Am Abend des 4. Dezember ließ der amerikanische Präsident Donald Trump seine Nationale Sicherheitsstrategie veröffentlichen: ein 29-seitiges Strategiepapier, in dem Grundsätze und Prioritäten für die amerikanische Innen- und Außenpolitik dargelegt sind. Das Dokument formuliert, was die Strategie der USA ist und was sie nicht mehr ist: Die USA strebten keine „dauerhafte amerikanische Vorherrschaft über die ganze Welt“ mehr an. Die
NSS bezeichnet dies als „grundsätzlich unerwünschtes und unmögliches Ziel“.
Das hat Konsequenzen für die ganze Welt, insbesondere für Europa. Und ganz besonders für Deutschland, das in dem Papier mehrfach genannt wird. Am deutlichsten wird die neue Absicht in der Formulierung, dass Trump plant, für die USA die amerikanische Monroe-Doktrin aus dem 19. Jahrhundert wiederzubeleben. Diese im Jahr 1823 vom damaligen US-Präsidenten James Monroe aufgestellte Doktrin besagt unter anderem, dass sich die USA nicht in europäische Angelegenheiten einmischen und über die „westliche Hemisphäre“ – damit ist in erster Linie Lateinamerika gemeint – die uneingeschränkte Kontrolle ausüben möchten.
Die neue NSS markiert zuallererst einen ideologischen Wandel in der amerikanischen Politik. Es geht um „America First“. Außenpolitische Entscheidungen sollen nur noch so getroffen werden, dass sie dem Wohle der Nation dienen. Das entspricht dem, wofür Trump in seinem Wahlkampf geworben hat und wofür er gewählt worden ist.
„Geistige und kulturelle Gesundheit”
Zur Innenpolitik heißt es zum Beispiel: Die USA sollen geschützt werden vor Drogen- und Menschenhandel, destruktiver Propaganda und kultureller Unterwanderung. Die Lebensweise der Amerikaner – der American Way of Life – soll erhalten bleiben. Dafür beabsichtigt Trump, „die vollständige Kontrolle“ über die Außengrenzen zurückzugewinnen, illegale Migrationswege zu bekämpfen und „destabilisierende Bevölkerungsbewegungen“ zu stoppen.
Zudem wird eine „Wiederherstellung und Wiederbelebung der geistigen und kulturellen Gesundheit Amerikas“ angestrebt. Ohne diese „geistige und kulturelle Gesundheit“ sei keine „langfristige Sicherheit“ möglich, heißt es in dem Denkpapier.
Das Papier erklärt, was die Verfasser darunter verstehen: „Wir wollen ein Amerika, das seine vergangenen Erfolge und Helden schätzt […]. Wir wollen ein Volk, das stolz, glücklich und optimistisch ist, dass es sein Land der nächsten Generation in einem besseren Zustand hinterlassen wird, als es dies vorgefunden hat.“
Niemand soll am Rande der Gesellschaft stehen. Vielmehr sollen die Bürger auf ihre Arbeit, dem Wohl ihrer Nation und ihrer Familie stolz sein. „Dies kann nicht erreicht werden, ohne eine wachsende Zahl starker, traditioneller Familien, die gesunde Kinder großziehen“, sind die NSS-Verfasser überzeugt. Zudem würden die Vereinigten Staaten künftig „ohne schlechtes Gewissen“ zur Vergangenheit und Gegenwart ihres Landes stehen, gleichzeitig aber auch „die unterschiedlichen Religionen, Kulturen und Regierungssysteme anderer Länder“ respektieren.
Europas „Identität wiederherstellen“
Trotz dieses bekundeten Respekts vor anderen Staaten, nennt das Papier ausdrücklich die Absicht der USA, „seine Verbündeten dabei zu unterstützen, die Freiheit und Sicherheit Europas zu bewahren und gleichzeitig das Selbstbewusstsein der europäischen Zivilisation und die westliche Identität wiederherzustellen“.
Was genau damit gemeint ist, wird in dem NSS nicht ausgeführt. Wohl aber äußert sich die Denkschrift besorgt über die Politik in Europa. „Amerikanische Politiker haben sich daran gewöhnt, europäische Probleme unter dem Gesichtspunkt unzureichender Militärausgaben und wirtschaftlicher Stagnation zu betrachten. Das hat zwar seine Berechtigung, doch die tatsächlichen Probleme Europas sind noch viel tiefgreifender“, heißt es dort.
Der Tonfall und der Inhalt der Einschätzung über Europa ähneln stark der
Rede von Vizepräsident JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar dieses Jahres. Dort hatte Vance den politischen Niedergang in Europa sowie mangelnde Meinungsfreiheit und Ausgrenzung der politischen Opposition kritisiert.
