„Alles Faschos außer Mutti“: Linker Historiker spottet über inflationären Gebrauch des Faschismus-Begriffs

Der Politikwissenschaftler und Historiker Jan Gerber wirft der Linken „eine Art Totenbeschwörung“ vor, wenn diese versuche, Wahlerfolge sogenannter „Rechtspopulisten“ zu einer Wiederkehr des Faschismus zu stilisieren. Sie trage damit zum Verfall politischer Unterscheidungsfähigkeit und historischer Urteilskraft bei.
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Das Denkmal " Courage" in Weißrussland.Foto: iStock
Von 29. September 2018

Das beliebte Spiel mit der Faschismuskeule stand einst auch an der Wiege der „Jungle World“. Ihr Entstehen geht auf das Jahr 1997 zurück, als in der steinzeitmarxistischen ehemaligen FDJ-Zeitung „Junge Welt“ ein Arbeitskampf zwischen dem Geschäftsführer Dietmar Koschmieder und einer Mehrheit der Belegschaft ausgebrochen war.

Schnell eskalierte dieser damals zu einer grundlegenden Auseinandersetzung um die künftige Blattlinie, wobei Akteure wie der heutige „Compact“-Chefredakteur Jürgen Elsässer oder Ivo Bozic eine strikt „antinationale“ Ausrichtung anmahnten. Dem standen die selbsternannten „antiimperialistischen“ Kräfte gegenüber, aus deren Reihen dann die Antifa schon mal als „Anti-8×4“ geschmäht wurde, was prompt Gegenvorwürfe wie „Nationalbolschewismus“ zur Folge hatte. „Taz“-Kolumnist Wiglaf Droste spöttelte damals: „Wer zuerst ‚Faschist‘ sagt, hat gewonnen.“

Am Ende wurden aus dem Projekt zwei Zeitungen. Koschmieder hat sich im Machtkampf im eigenen Hause durchgesetzt und die „Junge Welt“ als orthodox-kommunistische Leitpublikation weitergeführt, die sich mittlerweile ihren Markt jedoch mit gleichgesinnten Projekten wie „NachDenkSeiten“, „KenFM“, „RT Deutsch“ oder „Rubikon“ teilen muss. Die „Jungle World“ hat es demgegenüber geschafft, eine „antideutsche“ Querfront ins liberal-interventionistische und neokonservative Spektrum hinein zu eröffnen.

Beide sehen sich immer noch als Sprachrohre einer authentischen „aufgeklärten“ und „emanzipatorischen“ Linken und legen deshalb auch großen Wert auf den „Antifaschismus“. Wesentliche Unterscheidungsmerkmale sind dabei jedoch die jeweils daraus abgeleiteten Positionen zum „Neoliberalismus“, zu Israel, zur Politik des Kremls, zu Syrien oder zum Iran.

Im Ergebnis bedeutet das etwa, dass die „Junge Welt“ im Namen des „Antifaschismus“ Russland gegenüber den nationalistischen Freiwilligenbataillonen in der Ukraine den Rücken stärken will, die „Jungle World“ hingegen das exakte Gegenteil.

Die Antifa, die Kirche und Madeleine Albright in einem Boot

Wie es aussieht, scheint der eine oder andere Akteur in und um die „Jungle World“ jedoch von der Übervölkerung des Landes mit „Antifaschisten“ langsam die Nase voll zu haben. Der Politikerwissenschaftler Jan Gerber, der jüngst das Buch „Karl Marx in Paris: Die Entdeckung des Kommunismus“ auf den Markt brachte, sieht in der Praxis, Andersdenkende wahllos als „Faschisten“ abzuqualifizieren, „eine Art Totenbeschwörung, vor der bereits Karl Marx gewarnt hatte“. Gerber spielt damit auf das Werk „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ an, das Marx 1852 unter dem Eindruck des Staatsstreichs Louis Napoleons im Jahr zuvor verfasst hatte.

