Wer kriegt schneller die Kurve? Merkel oder Nahles? Nach dem Hessen-Debakel könnten sie die Notbremse ziehen

Ähnlich wie in Bayern erlebten Union und SPD bei der gestrigen Landtagswahl in Hessen einen Absturz. Die AfD konnte neun Prozent zulegen und ist mit 13,1 Prozent künftig im Parlament vertreten, die Grünen legten um 8,7 Prozent zu und sind nun knapp zweitstärkste Kraft. Ob die Große Koalition die wahlfreie Zeit bis Mai 2019 aussitzen wird, ist ungewiss.
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Neueste Meldung - Merkel wird vom Parteivorsitz zurücktreten.Foto: Thomas Lohnes/Getty Images
Von 29. Oktober 2018

Bei den gestrigen Landtagswahlen in Hessen wiederholte sich mit Nuancen das, was sich vor 14 Tagen auch in Bayern vollzogen hatte: Die Union verlor in etwa in gleichem Ausmaß nach links an die Grünen und nach rechts an die AfD. Die SPD stürzte ebenfalls ab, wobei sie im Verhältnis 3:1 nach links und rechts verlor. Allerdings startete sie in ihrer einstigen Hochburg von einem deutlich höheren Niveau aus als im Freistaat, wo sie schon fast zu den Splitterparteien gehört.

Die CDU verlor mit 11,3 Prozentpunkten am stärksten, blieb aber mit 27,0 Prozent der Zweitstimmen und immerhin 40 von 55 Direktmandaten stärkste Kraft. Auch insgesamt wird die Union im künftigen Landtag mit 40 von 137 Mandaten vertreten sein. Sie könnte nun eine Zweierkoalition mit den Grünen oder theoretisch auch der SPD bilden, die beide auf jeweils 19,8 Prozent kamen und künftig mit jeweils 29 Sitzen vertreten sein werden, wobei die SPD auf zehn und die Grünen auf fünf Direktmandate kamen. In beiden Varianten hätte das jeweilige Bündnis eine Mehrheit von einer Stimme. Ein Bündnis mit der SPD erscheint jedoch nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Beliebtheitswerte der Großen Koalition in Berlin als unrealistisch.

Für die SPD fühlen sich die 19,8 Prozent allerdings nach einem Minus von 10,9 Prozentpunkten deutlich anders an als für die Grünen, die mit massivem medialem Rückenwind ein Plus von 8,7 Prozentpunkten erreichen konnten. Etwas weniger als die AfD, die um neun Prozent zulegte und mit 13,1 Prozent viertstärkste Kraft wurde. Die Grünen wurden der amtlichen Wahlstatistik zufolge mit einem Vorsprung von 94 Stimmen zweitstärkste Partei.

CDU und SPD mit deutlichem Rückgang in ihren Hochburgen

Die Wahlbeteiligung war mit 67,3 Prozent um 5,9 Prozent niedriger als vor fünf Jahren – wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass diesmal nicht gleichzeitig auch die Bundestagswahl stattgefunden hat. Am höchsten war die Beteiligung im Stimmkreis Hochtaunus II mit über 70 Prozent, am niedrigsten in Frankfurt am Main I mit etwa 55.

Sowohl die CDU als auch die AfD erzielten im Stimmkreis Fulda II ihre besten Einzelergebnisse. Mit 37,1 Prozent lag die Union jedoch deutlich unter früheren Resultaten in dieser ländlichen Region, wo sie bis einschließlich 2013 regelmäßig absolute Mehrheiten errang und 2003 gar nahe an der 70-Prozent-Marke gelegen hatte. Mittlerweile gehen 18,2 Prozent der Landesstimmen dort an die rechtskonservative Konkurrenz. Das schlechteste Einzelergebnis der CDU war jenes in Darmstadt-Stadt I mit 17,9 Prozent. Insgesamt verlor die CDU gegenüber dem Rekordergebnis von 48,8 Prozent im Jahr 2003 unter Roland Koch in Hessen fast 560 000 Stimmen.

Die SPD konnte im Norden des Landes Schadensbegrenzung üben und war in den Stimmkreisen Kassel-Land II und I mit 31,4 bzw. 29,2 Prozent am stärksten. Gegenüber den absoluten Mehrheiten früherer Jahrzehnte war jedoch auch das nur ein schwacher Trost.

Die Grünen waren in Frankfurt am Main – Stimmkreis V war mit 32,7 Prozent Spitzenreiter – und Darmstadt am stärksten. In ländlichen Regionen wie Hersfeld (12,6 Prozent) oder Lahn-Dill (12,8 im Stimmkreis I) konnten sie hingegen keine bedeutenden Sprünge machen. Auch „Die Linke“ war vor allem in den Universitätsstädten zweistellig. Allerdings ließen frühere DKP-Hochburgen wie Dietzenbach, Mörfelden oder Langenselbold aus – in all diesen Städten lag die AfD deutlich vor den SED-Nachfolgern. Insgesamt kam „Die Linke“ auf 6,5 Prozent, ein Ergebnis, das deutlich unter jenem in den Wahlumfragen lag.

