Herrscher auf dem „Gesundheitsmarkt“ – die Apothekenumschau

Titelbild
Alle 14 Tage werden Krankheiten so professionell präsentiert wie ein 5-Sterne-Menü, auf das man Appetit bekommt.Foto: Screenshot
Von 28. Juli 2014

Kein medizinisches Fach-Buch, kein Gesundheits-Ratgeber, kein Magazin beherrscht das Konsumverhalten der deutschen Bevölkerung so nachhaltig wie die APOTHEKEN-UMSCHAU, für die Deutschlands rund 21.000 Apotheken fast 100 Millionen Euro pro Jahr bezahlen. Das Marketing-Konzept ist geradezu genial, weil alle 14 Tage Krankheiten professionell präsentiert werden, wie ein 5-Sterne-Menü, auf das man Appetit bekommt. Im Fernsehen wird ständig für das Magazin durch den Schauspieler Sky Dumont geworben.

Die APOTHEKEN-UMSCHAU ist handwerklich sehr gut gemacht; mehrfach wurden Geschichten aus der Umschau mit Journalistenpreisen ausgezeichnet. Neben Artikeln ist das Magazin prallvoll mit dem, was jeder Verlagsmanager gerne sieht: Anzeigen. Für Medikamente und Reisen, Badewannenlifte und Gedenkmünzen.

Der tatsächliche Heftpreis variiert offenbar stark je nach abgenommener Stückzahl und hängt zudem von weiteren Faktoren ab. Jedes Extra wie etwa den zwölfseitigen Rätselteil oder das bei kranken Kunden besonders gefragte Fernsehprogramm – das „TV“ eben – müssen die Apotheker extra bezahlen.

Rolf Becker (1920 – 2014) erfand die APOTHEKEN-UMSCHAU

„Der Pate im deutschen Gesundheitsmarkt“ wurde Rolf Becker ironisch-respektvoll in den Medien genannt ebenso wie anerkennend der „Mäzen für Kunst & Musik“.

In Baierbrunn, am Isartal-Hochufer vor den Toren Münchens, nicht weit von Starnberg entfernt,  führte Rolf Becker, seit mehr als fünf  Jahrzehnten einer der mächtigsten Männer des deutschen Gesundheitsmarktes,  sein Imperium „WORT und  BILD“, das zweimal im Monat eines der auflagenstärksten Magazine der Print-Medien herausbringt: die APOTHEKEN-UMSCHAU. Die verkaufte Monatsauflage liegt z.Zt. bei  fast 10 Millionen Exemplaren. Eine ganzseitige Anzeige kostet 105.000.- Euro.

Am 15. Februar dieses Jahres starb Rolf Becker in einer Münchner Klinik im Alter von fast 94 Jahren.

 Die APOTHEKEN-UMSCHAU ist das weltweit erfolgreichste Gesundheitsmagazin – gratis für alle Leser, die Apotheker zahlen pro Exemplar durchschnittlich 0,50 €.  Diverse Apotheker fühlen sich geradezu erpresst. Viele Kunden kommen nur in die Apotheken wegen des TV-Programms und nehmen sich ohne Medikamentenkauf ein Gratisexemplar mit. In Fernsehspots zur besten Sendezeit fordert der Verlag  dazu auf, in der Apotheke nach dem Heft zu fragen.

Vier Millionen Deutsche besuchen täglich eine Apotheke

Im EU-Vergleich liegt die Dichte der Apotheken in Deutschland unter dem EU-Schnitt. Auf eine Apotheke kommen etwa 3.800 Einwohner. In Griechenland sind es nur 1.200 Ew./pro Apotheke, in Dänemark 17.200.

Der Hinweis „Bezahlt von Ihrem Apotheker“ auf dem Cover ist durchaus ernst zu nehmen. Das kann für Apotheker schon ins Geld gehen.

