Mieter sollen für Flüchtlinge ausziehen

In Lörrach, Baden-Württemberg, sollen Bürger offenbar ihre Wohnungen verlassen, damit Flüchtlinge dort unterkommen können. Lösungen werden dringend gefordert.
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Flüchtlingsunterkünfte gibt es in Deutschland nicht genug. Es müssen Lösungen her.Foto: iStock/Philmoto
Von 23. Februar 2023

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Vergangenes Jahr nahm Deutschland 1,04 Millionen geflüchtete Menschen aus der Ukraine auf. Die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine und aus anderen Ländern bleibt weiterhin hoch. Doch die Unterbringung bleibt bei steigenden Zahlen eine erhebliche Herausforderung.

Eine schnelle und einfache Lösung wäre, langjährigen Mietern zu kündigen und Flüchtlinge in deren Wohnungen ziehen zu lassen – das glaubt offenbar der städtische Wohnbau Lörrach.

Bürger aus Wohnungen vertreiben

In einem Schreiben informierte die Wohnungsgesellschaft ihre Mieter Mitte Februar, dass sie ihnen bald kündigen werde. Der Grund dafür liegt in einem hohen Mitgefühl und Verantwortungsbewusstsein den Flüchtlingen gegenüber: „Wie wir wissen, hat Deutschland einen erheblichen Zustrom von Flüchtlingen aus der Ukraine und anderen Weltregionen zu verzeichnen. Auch die Stadt Lörrach und der Landkreis sind zur Unterbringung von Flüchtlingen verpflichtet.“

„Neben den geplanten Flüchtlingsheimen wurde intensiv nach weiteren Standorten gesucht“, erklärt die Wohnungsgesellschaft in dem Schreiben. „Wegen der besonderen Eignung werden wir unsere Liegenschaft […] für diesen Zweck zur Verfügung stellen“, heißt es. Daher verkündet die Wohnungsgesellschaft ihren Mietern die baldige Kündigung der Mietverhältnisse.

Mieter schockiert und hilflos

Die Mieter werden durch eine Bereitstellung anderer Wohnangebote vertröstet: „Allerdings werden wir Ihnen alternativen, geeigneten Wohnraum anbieten und Sie beim Umzug unterstützen, auch finanziell“, heißt es in dem Schreiben. Ein Umzug wäre für viele Mieter aber eine hohe Belastung – zudem befürchten sie steigende Mietpreise.

Die 64-jährige Altenpflegerin Polya Lazarova berichtet der „Bild“, dass ihr eine Wohnung in einem 15 Kilometer entfernten Ort angeboten wurde. Die Miete würde dort allerdings 700 Euro betragen – das könne sie sich nicht leisten.

Ein Rentner im Alter von 78 Jahren gibt seine Sorgen in der „Basler Zeitung“ kund. Nach eigenen Angaben müsse er mit 1.000 Euro im Monat auskommen. Er zweifelt an, dass die angestrebten „individuellen Lösungen“ zu seinem Vorteil ausfallen würden. Daher hält er es für „unmöglich“, auszuziehen. Das Schreiben nennt er eine „vorgezogene Todesanzeige“ – durch einen Schlaganfall vor sechs Jahren sei die Bewältigung des Alltags für ihn immer schwerer geworden.

Sozialleistungen wegen Flüchtlingen

Ein weiterer Bewohner, 81 Jahre, zog laut der „Badischen Zeitung“ vor etwa einem halben Jahr in das Erdgeschoss in besagten Wohnkomplex. Wegen seiner Krebserkrankung müsse er ebenerdig wohnen. Er selbst erzählt, dass er nichts gegen Flüchtlinge habe. Irgendwo müssen sie unterkommen, meint er. Aber er fragt: „Warum gerade hier?“

Dass Menschen in Not geholfen werden muss, bestreiten die wenigsten Mieter in Lörrach. Allerdings dürfen auch die Ängste und Nöte der Mieter nicht vergessen werden. So kritisieren die Eltern zweier Kinder, Sara Breitenfeld (29) und ihr Lebensgefährte Lee Jones (33), die kommende Kündigung des städtischen Wohnungsunternehmens und äußern ihre Ängste. Sie befürchten, sich zukünftig keinen Urlaub mehr leisten zu können – durch hohe Mietpreise. „Ich will doch keine Sozialleistungen beantragen, damit andere Leute in meiner Wohnung leben können“, sagt Breitenfeld.

„Die 30 Wohnungen taugen nun wirklich nicht, den ganz großen Skandal herbeizureden.“

Lörrachs Oberbürgermeister Jörg Lutz und der Geschäftsführer der Wohnbau Lörrach, Thomas Nostadt, bestätigten das Schreiben in einer Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch und halten an ihren Plänen fest.