In einem Essay für das Blatt unter dem Titel „Alles Faschos außer Mutti“ bestreitet er, dass der Aufstieg souveränistischer Kräfte von Donald Trump über Putin, Orban, Erdoğan oder Kaczynski bis hin zu Salvini eine „Wiederkehr des Faschismus“ darstelle – auch wenn dies weitgehend der Konsens von den Feuilletons über gewerkschaftliche oder kirchliche Akademien bis hin zu Ex-US-Außenministerin Madeleine Albright sei, die jüngst sogar ein Buch dazu veröffentlicht hatte.

Gerber nimmt vor allem Anstoß an der offenbar weit verbreiteten Unkenntnis über den historischen Faschismus, dessen Charakteristika und dessen Abgrenzungsmerkmale gegenüber anderen autoritären Bewegungen oder dem totalitären Nationalsozialismus.

„Der namensgebende italienische Faschismus besaß zwar eine große Anziehungskraft, trotzdem hatten die autoritären Bewegungen und Regimes, die seinerzeit in dessen Nähe gerückt wurden, oft nur wenig gemeinsam“, betont Gerber. „Insbesondere die Linke warf religiöse Vereine wie die rumänische Eiserne Garde oft in denselben Faschismustopf wie die areligiöse NSDAP. Auch modernistische Bewegungen wie Mussolinis Schwarzhemden, die sich unter anderem auf den Futurismus ­bezogen, wurden umstandslos als faschistisch bezeichnet wie antimoderne Parteien nach dem Vorbild der slow­akischen Ludaken.“

Vom Sozialfaschismus zur Agententheorie

Wenn man beispielsweise bedenkt, dass die entschlossensten „Antifaschisten“ im Österreich der Jahre 1933 bis 1938 die Nationalsozialisten waren, die 1934 sogar den Kanzler des austrofaschistischen Ständestaats, Engelbert Dollfuß, bei einem Putschversuch ermordeten, wird klar, warum eine solche Begriffsverwirrung weder aus Absicht noch aus Versehen angebracht ist.

„Unter den gegenwärtigen Bedingungen trägt die Linke zum Verfall politischer Unterscheidungs-fähigkeit und historischer Urteilskraft bei“, klagt Gerber – und verweist darauf, dass dies nicht das erste Mal sei, dass dies geschehe.

So hatte einst die „Sozialfaschismus“-These der Komintern während der Ära Stalins sogar die Sozialdemokratie der faschistischen Internationale zugeschlagen, bis Georgi Dimitroff 1935 eine Neudefinition des Begriffs „Faschismus“ vornahm. Dieser zufolge sei dieser die „offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“.

Der Faschismus sei demnach der „Agent der Bosse“ – und beschützte demnach die Großindustrie vor dem revolutionären Ansturm des Proletariats, das nur noch seine Ketten zu verlieren hatte.

Diese Lesart ermöglichte es den Kommunisten zum einen, den sozialistischen Charakter des Nationalsozialismus in Abrede zu stellen, zum anderen wich man damit unangenehmen Fragen aus, ob die arbeitenden Massen Mussolini oder Hitler tatsächlich so feindselig gegenüberstanden wie es dem linken Narrativ entsprach. In diesem Sinne verwirft auch Gerber die „Agententheorie“ und schreibt:

„Dimitroff lag allerdings falsch, denn er erwähnte weder die Massenbasis, die Mussolini und Hitler ins Amt gebracht hatte, noch, dass das Verhältnis der neuen Machthaber zu den alten Eliten in Wirtschaft und Politik alles andere als konfliktfrei war. In Deutschland wurde ein Teil dieser Elite 1938 sogar entmachtet. Dennoch hatten die Kommunisten um Dimitroff angesichts des Naziterrors erkannt, dass die neuen Regimes von anderer Qualität waren als die sozialdemokratischen Präsidialkabinette, die sie zuvor als faschistisch denunziert hatten.“

Unterschiede zwischen „Rechtspopulisten“ möglicherweise größer als zwischen Linksparteien

Vor allem jedoch sei keine der gängige Faschismustheorien, so betont der Historiker und Politikwissenschaftler am Dubnow-Institut, auf den heutigen „Rechtspopulismus“ anzuwenden.