AfD unter Wählern mit Migrationshintergrund

Mit 7,5 Prozent und einem Plus von 2,5 Prozent konnte die FDP ihren Platz im Landtag souverän verteidigen, wobei der Stimmkreis Hochtaunus II mit 11,7 Prozent Spitzenreiter war. Anders als in Bayern reichte es in Hessen für die Freien Wähler nur zur sprichwörtlichen „Goldenen Ananas“. Mit 3,0 Prozent und einem Plus von 1,8 konnte die aus der Kommunalpolitik bekannte Formation zwar einen Achtungserfolg für sich verbuchen, der Landtagseinzug blieb für sie jedoch in weiter Ferne.

Insgesamt fiel bei den Landtagswahlen auf, dass die Grünen in den Großstädten mit 26 Prozent zur mit Abstand stärksten Partei aufstiegen, „Die Linke“ war dort mit durchschnittlich elf Prozent zweistellig. Die AfD erzielte dort demgegenüber nur neun Prozent. Zudem wählten 37 Prozent der jungen Frauen in Städten die Linksökologisten.

Bei Wählern mit Migrationshintergrund gab es gegenüber jenen ohne einen solchen hingegen einige bemerkenswerte Besonderheiten. So blieben SPD und Grüne unter Wählern mit Einwanderungsgeschichte mit jeweils 17 Prozent spürbar unter ihrem Gesamtergebnis, während AfD (14 Prozent), FDP (10 Prozent) und „Die Linke“ (8 Prozent) in dieser Bevölkerungsgruppe überdurchschnittlich abschnitten.

Die Landtagswahlen in Hessen waren die letzten in diesem Jahr. Es folgt eine Pause von mehr als einem halben Jahr, ehe am 26. Mai 2019 die deutschen Abgeordneten zum Europäischen Parlament, die Bremische Bürgerschaft und in mehreren Ländern die Kommunalparlamente neu bestimmt werden.

Ob die Große Koalition in Berlin unter Kanzlerin Merkel, die erneut böse gerupft wurde, die Situation weiter aussitzen will oder ob diese zerbrechen wird, ist offen. Für ein „Weiter so“ spricht – neben der spärlichen Dynamik und der nur peripher ausgeprägten Selbstkritikfähigkeit der Akteure – unter anderem, dass die schwarz-grüne Koalition sich gerade noch über den Schlussgong retten konnte. Ministerpräsident Volker Bouffier stellte sich gestern Abend dennoch als Wahlsieger dar – ohne nennenswerten Widerspruch durch ARD oder ZDF.

Außerdem präsentiert der mediale Mainstream die Grünen als strahlenden Wahlsieger, die allenfalls eine personelle, aber in kaum einem Bereich eine grundsätzliche inhaltliche Alternative zur Regierungspolitik darstellen würden.

Steingart: „Vorbereitungen auf SPD-Absprung beginnen bereits heute“

Medienmanager und Publizist Gabor Steingart rechnet hingegen mit einem Aus für das rot-schwarze Bündnis, und er meint, die Entscheidung darüber werde bereits heute Nachmittag zwar nicht fallen, aber vorbereitet werden.

Im Gespräch mit Steingart für dessen Podcast „Morning Briefing“ erklärte der frühere hessische SPD-Ministerpräsident Hans Eichel, der „historische Absturz“ der Partei habe seine Ursache nicht in Hessen, sondern in Berlin bei der Bundes-SPD. In dieser Woche, so Eichel, müsse „klar werden, ob diese Große Koalition wirklich in der Lage und willens ist, zu regieren“. Gäbe es keine Kanzlerin mehr, die noch über Autorität verfüge, wäre dies nicht mehr möglich.

Steingart geht davon aus, dass die SPD es sein werde, die die Notbremse zieht:

„Die SPD kann nicht mehr. Sie ist nicht nur die älteste, sondern auch die erschöpfteste Partei Deutschlands. Wenn die SPD ein Mensch wäre, würde man diagnostizieren: Sie leidet an Burn-out.“

Mit einem schnellen Ende der Koalition rechnet der Medienmanager trotzdem nicht. Dies liege vor allem an Angela Merkel. Diese suche zwar den Absprung, aber es sei kein Szenario für eine geordnete Nachfolge erkennbar.

„Sie ziert sich, sie zaudert, es fröstelt sie. Sie steht bereits auf dem Friedhof der politischen Macht und wartet darauf, in die Gruft geleitet zu werden. Der gestrige Abend hat ihr kein neues Leben geschenkt, nur Zeit gekauft.“



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