Denkanstöße für eine nach Osten wachsende EU

Bundeskanzler Olaf Scholz hat eine europäische Grundsatzrede in Prag gehalten – zu einer Neuausrichtung Europas mithilfe alter Ideen.
Denkanstöße für ein nach Osten wachsendes Europa
Bundeskanzler Olaf Scholz am Rednerpult der Karls-Universität in Prag (29. August 2022).Foto: MICHAL CIZEK/AFP via Getty Images
Von 1. September 2022

Europa soll schneller und handlungsfähiger werden – und es soll wachsen. Das bekräftigte Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner europapolitischen Grundsatzrede vor Studenten der Karls-Universität in Prag.

Im Kern möchte er dafür zwei Mittel einsetzen. So soll die Einstimmigkeit dem Mehrheitsentscheid weichen. Auch möchte der SPD-Politiker Gremien in der Europäischen Union verschlanken.

Jedes Land muss Gehör finden

Beide Ideen sind nicht neu. So räumte Scholz ein, „mein Werben für Mehrheitsentscheidungen ist gelegentlich kritisiert worden, und ich kann die Sorgen gerade der kleineren Mitgliedstaaten gut nachvollziehen.“

Auch in Zukunft müsse jedes Land mit seinen Anliegen Gehör finden. „Alles andere wäre ein Verrat an der europäischen Idee.“ Daher müsse man sich auf Kompromisse einigen.

So könne man mit Mehrheitsentscheidungen in Bereichen beginnen, „in denen es ganz besonders darauf ankommt, dass wir mit einer Stimme sprechen.“ Als Beispiel nannte er die Sanktionspolitik oder Fragen der Menschenrechte.

Auch werbe er „für den Mut zur konstruktiven Enthaltung“. Dabei sehe er alle in der Pflicht, die von Mehrheitsentscheidungen überzeugt seien. „Wenn möglichst viele dieser Idee folgen, kommen wir einem weltpolitikfähigen, geopolitischen Europa deutlich näher“, glaubt der Bundeskanzler.

Gremien nicht weiter aufblähen

Auch das Europäische Parlament und die Europäische Kommission dürften nicht weiter „aufgebläht“ werden, sonst stehe ihre Handlungsfähigkeit auf dem Spiel. Scholz wolle nicht an dem Grundsatz „Eine Kommissarin oder ein Kommissar pro Land“ rütteln.

„Aber was spricht dagegen, dass zwei Kommissionsmitglieder gemeinsam für eine Generaldirektion zuständig sind? Das funktioniert nicht nur in Entscheidungsgremien von Unternehmen weltweit Tag für Tag“, warb der Kanzler für seinen Vorschlag. Europäische Regeln ließen sich ändern, selbst die europäischen Verträge seien nicht in Stein gemeißelt.

Tschechen sehen Mehrheitsentscheid kritisch

Dass die Abkehr von der Einstimmigkeit umstritten ist, machte dann auch Scholz‘ Gastgeber, der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala, deutlich, den der Kanzler im Anschluss an seine Rede traf. Seine Regierung sei weiterhin sehr kritisch, was die Hinwendung zum Mehrheitsentscheid angehe. Diese würde sich hingegen aber nur einstimmig durchsetzen, zitierte das ZDF auf seiner Internetseite Fiala.

Scholz habe zwar viel Richtiges gesagt, aber eigene Lösungsvorschläge habe er vermissen lassen, merkte die „taz“ in ihrer Analyse an. Doch die hatte der Kanzler wohl auch gar nicht auf der Agenda.

„Ideen sind das, wohlgemerkt, Angebote, Denkanstöße, keine fertigen deutschen Lösungen“, kommentierte Scholz seine Ausführungen. Deutschland müsse Vorschläge liefern und sich bewegen. „Deutschlands Verantwortung für Europa liegt für mich darin, dass wir zusammen mit unseren Nachbarn Lösungen erarbeiten und dann gemeinsam entscheiden“, verdeutlichte er seine Vorstellungen.

Pragmatisches Handeln gefragt

Dass die EU weiter in Richtung Osten wächst, sei für alle „ein Gewinn“. Mit jedem weiteren Mitgliedsstaat wachse aber auch das Risiko, dass ein einzelnes Land mit seinem Veto alle anderen am Vorankommen hindere.

„Wer anderes glaubt, der verleugnet die europäische Realität“, sagte Scholz und betont, dass im Rat der EU, auf der Ebene der Ministerinnen und Minister, schnelles und pragmatisches Handeln gefragt sei. „Das muss auch in Zukunft gesichert sein.“

Europa müsse sich unabhängiger von russischen Energielieferungen machen. Daher baue man Alternativen zur Versorgung mit Flüssiggas und Erdöl auf. Seinen Wohlstand verdanke Europa dem Handel. Daher dürfe man dieses Feld nicht anderen überlassen. „Deshalb brauchen wir auch weitere, nachhaltige Freihandelsabkommen und eine ambitionierte Handelsagenda“, forderte Scholz.



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