Wenn Ihre Beziehung nicht Ihren Wünschen entspricht

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Liebespaar.Foto: istockphoto
Von 29. November 2021
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In jeder Beziehung kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem man feststellt, dass man glaubt, unbedingt etwas haben  zu „müssen“, was nicht vorhanden ist.

Was Sie dann tun, wenn Sie dies feststellen, kann über die Zukunft der Beziehung und Ihre Zufriedenheit darin entscheidend sein. Unser Partner hat ebenso seine Schwächen, genauso wie wir selbst. Dabei kann es sich um etwas Kleines und Unbedeutendes handeln oder um etwas Ernsteres, wie zum Beispiel uneingestandene Wutausbrüche. Manchmal ist es schwer zu beurteilen, ob es sich dabei um echte Trennungsgründe für eine Beziehung handelt.

Vor Kurzem kam Lily ins Schlafzimmer und fand ihren Mann Ken schlafend vor. Sein Pullover, der mit Hundehaaren bedeckt war, lag auf ihrem Kopfkissen. Sie war gerade ein paar Sekunden im Zimmer, als Ken sich umdrehte, sie ansah und seiner Wut freien Lauf ließ. „Sieh es dir an“, sagte er anklagend. „Das sind Hundehaare. Sie war hier drin und hat im Bett geschlafen. Ich musste die Kissenbezüge wechseln.“ Sein Tonfall war wütend und aggressiv. Außerdem lag ein Haufen gewaschener Kleidung auf Lilys Seite des Bettes. „Was ist das alles?“, fragte sie. „Tu es weg“, sagte er scharf. Dann drehte er sich um und schien nach ein paar Seufzern wieder fest zu schlafen.

Lily fühlte sich überrumpelt und komplett irritiert. Warum griff er sie wegen des Hundes an? Wollte er damit andeuten, dass sie die Tür zum Schlafzimmer offen gelassen hatte? Sie hatte keine Ahnung, was gerade passiert war. Aber da es schon spät war, ging sie ihrer Abendroutine nach, räumte dann die Kleidung und den haarigen Pullover weg und legte sich schlafen.

Als Lily am nächsten Morgen aufstand, saß Ken bereits am Frühstückstisch und trank Kaffee. Sie war von Emotionen übermannt, als sie sich zu ihm setzte. „Was war gestern Abend mit dir los?“, wollte sie wissen. „Ich bin ins Schlafzimmer gekommen und du hast mich angeschrien und wegen der Hundehaare angegriffen.“ „Ich habe dich angegriffen?“, fragte er, zog die Augenbrauen hoch, verzog das Gesicht und gab weitere spöttische Bemerkungen von sich.

Lily sprach leise: „In meiner Welt war das ein emotionaler Angriff.“

Ken antwortete: „Ich habe dich nicht angeschrien. Wieso angegriffen? Du denkst immer, dass alles ein Angriff ist. Aber was auch immer du denkst, ich bin sicher, es ist richtig.“ Lily sagte nichts mehr. Die beiden waren seit 14 Jahren glücklich verheiratet. Obwohl Ken bei Kleinigkeiten schon immer schnell in Wut geriet, verhielt er sich nach seinen Ausbrüchen, die auch schnell wieder vorbei waren, so, als sei nichts geschehen. Er erinnerte sich nicht einmal an seine Wutausbrüche. Jeder, der ihn darauf hinwies, was Lily viele Male getan hatte, wurde als Realitätsverfälscher angesehen, der ihn seiner Meinung nach angriff. Bei solchen Ausbrüchen fühlte sich Lily oft verletzt und verlangte nach einer Entschuldigung, die aber nur selten kam.

Nach der „Hundehaar-Attacke“ fühlte sich Lily verärgert, ausgegrenzt und emotional angegriffen, auch wenn es nur ein kleiner Angriff war. Sie wollte Ken unbedingt sagen, dass das nicht in Ordnung war, aber sie wusste auch, dass er sich nicht entschuldigen oder Mitgefühl zeigen würde. Stattdessen würde er ihr vorwerfen, dass sie ihn angegriffen und die ganze Sache erfunden hätte. Sie fühlte sich gefangen und allein. Gleichzeitig war sie wütend und enttäuscht über sich selbst, weil sie nicht den Mut hatte, Ken zu sagen, was sie fühlte. Lily glaubte, dass sie, um ihre eigene Selbstachtung zu wahren, bereit sein musste, ehrlich zu sagen, was sie fühlte.

Sie wusste aber auch, dass es das Beste wäre, den Vorfall auf sich beruhen zu lassen und nach vorne zu blicken, wenn sie Frieden wollte. Aus Lilys Sicht gab es keine andere Alternative. Sie hätte sich nur eine einfache Entschuldigung, ein Eingeständnis von ihm gewünscht, dass er nicht so mit ihr hätte sprechen sollen, auch wenn es ihm nichts bedeutete.

