Die Frage aller Fragen: Deflation oder Inflation?

Der als „Dottore“ bekannte Paul C. Martin im Epoch Times-Gespräch über die Wirtschaftskrise.
Titelbild
(Dr. Paul C. Martin)
Epoch Times4. August 2009

Die Regierungen der Erde überschlagen sich angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise mit der Durchführung von Konjunkturprogrammen, Unternehmensrettungen und Bürgschaftszusagen. Was im ersten Moment sehr sozial zu sein scheint, verursacht bei genauerer Betrachtung ein mulmiges Gefühl. Woher kommen all die Gelder für die Zusagen des Staates? Die Antwort: aus erhöhter Neuverschuldung des Staates und somit höherer Haushaltsbelastung für die Zinszahlungen und – im besten Fall – auch einmal für die Tilgung der Schulden.

Die aktuellen Schulden von Bund und Ländern belaufen sich auf etwa 1,7 Billionen Euro, das sind 1.700 Milliarden. Jeder achte Steuereuro geht schon heute nur für die Zinsen dieses riesigen Kredites „verloren“. Woher also das benötigte Geld nehmen? Steuererhöhungen für die Bürger, öffentlich oder versteckt über Konsumsteuern, weniger Zuschüsse des Staates für Soziales und Bildung, lassen die Bürger sehr genau spüren, was finanzielle Schulden auf Dauer bedeuten.

Der Wirtschaftsjournalist Dr. Paul C. Martin bezeichnet in diesem Zusammenhang die Politik als eine Art Inkasso-Büro, das von den Bürgern Geld eintreibt, das es selbst ausgegeben hat, obwohl es das Geld noch nicht einmal besaß.

Einmal in den Schuldenbrunnen gefallen, ist es laut Martin unmöglich, ihn wieder zu verlassen, ohne dass der Staat den unweigerlichen Ausweg des „Bankrott“ wählt. In seinem Verständnis ist der Kapitalismus nichts als eine über Schulden finanzierte Gegenwart, deren Wachstum unabdingbar ist, um den Zinszahlungen nachzukommen. Die aktuelle Lage lässt den Autoren von Büchern wie „Wann kommt der Staatsbankrott“ und „Kapitalismus. Ein System, das funktioniert“ mehr und mehr Zuhörer finden. Bisher waren Martins Aussagen zur Wirtschaft ungern gehört, spricht er doch offen von zahlungsunfähigen Staaten – vielleicht ist es aber kein Fehler, diese Bücher wieder aus dem Keller zu holen. Wir hatten die Möglichkeit, den ehemaligen „Bild“-Vize-Chefredakteur zur aktuellen Lage zu befragen.

Epoch Times: Sie schreiben viele Kommentare als „Dottore“ im Gelben Forum. Warum dort und warum als Dottore?

Dr. Paul C. Martin: Im gelben Forum, weil ich vor etwa zehn Jahren durch Zufall drauf gestoßen bin, die Diskussionen dort interessant fand und versuchte, analytische Beiträge beizusteuern. Als Dottore, da dies mein Spitzname in den Redaktionen war, in denen ich tätig war.

Epoch Times: In Anlehnung an einen Ihrer Buchtitel die Frage: „Wann kommt der Staatsbankrott?“

Martin: Es gab da auch ein weiteres Büchlein (Anm.: Der Kapitalismus – Ein System, das funktioniert. Dr. Paul C. Martin und Walter Lüftl, Ullstein), und die Grundthese darin lautet: Sobald die Zinsen auf die aufgelaufene Staatsverschuldung höher sind als die frei verfügbaren Steuern, die ja aus dem Sozialprodukt stammen müssen, muss der Staat die Zahlungen einstellen, die Steuern erhöhen, neue Steuern einführen oder er muss versuchen, das zu machen, was jetzt gerade weltweit geschieht – durch zusätzliche sogenannte Konjunkturprogramme, die logischerweise schuldenfinanziert sind, zusätzliche Kaufkraft von sich aus in die Wirtschaft zu leiten. Dies löst natürlich das Problem nicht, sondern verschiebt es nur. Das Hauptproblem, das wir im Augenblick weltweit haben, ist ein Überschuldungsproblem, aus dem die bekannte Krise resultiert.

Epoch Times: Welche Rolle spielt der Staat als Institution im aktuellen Wirtschaftsgeschehen?

Martin: Ja er macht genau das, was wir hier beobachten können, mit seinen Konjunkturprogrammen, zu denen auch noch Aktionen der Notenbanken kommen, die es den Banken erlauben, auch Papiere minderer Qualität oder Bonität in Notenbankgeld zu verwandeln, indem man es dort als Sicherheit hinterlegt. Der Staat ändert auch die Bilanzierungsregeln, vor allem für Banken. Wir verabschieden uns von den früheren gesetzlichen Vorschriften, dass man beispielsweise Wertpapiere zum Niederstwert bewerten muss, also entweder zum Anschaffungskurs oder zum aktuellen Kurs, je nachdem, welcher niedriger ist. Diese Bilanzierungsregeln wurden im Wesentlichen aufgehoben, teilweise schon im vergangenen Herbst durch die EU, oder aktuell durch die Bundesregierung.