In der Pressekonferenz äußern sie sich schockiert über heftige Anrufe, Drohbriefe und Hassmails, die sie erhalten würden. „Die Stimmung ist zu aufgeheizt”, sagte Nostadt. „Die 30 Wohnungen taugen nun wirklich nicht, den ganz großen Skandal herbeizureden”, führte Lutz aus. Außerdem habe es bereits in der Vergangenheit mehrere solcher Umsetzungen gegeben, die problemlos verliefen.

„Es wird keiner eine Härte erleiden, auch wenn die Miete im Einzelfall etwas höher ausfällt“, betont Nostadt. In der Pressekonferenz stellen Lutz und Nostadt die Vorteile für Mieter heraus: Erstens wird es für die Mieter eine Umzugspauschale von 1.500 bis 2.000 Euro geben. Zudem würden die Wohnungen Neubauküchen enthalten und Grundsicherungsbezieher müssten nicht mehr als den Höchstsatz zahlen.

Die alten Wohnungen sollen für 11 Euro pro Quadratmeter an Flüchtlinge vermietet werden. Durchschnittlich können drei Menschen in einer Wohnung für 495 Euro unterkommen. Private Neubauten hätten 24 Euro pro Quadratmeter gekostet.

Obendrein sei ungeachtet der jetzigen Vorhaben geplant gewesen, die Wohnungen in den kommenden Jahren abzureißen.

Sozialer Frieden gefährdet

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) äußerte sich entsetzt über die Pläne. „Das hilft vielleicht bei der Unterbringung der Geflüchteten, aber es gefährdet den sozialen Frieden. Das dürfen wir nicht tun“, so Palmer auf Facebook.

Weiter schreibt er: „Wenn der Bund die irreguläre Migration nicht verringern will oder kann und die Zahl der ausreisepflichtigen Migranten nicht verringern will oder kann, dann muss er damit klar kommen, das überforderte Kommunen Notunterkünfte errichten. Mietern nach 40 Jahren kündigen kann nicht die Lösung sein.“

Er geht in seinem Kommentar auch auf die Begründung der Umsetzung ein, dass die Gebäude abgerissen werden sollten. „Wenn das so sein sollte, ist das ein anderer Sachverhalt. In dem Schreiben, das die Mieter erhalten haben, steht davon aber nichts drin. Da werden Flüchtlinge als Grund für die Kündigung genannt.“ Laut dem Landesvorsitzenden des Mieterbundes, Rolf Gaßmann, sei das allerdings rechtswidrig.

Kommunen fordern Unterstützung

Abgesehen von dem brisanten Fall in Lörrach rufen auch Kommunen in Anbetracht der hohen Flüchtlingszahlen immer lauter nach Hilfe. Der Geschäftsführer des Städtetages Nordrhein-Westfalen (NRW), Helmut Dedy, forderte daher klare finanzielle Zusagen für 2023. Im November vergangenen Jahres hätten Bund und Länder verabredet, die Situation in diesem Frühjahr neu zu bewerten. Bei der Ministerpräsidentenkonferenz am 16. März erwarte er „genau wie das Land, dass der Bund dann noch eine Schippe drauflegt“. Die Situation in den Städten verschärfe sich zusehends und sie „spüren in den Städten jeden Tag den wachsenden Druck“.

Dedy stellt klar: „Wir werden in den Städten den geflüchteten Menschen weiter Schutz bieten, aber auch in Messehallen und Containderdörfern sind nur noch wenige Plätze frei.“ Deshalb fordert er, dass die Unterbringungskapazitäten schneller steigen müssen: „Wir fordern vom Land weiter 70.000 Plätze in Landeseinrichtungen“.

Laut Dedy liege die Verantwortung allerdings nicht nur bei den Ländern. Auch der Bund müsse zentrale Aufnahmekapazitäten aufbauen: „Das ist eines der wichtigen Themen, zu denen wir in den verabredeten Arbeitsgruppen zwischen Bund, Ländern und Kommunen konkrete Ergebnisse brauchen.“

Zudem betont er, dass es einer Lösung für die Kosten bedarf, die durch Integrationsmaßnahmen entstünden. Außerdem müssten Investitionen für Schulen und Kitas getätigt werden.

Höchste Flüchtlingswelle seit 2016

Das Bundesamt für Migration hat 2022 in Deutschland 244.000 Asylbewerber registriert. Das ist jeder vierte Asylantrag in der Europäischen Union (EU) und so viel wie in keinem anderen EU-Land. Frankreich ist mit 100.000 weniger Asylbewerbern als Deutschland auf dem zweiten Platz.

Die EU-Asylbehörde gibt an, dass es sich um die größte Flüchtlingswelle seit 2016 handelt. Unter den Asylbewerbern sind rund vier Millionen Menschen, die aus der Ukraine flohen und vorübergehend Schutz suchen. Hinzu kommen rund eine Million Menschen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan und der Türkei. Insgesamt gebe es demnach in der EU fünf Millionen Schutzsuchende und Aufnahmebehörden stünden zusehends unter Druck.

(Mit Material von Nachrichtenagenturen)



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