Das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) ermittelte im Herbst 2011 im in einer Befragung, dass für 40 Prozent der Kunden das „Angebot an Kundenzeitschriften“ ein wichtiges Kriterium sei. Die APOTHEKEN-UMSCHAU wird so zu einer Marketingausgabe, der die Unternehmer schwer entrinnen können und die sie der IFH-Studie zufolge durchschnittlich 5.000 Euro pro Jahr kostet. Bundesweit, errechnete das Institut, zahlt die Apothekerschaft der „UMSCHAU“  jährlich rund 100 Millionen Euro.

Dass die Magazine in der Regel nach zwei, drei Tagen vergriffen sind, zeigt, wie groß das Kundeninteresse sei.

Die Standesorganisation der Apotheker besaß vor mehr als 50 Jahren schon ein eigenes Verlagshaus, den Govi-Verlag, der neben Fachbüchern und Fachzeitschriften auch die „Neue Apotheken-Illustrierte“ (NAI) herausgab. Doch seine eigentliche Zielgruppe waren lange Zeit Apotheker und pharmazeutisches Personal, ein Magazin für den breiten Publikumsgeschmack wurde eher stiefmütterlich behandelt und vertrug sich wohl auch nur schwer mit dem Standesdünkel.

Rolf Becker baute derweil konsequent seine Marktposition aus. Der „APOTHEKEN-UMSCHAU“ ließ er das Magazin „junge mutti“ folgen, das heute unter dem Titel „Baby und Familie“ in den Apotheken liegt, neben „medizini“, dem „Diabetes Ratgeber“ und dem „Senioren Ratgeber“. Beckers WORT und BILD Verlag beschäftigt mittlerweile 220 Mitarbeiter und kommt mit seinen Magazinen eigenen Angaben zufolge monatlich auf 39 Millionen Leserkontakte.

Die Konkurrenz hat es schwer auf diesem Markt

Wenn auch deutlich dünner, versucht die „Neue Apotheken Illustrierte“ heute, dieselben publikumsnahen Themen abzuarbeiten. „Erkältungstipps im Herbst, Heuschnupfen im Frühjahr – das alles finden Sie hier wie dort“, sagt Chefredakteurin Jutta Petersen-Lehmann, deren Blatt ebenfalls zweimal im Monat in einer Auflage von jeweils gut 500.000 Heften erscheint.

Bundesweit gibt es mittlerweile eine Handvoll ernst zu nehmender Apotheken-Magazine. Im Jahr 2010 startete etwa ein extrem aufwendig produzierter Titel namens „Praxis pur“, der für die Apotheker kostenlos sein sollte. Doch gegen die Macht der Platzhirsche kam das Blatt offenbar nicht an – es blieb bei der Nullnummer. „Der Markt ist hart umkämpft“, sagt Jutta Petersen-Lehmann.

Dennoch greift die überwiegende Zahl der Apotheken – dem Institut für Handelsforschung zufolge 95 Prozent – nach wie vor zu dem Heft, das die Kunden aus der Werbung kennen.

Eine einmalige Nachkriegskarriere

Rolf Becker, am 5. Juni 1920 in Jüterborg/Brandenburg geboren, hat im Jahr 1955 den Verlag „WORT und BILD“ gegründet, er ist seit 1944 verheiratet, hat zwei Söhne, einer davon ist promovierter Facharzt für Allgemeinmedizin, der heute das Unternehmen mit einem promovierten Apotheker leitet. Rolf Becker wurde im Krieg schwer verwundet.

Bis 2007 war Rolf Becker noch selbst im operativen Geschäft tätig – bis zu seinem Tod war er alleiniger Inhaber. Bankkredite werden nicht benötigt.

