geht es in der Schule von der ersten Klasse an um die Anerkennung von Differenz und die Suche nach Gemeinsamkeiten. Die Kinder erkennen, dass sie als Teil des Ganzen anerkannt sind, der mitgestalten soll. Dafür wird aber auch etwas gefordert. Von einer solchen Haltung sind wir noch ganz weit entfernt.“



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