„Wer den Aufstieg von Viktor Orbán, Donald Trump, Matteo Salvini oder Jarosław Kaczyński nach faschismustheoretischem Muster erklären will, muss dem Denken und der Empirie schon Gewalt antun“, erklärt Gerber.

„Denn weder wurde die herrschende Ordnung in den vergangenen Jahren massenhaft vom revolutionären Proletariat unter Beschuss genommen, noch haben die meisten dieser Politiker eine schlagkräftige Massenbewegung hinter sich. Ihre Anhänger werden in der Regel nicht für einen Marsch auf Rom, die Feldherrnhalle oder für Saalschlachten mobilisiert, sondern allenfalls für den Gang zur Wahl. Zudem scheut das Establishment zumeist das Bündnis mit ihnen: Es gibt kaum jemanden, der so vor den sogenannten Rechtspopulisten zittert wie die etablierten Parteien.“

In weiterer Folge deutet Gerber auch die zum Teil sehr deutlichen weltanschaulichen Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Bewegungen an. Und er liegt damit nur allzu richtig. Wer einen genauen Blick auf Herkunft, Hintergründe und politische Ziele der unterschiedlichen Anti-Establishment-Bestrebungen wirft, wird unweigerlich feststellen, dass es zwar grundlegende Gemeinsamkeiten wie EU-Skepsis oder der Ablehnung größerer Einwanderungsbewegungen, insbesondere aus islamischen Ländern, gibt.

Darüber hinaus existieren zwischen Parteien wie der PVV von Geert Wilders, der Fünf-Sterne-Bewegung oder der tschechischen Ano bis hin zur polnischen PiS, der ukrainischen Radikalen Partei oder dem „Einigen Russland“ jedoch jede Menge Unterschiede. Diese reichen von der Ausrichtung der Wirtschaftspolitik über die Rolle der Kirche, Fragen wie Abtreibung oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften bis hin zu Geopolitik oder Ökologie.

„Die Gemeinsamkeiten mit dem historischen Faschismus sind oft noch geringer“, betont Gerber.

„Denn welche dieser Parteien basiert auf dem Prinzip von Führer und Gefolgschaft, das einmal maßgeblich zur Anziehungskraft des Faschismus beitrug? Wie viele von ihnen verherrlichen die Kraft, die Jugend, die Gewalt und die Revolte gegen den Rationalismus? Und wo werden Kampf, Krieg, Soldatentum bejubelt? All das sind die ideologischen Kernbestand­teile des historischen Faschismus, wie sie Zeev Sternhell und andere schon vor Jahrzehnten herausgearbeitet ­haben.“

„Müllhalde für jede Art von Missstand“

Um trotz der fehlenden Gemeinsamkeiten von einer Faschisierung sprechen zu können, müsse man entweder auf Nonsens-Formeln wie „Faschismus ohne Faschismus“ des ungarischen Philosophen G. M. Tamás zurückgreifen, was etwa so sinnvoll sei, wie vom „Denken ohne Denken zu sprechen“. Oder der Faschismusbegriff müsse „zu einer Art Mülldeponie für jede Art von Missstand, Unrecht, politischer Abweichung und schlechtem Karma gemacht werden“.

Für die heutige Situation in Deutschland, wo regelmäßig bereits öffentlich geäußerter Unmut über die Politik der Bundeskanzlerin bei selbstberufenen Nazijägern alle Alarmglocken schrillen lässt, hat Gerber nur Hohn übrig:

Alles Faschos außer Mutti, heißt das heimliche Motto dieser begriffslosen Gleichsetzung. Die Linke fällt so noch hinter Dimitroff zurück, dem zumindest an einer klaren Definition gelegen war. Der Begriff des Faschismus verwandelt sich endgültig von einer analytischen Kategorie in das, was er ­immer auch war: Er regrediert zum Kampfbegriff.“

Der Verfall politischer Unterscheidungsfähigkeit und historischer Urteilskraft, zu dem die Linke auf diese Weise beitrage, mag auch einen Anteil am Aufstieg von AfD, Lega, Ano und Co. haben, diagnostiziert der Autor. Sie sei „trotzdem weitaus gefährlicher als all diese Parteien und Bewegungen zusammen“.



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