Die NSS beklagt nun beispielsweise „die reale und immer deutlicher werdende Aussicht auf den Untergang der Zivilisation“ und führt als Gründe dafür an: „Aktivitäten der Europäischen Union und anderer transnationaler Gremien, die die politische Freiheit und Souveränität untergraben, eine Migrationspolitik, die den Kontinent verändert und Konflikte schafft, die Zensur der freien Rede und die Unterdrückung politischer Opposition, sinkende Geburtenraten und den Verlust nationaler Identitäten und des Selbstbewusstseins“.
Weiterhin wird suggeriert, dass ein Teil der Ursache für die Konflikte mit Russland in Europas „mangelndem Selbstbewusstsein“ liege. Vor allem aber wird in dem Papier Kritik an demokratischen Prozessen in europäischen Staaten geäußert.
So heißt es etwa: Es gebe „instabile Minderheitsregierungen, von denen viele die Grundprinzipien der Demokratie mit Füßen treten, um die Opposition zu unterdrücken“. Auch würden europäische Regierungen „demokratische Prozesse untergraben“.
Kritik in den USA: Trump schürt Angst vor Migranten
Kritik an Trumps Strategiepapier gab es umgehend in den USA. Als Beispiel sei der parteipolitisch unabhängig geltende Washingtoner Thinktank Center for Strategic and International Studies (CSIS) angeführt, der sich in mehreren Veröffentlichungen besorgt zeigte.
Laut einem Kommentar des CSIS-Direktors des Programms für Europa, Russland und Eurasien,
Max Bergmann, erklärt die NSS „der europäischen Politik, den politischen Führern Europas und der Europäischen Union faktisch den Krieg“. Und aus Sicht der CSIS-Direktorin des Programms für Nachrichtendienste, nationale Sicherheit und Technologie, Emily Harding, sei dies „ein Moment eines tiefgreifenden Gegensatzes zwischen Europas Selbstverständnis und Trumps Vision für Europa“.
Sie kritisierte, dass die amerikanische Regierung geradezu „verlangt, dass Europa seinen Teil der Welt selbst kontrolliert und vor allem auch selbst dafür bezahlt“. Am Beunruhigendsten an der neuen Strategie sei jedoch, wie Europa dafür getadelt werde, „seinen europäischen Charakter verloren zu haben. Die Stimmung hinter diesen Worten scheint die Angst vor Migranten zu schüren und an einem idealisierten Europa der Alten Welt festzuhalten, das bestenfalls fragwürdig ist“, beklagte Harding.
EU-Außenbeauftragte: Einiges trifft zu
Aus europäischen politischen Kreisen ist bisher relativ wenig zur Veröffentlichung des NSS zu hören. Auch von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) liegt bislang keine Stellungnahme dazu vor.
Lediglich die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas erklärte am 6. Dezember am Rande des jährlichen Doha Forums, bei dem sich Diplomaten und Politiker zum Austausch treffen, die Vereinigten Staaten seien nach wie vor „Europas wichtigster Verbündeter“. Ihre vorsichtigen Äußerungen wurden von dem Medium als ein „Herunterspielen“ der Aussagen des amerikanischen Strategiepapiers über Europa gewertet. Dennoch räumte Kallas ein: „Natürlich gibt es viel Kritik, aber ich denke, dass einiges davon auch zutrifft.“
Bundesregierung: Erst mal auswerten
Ähnlich äußerte sich Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU). Er wolle die NSS erst einmal „intensiv auswerten“, sagte der Minister gegenüber der Presse. Die USA seien und blieben wichtigster Verbündeter in der NATO. Zu der bemängelten Meinungsfreiheit und dem vermeintlichem undemokratischen Verhalten in Europa sagte Wadephul laut „Deutschlandfunk“, Deutschland benötige „keine externen Ratschläge“ zu Fragen der freien Meinungsäußerung oder „der Organisation freiheitlicher Gesellschaften“. Dies werde in Deutschland „durch die Verfassungsordnung organisiert“.
Deutlicher äußerte sich der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen (CDU). Er sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, das Dokument wende sich ausdrücklich gegen Europa. Röttgen, der auch stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag ist, wird von der FAZ mit den Worten zitiert:
„Die Strategie wendet sich gegen die europäischen Demokratien, deren innere Verfassung durch die amerikanische Außenpolitik aktiv verändert werden soll.“ Die USA mischten sich damit in die inneren Angelegenheiten der europäischen Staaten ein und würden eine „gezielte Kooperation mit den inneren Feinden der liberalen Demokratien in Gestalt der rechtsextremen Parteien“ anstreben, äußerte der CDU-Bundestagsabgeordnete.