Unternehmerin: Mittelstand ächzt unter der Summe der Bürokratie – Umdenken erforderlich

Von Bürokratiedickicht über sinnlosen Aufwand bis zu dringendem Reformbedarf und Belastungsmoratorium. Nach Verabschiedung des Bürokratieentlastungsgesetzes und dem Bürokratiegutachten des Normenkontrollrates äußern sich Verbände und Unternehmer kritisch.
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Von 31. Oktober 2019

Nachdem der Normenkontrollrat in seinem jüngsten Bürokratiegutachten feststellte, dass Angela Merkels Regierung noch einiges in Punkto Bürokratieabbau tun muss, melden sich nun Unternehmer und Verbände zu Wort, die den Mittelstand zunehmend in der Bredouille sehen. 

Leserbrief: Ich würde mich in diesem Land nicht mehr selbständig machen

Sabine Herold, Geschäftsführende Gesellschafterin bei Delo Klebstoffen, vergleicht den „Einsatz gegen Bürokratie (…) [mit] Don Quixotes Kampf gegen Windmühlen“. Die 56-Jährige setzt sich seit Jahren für Abbau von Bürokratie ein.

Auf ein kürzlich mit der Welt geführtes Interview zu dem Thema „Irgendwann ist die Belastungsgrenze einfach überschritten“ hat sie einen Leserbrief eines inzwischen pensionierten Unternehmers auf Twitter gepostet. Hier die Auszüge:

Ich würde mich in diesem Land nicht mehr selbständig machen. (…) Die Bremswirkung der lebensängstlichen Politiker und Beamten nimmt einem übermäßig viel  Kraft, die man für den wachsenden Kampf unbedingt brauchte. (…) So werden zur Erfüllung des oft nicht vorhandenen Verantwortungsbewusstseins (…) ständig neue Mauern gebaut, die unsere Risikobereitschaft ausbremsen.“

Gabor Steingart berichtet ähnliches: Jeder, der einmal versucht habe, das Unternehmen an seine Kinder zu übertragen oder auch nur eine neue Werkshalle zu bauen, sei wahrscheinlich in einem „Dokumentendickicht“ gelandet.

Faktisches Problem mit zu vielen rechtsunsicheren Gesetzen

„Trotz aller Bemühungen zur Kostenreduktion kommen beim einzelnen Unternehmen gefühlt weniger Entlastungen an, als viele denken“, heißt es im Bericht des Normenkontrollrates. Nach Herold gebe es entgegen dem Bericht aber kein „Wahrnehmungsproblem im Mittelstand, sondern ein faktisches Problem mit immer mehr Vorschriften“.  Als „größten Bürokratie-Wahnsinn im Alltag“ nennt Herold umsatzsteuerliche Nachweise bei Lieferungen innerhalb der Europäischen Union.

Weiteres Problem sei die erhebliche „Rechtsunsicherheit durch schwammige Gesetze“. Ähnlich wie der NKR hält sie Praxis-Checks von Gesetzen neben einer zeitlich begrenzten Evaluierung für notwendig. 

Kostenmessung geht an Realität des Mittelstands vorbei

Herold beanstandet weiter die durch Bürokratiemaßnahmen entstehenden Kosten. Die Schätzungen seitens der Bundesregierung gingen am Mittelstand vorbei. EU-Recht, Landesgesetze und Umstellungsaufwand würden bislang nicht eingezogen.

So empfiehlt auch der NKR künftig bei neuen Gesetzen nicht nur die Kosten, sondern auch den Nutzen zu nennen. Ob indes die Experten befürchteten, dass die Kosten den Nutzen übersteigen könnten, äußerten sie nicht.

Belastungsmoratorium statt Bürokratieentlastungsgesetz

Das kürzlich verabschiedete Bürokratieentlastungsgesetz sei „lediglich ein Lichtblick, der aber schon wieder zuzuwuchern droht“, beanstandete Steffen Kampeter von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Insgesamt bleibe das Gesetz „weit hinter den Erwartungen der Wirtschaft zurück“, wenngleich die Digitalisierung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein guter Schritt sei, beanstandet Kampeter. Es müsse „an vielen Stellschrauben“ gedreht werden

Was wir jetzt brauchen, ist ein Belastungsmoratorium für die deutsche Wirtschaft. Eines ist doch klar: Mit immer neuen Regulierungsvorschlägen, wie zum Beispiel bei Befristungen oder mobiler Arbeit, schaffen wir noch mehr Bürokratie und belasten die Unternehmen zusätzlich, so Kampeter weiter.

Unter anderem gebe es dringend Reformbedarf im Arbeitszeitrecht wie bessere „Öffnungsklauseln“ bei „Ruhezeiten“.

BDI: Kürzere Aufbewahrungsfristen und mehr Digitalisierung

Konkret empfiehlt der Bundesverband der Deutschen Industrie, steuerliche Aufbewahrungsfristen von aktuell zehn Jahren auf fünf Jahre zu verkürzen und Betriebsprüfungen zeitnäher durchzuführen.

Die sogenannte „A1-Bescheinigung“ verursache sinnlosen Aufwand für Unternehmen. Bei jeder Dienstreise ins europäische Ausland müsse eine Anlage ausgefüllt werden, „um das anwendbare Sozialversicherungsrecht zu dokumentieren“.

Auch erhofft er sich die zunehmende Digitalisierung von Verwaltungsleistungen, die Unternehmer erheblich entlasten soll. So wäre es bei der Beantragung von Verwaltungsleistungen sinnvoll, Daten nur einmal einzugeben, die Behörden bei anderen Leistungen einfach abrufen könnten.

Deutschland braucht Mentalitätswandel

„Was es jetzt braucht, ist ein mutiges und entschlossenes Handeln von Bundesregierung und Bundestag gemeinsam“, so Schwannecke.

Gabor Steingart hält sogar einen Mentalitätswandel für notwendig. Mit Bürokratieentlastungsgesetzen könne die Politik das Problem nicht bekämpfen. Er befürchtet jedoch, „dass die Kanzlerin (…) [den Bürokratiebericht] mit freundlichem Gesicht entgegennehmen – und anschließend in einer Schublade verschwinden lassen wird.“



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