Epoch Times: Welche Entwicklung halten Sie in der Zukunft für wahrscheinlicher, eine Deflation oder eine Inflation?

Martin: Ja, das ist die Frage aller Fragen! Für die Deflation spricht die weltweite Überschuldung, die sich ja nicht nur auf Staaten, sondern auch auf Private bezieht. Aus den USA hören wir Zahlen von 70 Billionen Dollar, fast das sechsfache des laufenden Sozialprodukts. Überschuldungskrisen bedeuten, wenn man als Schuldner nicht von Bord gehen will, dass man sich am Markt nur halten kann, wenn man letztlich mit Rabatten arbeitet, daher die aktuellen Rabattschlachten und das tendenziell sinkende Preisniveau. Im Augenblick sind wir so gerade plus/minus Null, aber das kann ganz fix gehen. So wie vor kurzer Zeit, mit neuerlich extrem schlechten Wirtschaftszahlen aus dem Vereinigten Königreich. Wenn es so weiter abwärts geht, verläuft dieser ohne Zweifel deflatorisch.

Auf der anderen Seite haben wir unendliches Geld, dreistellige Milliardensummen, Billionen, je nach Land. Wenn man es aufaddiert, sind es so 3,4-5 Billionen Dollar. Diese enorme Geldaufpumperei eröffnet natürlich entsprechend die Möglichkeit, dass ein plötzlicher psychologischer Ruck, ein Umschwung, ein sogenannter Crack-Up-Boom, einsetzt. Dies wird aktuell diskutiert. Dann würde also enorme Liquidität, die ja vorhanden ist, aber nicht kaufkraftwirksam – Stichwort Kreditklemme – dann würde das bedeuten, dass wir stark anziehende Preise haben, beginnend im Rohstoffsektor oder in zyklischen Branchen, wie Chemie, Bauwirtschaft oder ähnlichen. Und dann ist ein Inflationsszenario nicht auszuschließen.

Epoch Times: Welche Interessen haben die großen Player USA und China an einer neuen Leitwährung oder dem Erhalt des Dollars?

Martin: Die Frage existiert, das ist richtig. Aber mit der Änderung einer Leitwährung ist das nicht so einfach, da ja alle Währungen letztlich durch den Dollarkurs definiert sind, auch die so genannten Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds IWF werden ja täglich in Dollar denominiert. Insofern führt am Dollar auf lange Sicht kein Weg vorbei. Wenn sie das devisenreiche China nehmen, die können die ja nicht so einfach auf den Markt werfen, die bestehen aus kurzfristigen amerikanischen Staatspapieren, sogenannten Treasury Bonds, die können Sie nicht schlagartig in Euro wechseln, dazu müssten sie die erst auf dem amerikanischen Markt verkaufen, um aus diesen Anlagen Cash zu machen; und das würde dort sehr unangenehme Folgen haben, den Dollarkurs nach unten bringen, die Kurse auch für diese Papiere nach unten bringen, womit die Chinesen sich mit ihren. zwei Billionen Dollar ins eigene Fleisch schneiden würden. Insofern glaube ich an solche Sachen nicht, das wird zwar immer wieder in neuen Varianten aufgetischt, aber ich halte das für völlig illusorisch, ganz abgesehen von der Funktion der USA als Weltmacht Nummer 1.

Epoch Times: Können Sie sich ein funktionierendes Wirtschaftssystem ohne Zinseszins vorstellen?

Martin: Ja, der Zinseszins ist ja, wie Einstein so schön sagt, die größte Erfindung der Menschheit. Das hängt letztlich auch von der Gesetzeslage ab. Grundsätzlich ist der Zinseszins nach deutschem. Recht im Bürgerlichen Gesetzbuch verboten. Vorzustellen ist die Abschaffung durchaus, aber derzeit ist ja noch nichts geschehen, es gibt noch keinerlei Reformen gegen das Finanzgangstertum weltweit, die zocken ja wieder wie eh und je.

Epoch Times: Wie sieht für Sie das ideale Wirtschaftssystem aus. und hat es so etwas schon einmal gegeben?

