Ein Flächenbrand ohne sichtbaren Auslöser

Auffällig im Iran ist, dass es keinen aktuellen Auslöser und keine klare Führung der Proteste gibt, die sich zumeist auf die Provinz konzentrieren. Völlig unerwartet kommen die Proteste aber nicht, sagen Experten.
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Iran-Flagge.Foto: dmitry/iStock
Epoch Times3. Januar 2018

Alles begann am Donnerstag in Maschhad mit einer Demonstration einiger hundert Menschen vor dem Rathaus. Seitdem haben sich die Proteste im Iran auf das ganze Land ausgeweitet, mehr als 20 Menschen starben bereits bei Zusammenstößen.

Auffällig ist, dass es keinen aktuellen Auslöser und keine klare Führung der Proteste gibt, die sich zumeist auf die Provinz konzentrieren. Völlig unerwartet kommen die Proteste aber nicht, sagen Experten.

„Es ist nicht überraschend, dass es Proteste gibt. Der weit verbreitete Frust über die Lebensverhältnisse ist lange bekannt. Überraschend ist, dass die Demonstrationen keinen konkreten Auslöser hatten“, sagt Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Bei den Protesten, die bereits dutzende Städte erfasst haben, seien die Preissteigerungen der vergangenen Monaten nur ein Grund von vielen, meint sie.

„Wichtiger sind die hohen Erwartungen in der Bevölkerung, die nach der Atomvereinbarung von 2015 vor allem durch Präsident Hassan Ruhani selbst geweckt worden waren, aber nur zum Teil erfüllt worden sind“, sagt Zamirirad. Es habe zwar durchaus wirtschaftspolitische Fortschritte gegeben, doch habe die Bevölkerung allgemein davon wenig profitiert. Nun stünden weitere Subventionskürzungen sowie eine Erhörung der Benzinpreise an.

Ruhani hatte mit dem Atomabkommen von Juli 2015 die Aufhebung der im Atomstreit verhängten Finanz- und Handelssanktionen erreicht, doch hat die Bevölkerung davon nicht im erhofften Maß profitiert. Zwar hat Ruhani die Inflation eingedämmt und die Währung stabilisiert, doch bleibt gerade unter jungen Iranern die Arbeitslosigkeit hoch. Besonders die Ärmsten leiden unter dem Sparkurs Ruhanis und der Kürzung der Subventionen.

Ali Fathollah-Nejad sieht großen Unmut darüber, dass sich Teile der Elite dank der Aufhebung der Sanktionen bereicherten, während es für die große Masse kaum Besserung gebe. Auch die schleppende Hilfe nach dem schweren Erdbeben im Westen des Iran spiele eine Rolle. „Viele Demonstranten stehen mit dem Rücken zur Wand, so dass sie wenig zu verlieren haben“, sagt der Iranexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Seiner Einschätzung nach steckte Ruhanis konservativer Herausforderer Ebrahim Raisi hinter den ersten Protesten. „Am Anfang stand ein Aufruf der Konservativen in Maschhad zu Protesten gegen die Wirtschaftspolitik Ruhanis, doch sind die Proteste gleich aus dem Ruder gelaufen, und haben sich nun wie ein Flächenbrand aufs ganze Land ausgeweitet“, sagt Fathollah-Nejad, derzeit Gastwissenschaftler am Brookings Doha Center.

Schon zu Beginn skandierte die Menge nicht nur „Tod Ruhani“, sondern auch „Tod dem Diktator“, was auf Irans geistliches Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei zielte. Viele würden die Reformer genauso für die Misere verantwortlich machen wie die Hardliner, meint Fathollah-Nejad. „Für die Demonstranten sind beide Lager Teil derselben Elite. Das Regime ist sehr nervös, da sich die Slogans gegen das System als ganzes richten.“

Nach Einschätzung von Adnan Tabatabai vom Forschungszentrum Carpo in Bonn richten sich die Slogans zwar zum Teil gegen das System, doch gehe es vor allem um die konkrete Wirtschaftspolitik. Dass Ruhani in seinen ersten Reaktionen die Berechtigung der Proteste anerkannt habe, könne zur Beruhigung beitragen, meint er. „Im besten Falle werden die Proteste ein Weckruf für die staatliche Elite, künftig stärker auf die Belange der sozial Schwachen einzugehen“, sagt Tabatabai.

Zamirirad erwartet ihrerseits kein rasches Abflauen der Proteste, doch ist sie skeptisch, wie viel sie werden erreichen können. „Bisher gibt es keine gemeinsame Identifikationsfigur und keine zentrale Plattform. Die Slogans sind disparat und die Organisation der Proteste verläuft sehr dezentral“, sagt die SWP-Expertin. „Das kann die Fortführung der Proteste behindern, aber auch ihre Niederschlagung erschweren.“ (afp)



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