Für Lily war in diesem Vorfall alles enthalten, was an ihrer Ehe, die sie eigentlich sehr schätzte, auszusetzen war. Gab es eine Möglichkeit, sich selbst etwas Gutes zu tun, fragte sie sich, wenn ihr Mann ihr nicht geben konnte, was sie brauchte?

Als Lily und ich gemeinsam in diese Erfahrung eintauchten, entdeckten wir im Verborgenen einige sehr starke „Sollte“-Vorstellungen, die zwar nicht das Problem waren, die aber ihr Leid verstärkten.

Zunächst einmal glaubte Lily, dass es möglich sein „sollte“, alle ihre Gefühle mit ihrem Partner zu teilen und er sie liebevoll annehmen müsste. Wenn sie nicht jederzeit offen darüber sprechen konnte, sollte sie nicht in dieser Beziehung sein. Lily glaubte auch, dass sie den Mut haben „sollte“, ihre Gefühle mit ihrem Partner zu teilen, egal welche Konsequenzen das haben würde.

Gemeinsam gingen wir Lilys Muster auf den Grund und warfen einen prüfenden Blick auf jedes dieser Muster. War es wirklich wahr, dass Lily bereit sein „sollte“, alle ihre Gefühle mit ihrem Partner zu teilen? War das Teilen wirklich die richtige Entscheidung, auch wenn sie wusste, dass sie auf Abwehr und Ablehnung stoßen würde?

Oder könnte für sie in bestimmten Fällen die Achtung und Fürsorge sich selbst gegenüber möglicherweise darin bestehen, ihre Erfahrung anzuerkennen und zu schätzen – um ihrer selbst willen und nicht wegen ihres Mannes? Könnte es auch sein, dass der Schritt des Mitfühlens genau das ist, was ihren Schmerz lindert, sie aber auch gleichzeitig vor weiteren Aggressionen und Missverständnissen schützt?

Ist es wirklich so, dass sie nicht in einer Beziehung sein „sollte“, in der sie nicht alles teilen kann? Musste Ken wirklich immer verstehen, wie sie sich fühlte, damit es ihr besser ging? Und was, wenn die Geschichte, die sie sich selbst einredete – dass Ken sie absichtlich verletzt und sie nun zum Schweigen zwingt – doch nicht der Wahrheit entspricht?

Als ihre „Solls“ ans Licht kamen, fühlte sich Lily sofort leichter. Sie erkannte, dass Selbstachtung eher aus dem Nichtteilen als aus dem Teilen kommen kann – aus der aktiven Entscheidung, sich vor der Abwehrhaltung und Wut ihres Mannes zu schützen. Bei diesem Prozess ging es nicht darum, sein Verhalten zu entschuldigen, sondern zu erkennen, dass ihr Urteil darüber, wie die Beziehung „sein sollte“, nur mehr Leid verursachte.

Sie akzeptierte, dass die Abwehrhaltung ihres Mannes sein Problem war und nicht etwas, das sie in Ordnung bringen konnte – und schon gar nicht etwas, das sich durch mehr Offenheit ihrerseits ändern ließe. Sie entdeckte, dass es genügte, sich ihre Erfahrungen einzugestehen und sich in dem Moment um sich selbst zu kümmern. Sie musste ihrem Mann nicht alle ihre Gefühle mitteilen – auch dann nicht, wenn sie von seinem Verhalten herrührten.

Sie durchschaute auch ihre Vorstellung, dass eine Beziehung nur dann würdig sei, wenn man alles teilen und offenen Herzens empfangen kann. Ihre Ehe war ihr viel wert. Die Beziehung war auch erhaltenswert, wenngleich es eine Schwierigkeit gab, die sie nicht ändern konnte. Lily begann, ihre Beziehung so zu akzeptieren, wie sie war beziehungsweise nicht war, was ihr viel Frieden schenkte.

Eine Einschränkung gibt es allerdings: Wenn sich Ihre Beziehung in irgendeiner Weise als Missbrauch anfühlt, ist es wichtig, sie zu verlassen und nicht zu lernen, mit ihr umzugehen. Dieser Artikel soll Sie nicht dazu ermutigen, mit dem, was Sie ständig verletzt, Frieden zu schließen, oder vor schlechtem Verhalten die Augen zu verschließen. Eine ungesunde Beziehung zu verlassen, ist eine Option, die in Betracht gezogen werden sollte. Gleichzeitig enthält jede einzelne intime Beziehung, selbst die beste, Freude und Leid. Wir fühlen uns oft glücklich und wollen in Beziehungen bleiben, die auch Aspekte enthalten, die wir nicht wollen und die schmerzhaft sind. Mit diesem Artikel möchte ich jenen einen Weg aufzeigen, die sich dafür entscheiden, eine Beziehung zu akzeptieren und in ihr zu bleiben, die auch Elemente enthält, die nicht in Ordnung sind, die sie aber nicht ändern können.



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