Martin: Natürlich gab es ganz stabile Wirtschaftssysteme in so genannten Stammesgesellschaften. Stämme sind in sich ziemlich stabil, auch wenn sie gelegentlich Krach mit anderen Stämmen haben, aber das ist bei einer so großen Weltbevölkerung nicht zu machen. Also müssen wir uns mit der Form der Wirtschaft abfinden, wie wir sie heute haben, und sie aber massiv reformieren! Es reicht nicht, dies als Zufall oder Aufsichtsversagen auszusitzen. Es muss an die Wurzel gegangen werden. Niedrige Verzinsung, möglichst ohne Zinseszins. Mit möglichst geringem Staatseinfluss auf das wirtschaftliche Geschehen, der Staat weiß in keinem Fall besser, was zu tun ist, als der Bürger selbst, und dass er besser wirtschaften könne als ein Privater, ist ganz ausgeschlossen. Milton Friedman sagte: Es gibt vier Arten, Geld auszugeben: 1. Eigenes für sich selbst, man ist sparsam. 2. Eigenes für andere, man ist großzügiger 3. Anderer Leute Geld für sich selbst, da erhöht man sich schon mal die Bezüge 4. Das Schlimmste ist, anderer Leute Geld für andere auszugeben. Das ist Politik und kann auf Dauer nicht gut gehen.

Epoch Times: Ihr Verständnis von Kapitalismus, der Debitismus, spricht von einem System, wo nur durch die Neuaufnahme von Schulden aktuelle Verpflichtungen nachgekommen werden kann. Wo also liegt der Fehler im System, Schulden werden zur Zeit ja massiv gemacht?

Martin: Bei Schulden muss man natürlich unterscheiden. Es gibt Staatsschulden, Unternehmensschulden, Verbraucherschulden, Finanzschulden zum Zocken, oder Schulden für unternehmerische investive Zwecke. Aber grundsätzlich gilt, dass Ihre Faktorkosten als Unternehmer niemals reichen (wenn Sie kreditfinanziert haben), um die Zinsen und Gewinne einzuspielen, da die ja erst später fällig sind. Dies ist nur möglich, wenn Sie später Nachschuldner finden.

Epoch Times: Ihr Buch stellt die Frage der Urschuld. Was bedeutet Schuld für Sie, und welche Auswirkungen hat sie auf unser aktuelles Wirtschaftssystem?

Martin: Ohne Schulden kein Druck. Das ist schon mal klar. Die Bank erlässt ja nicht einfach Ihre Schulden. Sie müssen also die Schuld selbst wie auch die aufgelaufenen Zinsen durch eigene Markterfolge wieder reinspielen. Das Schuldenphänomen kommt ja ursprünglich aus der Abgabenschuld dem Herrscher gegenüber, da lag ja kein Vertrag vor, der hat Ihnen ja vorher kein Geld verliehen, sondern bestimmte das einfach. In Form von Realien oder in Form der jeweiligen Landesmünzen. Daher kommt das Schuldphänomen. Die ursprüngliche Schuld ist die Abgabenschuld. Das Phänomen der Urschuld ist eher ein Konstrukt, dass der Einzelne nämlich sich selbst gegenüber die Verpflichtung hat, sich zu erhalten. Nicht nur sich selbst, sondern auch die ihm anvertrauten Familienmitglieder. Kinder können die Ausbildungskosten ja nicht selbst zahlen. Der Druck also, der durch die reine Existenz entsteht.

Epoch Times: Können Sie Vor- und Nachteile eines sogenannten Goldstandards erläutern?

Martin: Der Goldstandard hatte den großen Vorteil, Exzesse von freien Währungen, an nichts gebundene Währungen zu verhindern, da Sie letztlich immer mit Edelmetall ausgleichen mussten. Das war nicht so beliebig vermehrbar wie das Papier oder der Saldenstand an irgendeinem Rechner einer Wallstreetbank. Der Nachteil ist, dass er wieder abgeschafft werden kann. Hätten nicht alle Staaten zum 1. Weltkrieg den Goldstandard sofort abgeschafft, wäre der Krieg nach drei Wochen vorbei gewesen, denn der Staat hätte die Soldaten nicht mehr zahlen können. Da man den Goldstandard abschaffen kann – wie durch Präsident Nixon Anfang der 70er Jahre – ist es das Einfallstor für das, was wir nun erleben.

Epoch Times: Haben Sie Kenntnis darüber, ob die Regierung oder andere Institutionen so genannte Think Tanks unterhalten, um Zukunftsmodelle für die Wirtschaft zu entwickeln?

Martin: Nein! Natürlich gibt es Think Tanks, Universitäten und Institute mit verschiedenen Modellen. Aber dass eine Regierung ein extra Departement unterhielte, das sich mal grundlegend Gedanken macht, wie eine wirklich funktionierende Wirtschaft auszusehen hat, kenne ich nicht und glaube auch nicht, dass es so etwas gibt.

Ich möchte einen Appell an die Politik richten, egal in welcher Form, ob G20 oder alle anderen Gremien: Sie sollen nicht so weitermachen wie bisher, mit Billionen um sich werfen, sondern wirklich die Dinge von Grund auf reformieren. Ein da Capo ist unausweichlich, wenn wir so tun als, ob nichts geschehen sei.

Epoch Times: Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Jacob Porstmann.

Erschienen in The Epoch Times Deutschland Nr. 29/09

(Dr. Paul C. Martin)
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