Rolf Becker wurde mit den höchsten Auszeichnungen dekoriert: Bayerischer Verdienstorden; Ehrenbürgerschaften der Gemeinden Pullach und Baierbrunn; Ehrenmitglied der Akademie der schönen Künste; Ehrensenator der Ludwig-Maximilians-Universität; Kulturpreis der Eduard-Rhein-Stiftung; Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland; Commendatore dell’Ordine al Merito della Republica Italiana; Premio Europeo „Lorenzo il Magnifico“, Florenz; Großes Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik Österreich; La Gran Cruz de la Orden del Mérito Civil;

Obwohl ihm die "APOTHEKEN-UMSCHAU“ gehörte, war der Verleger Rolf Becker unbekannt: Kein Zeitungsartikel würdigte seine einmalige Nachkriegskarriere. Weder in Fach- oder Boulevardmedien noch in Bild- oder Textarchiven hat der Wort und Bild-Eigentümer Spuren hinterlassen. Selbst in der Publikation zum 50-jährigen Firmenjubiläum hielt Becker sich vornehm zurück. Presserummel, Fernsehauftritte oder Galas waren ihm fremd. „Ich habe eine Einladung zur Bambi-Verleihung erhalten, aber das ist nichts für mich.“

Rolf Becker traf man nicht auf Golfplätzen und Glamour-Parties, dafür an seinem Schreibtisch ab 8 Uhr morgens in Baierbrunn. Die wichtigsten Entscheidungen traf er immer noch selbst.

Die Fusion der Zeitschrift „Gesundheit“ mit der „APOTHEKEN-UMSCHAU “ im Sommer 2005 war die Idee des Seniors. Die Gestaltung der Titelseiten, die TV-Werbung für die „APOTHEKEN-UMSCHAU “ oder die Urlaubspläne jedes einzelnen Angestellten: der Verleger hatte jedes Detail unter Kontrolle.

Schnelle und unabhängige Entscheidungen kennzeichneten Beckers Führungsstil, aber auch Großzügigkeit. Denn welcher Chef startet schon mit der gesamten Belegschaft zu einem Betriebsausflug nach Moskau? Oder lädt Stargeiger Gidon Kremer oder die Pianisten Martha Argerich und Jewgeni Kissin zum Privatkonzert ein?

Geschäftsmann und leidenschaftlicher Kunstlförderer

21.000 deutsche Apotheken kaufen die bayerischen Gesundheitszeitschriften und verschenken diese Hefte an ihre Stammkunden. Die Magazine bieten Beratung für das ganze medizinische und hypochondrische Spektrum. Blasenschwäche, Sodbrennen oder Krampfadern, das sind die großen Themen, sie liefern bei der „APOTHEKEN-UMSCHAU “ den Lesestoff für eine Zielgruppe mit garantiertem Leidensdruck. Denn wer die Apotheke aufsucht, hat Hilfe nötig: Ob man nun Erkältungsviren bekämpfen will oder Haarausfall.

Den rasanten Erfolg in den vergangenen Jahren verdankte Becker auch massiver Fernsehwerbung. Meist im Vorabendprogramm laufen die Werbespots mit der kuriosen Aufforderung, die lesbaren Geschenkartikel beim Apotheker zu verlangen: „Fragen Sie beim nächsten Einkauf danach!“

Die Freiheit der Berichterstattung stößt jedoch an die selbst auferlegten Grenzen einer Kundenzeitschrift. Die Mitarbeiter wissen, ein kritischer Bericht über Naturalrabatte, die mancher Apotheker nutzte, um Gratis-packungen der Pharmahersteller zum Listenpreis an die Kundschaft zu verkaufen, ist schlicht undenkbar.

So energisch wie er das Verlagsgeschäft betrieb, so leidenschaftlich förderte Becker die Kunst. Dem Bundeskanzleramt spendierte er eine Stahlskulptur des Spaniers Eduardo Chillida, der auch das Metallgebilde schuf, welches höchst geschmackvoll vor dem Wort und Bild-Eingang rostet.

Weil er als Wohltäter für Senioren, Feuerwehr, Sportler oder Künstler so aktiv war, spürte man ihn überall, obwohl man ihn in seinem Wohnort kaum sah. So war Rolf Becker in Baierbrunn den Apotheken und den Medien mehr Phantom denn sichtbare Prominenz.



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