Rezession nimmt Gestalt an: Jetzt rutscht auch Deutschlands Dienstleistungssektor ab

Mehrere Indikatoren und Einschätzungen führender Wirtschaftsforscher senden eine eindeutige Botschaft: Die Rezession in Deutschland nimmt Gestalt an. Hatten sich die Alarmzeichen bislang vor allem auf die Industrie bezogen, erfasst die Flaute nun auch den bislang stabilen Dienstleistungssektor. Dies bleibt nicht ohne Folgen für den Arbeitsmarkt.
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Logistikzentrum des Versandhändlers Amazon. Symbolbild.Foto: Ina Fassbender/dpa
Von 29. August 2019

Wie die „Welt“ schreibt, ist der Beschäftigungsindex des Münchner ifo-Instituts im August um 1,4 auf 98,1 Punkte gefallen, was den schlechtesten Wert seit fast fünf Jahren darstellt. Insbesondere im Bereich der Dienstleistungen sei demnach der Rückgang so deutlich wie zuletzt im Dezember 2007. „Die Dienstleister fallen als Beschäftigungsmotor nach und nach aus“, heißt es aus München. Damit schlägt die Rezession, die in der Industrie begonnen hat, nun auch auf den Dienstleistungssektor durch.

Auch die Bundesagentur für Arbeit meldet, dass der Stellenindex BA-X im August auf 242 Punkte nachgegeben hat – ein Minus von einem Prozentpunkt gegenüber Juli und von zehn Punkten gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das Arbeitsmarkt-Barometer des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gab ebenfalls im 0,4 Prozent nach.

Sabine Klinger, stellvertretende Leiterin des Forschungsbereichs Prognosen und Gesamtwirtschaftliche Analysen des Instituts, erklärt, es verfestige sich ein Trend, der sich punktuell bereits in den Monaten zuvor abgezeichnet habe. Erst habe der Beschäftigungsaufbau nachgelassen, nun stagniere er und im Bereich der Leiharbeit werde sogar Personal abgebaut. Betroffen seien vor allem Metall, Elektroindustrie und Logistik als stark exportabhängige Branchen.

Keine zeitnahe Wende in Sicht

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung vermag diese Einschätzung mit Zahlen zu untermauern und spricht von einem kontinuierlichen Sinken der Zahl der Leiharbeiter von 850 000 im Mai 2018 auf 753 000 im Mai dieses Jahres. Der Ökonom Eric Seils, der an der Einrichtung tätig ist, sieht die abflauende Konjunktur als maßgeblichen Faktor und sieht keine zeitnahe Wende:

Das Entlassungsrisiko der Leiharbeiter ist gestiegen, und es wird weiter steigen, falls es zur Rezession kommt. Die Betroffenen wandern in die Arbeitslosigkeit,“ erklärte Seils gegenüber der „Welt“.

Einen Anlass zur Panik sieht man in den Reihen der Experten noch nicht. Immerhin sei die Indexzahl des BA-X bezogen auf die vorherigen Jahrzehnte nach wie vor hoch und mittlerweile befinden sich 70,3 Prozent, so der Wert für 2018, aller Beschäftigten in Deutschland in einem Normalarbeitsverhältnis mit 40-Stunden-Woche, unbefristetem Vertrag und Sozialversicherung. Weibliche Erwerbstätige hätten sogar ihre Arbeitszeit auf mehr als 20 Stunden oder Vollzeit erhöht.

Dennoch müsse man die Situation im Auge behalten. Sabine Klinger sieht Chancen, in Anbetracht des demographischen Wandels Beschäftigung zu stabilisieren, indem man konjunkturabhängige Branchen stärke – wie Gesundheit, Bildung und Erziehung. Auch der Fachkräftemangel bewirke immerhin die Aussicht auf eine gewisse Entlastung:

Die Unternehmen haben gelernt, wie schwer es ist, gute Beschäftigte zu finden. […] Deshalb halten sie inzwischen länger an Beschäftigten fest – auch wenn sie vor schwierigeren Zeiten stehen.“

Probleme vor allem hausgemacht

Der Fachkräftemangel stellt jüngsten Erhebungen zufolge nach wie vor die größte Sorge der deutschen Unternehmen dar. Nicht weniger als 61 Prozent der Befragten halten es für ein „großes Risiko für ihre Geschäftsabläufe“, dass sie wichtige Positionen in ihren Unternehmen künftig möglicherweise nicht mehr besetzen können.

Bereits in einer früheren Studie im März dieses Jahres hatten die Wirtschaftstreibenden diese Sorge geäußert. Die Rede war von einem zweistelligen Milliardenbetrag als Wertschöpfungsverlust allein für das Jahr 2006 – und einem Trend, der sich seither ungebrochen fortsetze.

Eine Umfrage, die das in Köln ansässige Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) im Frühjahr unter 2400 deutschen Unternehmen durchgeführt hatte und über die der „Focus“ berichtete, widerspricht der Einschätzung der Politik, es seien vor allem externe Faktoren, unter denen Deutschlands Wirtschaftsentwicklung leide.

Zwar würden der Handelskrieg und ein möglicher No-Deal-Brexit ein Risiko für große Unternehmen darstellen, die direkt mit dem Ausland Geschäfte machten, erklärt IW-Ökonom Jürgen Matthes. Dies sei jedoch bei einem Großteil der deutschen Unternehmen nicht der Fall.

Stattdessen fürchten die Unternehmen hauptsächlich die Folgen politischer Entscheidungen im eigenen Land, die zu mehr Gängelung, mehr Bürokratie, weniger Freiheit und höheren Kosten führen.

Kurzarbeit gegenüber dem Vorjahr verdreifacht

Jedes dritte Unternehmen nennt in diesem Zusammenhang ein stetig wachsendes Streben nach Umverteilung, das – neben der Steuerbelastung – auch zu höheren Lohnnebenkosten und mehr Beeinträchtigungen eines freien Arbeitsmarktes führt.

Im Mai dieses Jahres erhielten zudem 41 000 Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld, das seien dreimal so viele im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion hervor. Auch dieser Anstieg stellt ein Indiz für eine sich abschwächende Konjunktur dar.

Aus der SPD kommt nun der Vorschlag, Kurzarbeitsphasen mit Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer zu verknüpfen. Dies forderte jüngst etwa Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP, Johannes Vogel, betont demgegenüber, dass es nun an der Zeit wäre, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren, die Rentenkassen nicht zusätzlich zu belasten und den Solidaritätszuschlag vollständig abzuschaffen.



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