Springer-Chef Mathias Döpfner: Relotius-Skandal „wesentlich schlimmer als die Hitler-Tagebücher“

In einem dpa-Interview hat der Präsident des Zeitungsverleger-Verbandes, Mathias Döpfner, den Relotius-Skandal als systemisch bedingt beschrieben und der Medienbranche schonungslose Aufarbeitung verordnet. Journalisten, so Döpfner, sollten sich auch in sozialen Medien zurückhalten.
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Mathias DöpfnerFoto: Michele Tantussi/Getty Images
Von 22. Januar 2019

Ungewohnt deutliche Selbstkritik mit Blick auf den Zustand der Medienbranche in Deutschland hat der Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Mathias Döpfner, in einem jüngst veröffentlichten Interview mit dpa geübt.

Der Fake-News-Skandal um den langjährigen „Spiegel“-Journalisten Claas Relotius gehe die gesamte Medienbranche an. Es dürfe jetzt keine falsche Branchensolidarität geben, so Döpfner. Wolle man keine weitere Erosion des Grundvertrauens in die Medien riskieren, sei eine schonungslose Aufarbeitung unabdingbar. Immerhin sei, so der Vorstandschef der Axel Springer AG, die Affäre nicht im luftleeren Raum entstanden:

„Man sitzt auf dem hohen Ross und beschreibt in schöner, fast literarischer Sprache die Welt, wie sie sein soll. Haltung ist oft wichtiger als Handwerk, Weltanschauung wichtiger als Anschauung. In einem solchen Klima gedeiht Erfindung. Relotius hatte ja Vorboten. Wir erinnern uns an den Reporter, der Seehofers Modelleisenbahn anschaulich beschrieb, ohne in dem Keller gewesen zu sein, in dem Seehofer sie aufgebaut haben soll. Relotius verstand immer besser, welchen Sound man liefern musste, um Ressortleiter und Jurys von Journalisten-Preisen zu bedienen. Erfindung war da am Ende effizienter als Recherche. Und das interessiert die Bürger im höchsten Maße. Weil es Grundvertrauen erschüttert. Und zum Teil berechtigte Kritik an unserer Branche bestätigt.“

Gesetz des Schweigens

Döpfner hält – auch wenn der Name damals spektakulärer gewesen sein möge – den Relotius-Skandal für gravierender als jenen des „Stern“ rund um die Hitler-Tagebücher in den 1980er Jahren. Befremdlich sei, dass die Tatsache, dass Relotius in einer Vielzahl von Publikationen geschrieben habe, wie eine Beißhemmung wirke.

„Hier ist ein Klima geschaffen worden, in dem Relotius über einen langen Zeitraum mehr als fünfzig Texte im Heft und auf Spiegel-Online, darunter zum Teil fast komplett erfundene Geschichten, veröffentlichen konnte. Kontrollmechanismen haben wiederholt versagt. Inklusive der legendären ‚Dokumentation‘, mit der ‚Spiegel‘ immer wieder geworben hat. Die gefälschten Tagebücher haben damals wochenlang die Nachrichten bestimmt. Bei den gefälschten Artikeln gab’s nach ein paar Tagen noch kleine Meldungen. Es wäre gut für die Branche, etwas mehr Unabhängigkeit und Selbstkritik zu beweisen.“

Döpfner hält es grundsätzlich für denkbar, dass ein Skandal wie jener um Relotius in nationalen Leitmedien wahrscheinlicher sei als auf Regional- oder Lokalebene. Die Bodenständigkeit einer Lokalzeitung könne Hybris entgegenwirken. Die Kontrollmechanismen seien dichter und unwahre Angaben leichter zu entlarven.

Auch für die Selbstgerechtigkeit hinter der Twitter-Hashtag-Aktion #Nazisraus hat Döpfner nur bedingt Verständnis. Dies gelte umso mehr in Anbetracht des zeitlichen Zusammentreffens mit dem Gewaltakt gegen den AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz.

„Wörtlich genommen ist der Gedanke des Satzes ‚Nazis raus‘ natürlich richtig. Aber das, was jetzt viele im Netz damit meinen, und die Haltung, die dem zugrunde liegt, finde ich höchst problematisch. Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ist immer falsch. Wer das verharmlost oder dafür Verständnis weckt, verlässt den rechtsstaatlichen Raum.“

„Verharmlosung des Nationalsozialismus und Minimierung des Holocaust“

Lassen es Journalisten hier an Sensibilität fehlen, tragen sie zu einem zunehmend intoleranten Meinungsklima bei und zu einer intellektuellen Unfähigkeit, mit anderen Meinungen sowie unterschiedlichen Auffassungen weltoffen und zivilisiert umzugehen.

„Es ist traurig, wenn sich ausgerechnet Journalisten so eine Haltung zu eigen machen und mit einem solchen Spruch obendrein den Nationalsozialismus verharmlosen, damit den Holocaust minimieren und ahistorisch kontextualisieren. Im Übrigen: Nazis müssen nicht raus, also woanders hin, sondern ganz verschwinden. Aber nicht jeder, der eine andere Meinung hat, ist ein Nazi.“

Eine eigenwillige Position vertritt Döpfner in der Frage des Umgangs von Journalisten mit sozialen Medien. Er sieht den Sinn in sozialen Medien für Journalisten in erster Linie darin, sie als Informationsquelle und Rechercheinstrument zu benutzen.

„Aber die eigene Präsenz von Journalisten in sozialen Medien erscheint mir zunehmend problematisch. Die Idee, dass der Vertreter einer Medienmarke rein privat twittern oder auf Facebook posten kann, ist absurd. Kein Mensch kann das unterscheiden. Ein Chefredakteur oder Redakteur ist dort keine private Person. Deshalb wird viel zu schnell geschrieben, was am Ende der Marke abträglich ist.“

Journalisten sollen sich in sozialen Medien zurückhalten

Döpfner empfiehlt Journalisten „allergrößte Zurückhaltung, wenn nicht gar vollkommene Enthaltsamkeit“ in sozialen Medien. Sie hätten in Form ihres Mediums ohnehin eine gute Plattform, um sich auszudrücken.

Warum sollten sie Ihr wertvollstes Gut – ihre Erkenntnisse und Gedanken, ihre Inhalte – verschenken, um Twitter zu Exklusivnachrichten oder Kurzkommentaren zu verhelfen?“

(mit Material der dpa)




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