Raus aus der Komfortzone, rein in die Kälte – ein Selbstversuch

Freiwillig im Eis baden? Zugegeben, es klingt verrückt – zumindest für einen Warmduscher wie mich. Doch der Anreiz, die Angst vor der Kälte zu besiegen, ist vielversprechend. Erst recht in Anbetracht der prophezeiten Energiepreiserhöhungen. So wagte ich einen Selbstversuch.
Kälte als Lebenselixier
Wim Hof Instruktor Daniel Ruppert.Foto: Daniel Ruppert
Von 28. November 2022

19 Grad Raumtemperatur und kaltes Händewaschen – so will es Energieminister Robert Habeck, zumindest für öffentliche Gebäude. Vorsichtshalber bereiten sich Kommunen auf Kälteperioden vor und stellen Aufwärmhallen für die Bevölkerung bereit, damit sich Bedürftige im Winter aufwärmen können. Allein der Gedanke einer ungeheizten Wohnung jagt dem einen oder anderen einen kalten Schauer über den Rücken. Auf der Suche nach Ideen zum Umgang mit der Kälte stoße ich im Internet auf Wim Hof, besser bekannt als der „Iceman“.

Der 63-jährige Niederländer setzt auf eine spezielle Atemtechnik, Kälte und Fokus. Er stellte 26 internationale Rekorde auf, darunter das längste Eisbad, in dem er eine Stunde und 52 Minuten ausharrte. Nur mit Shorts und Sandalen bekleidet erklomm der sechsfache Vater den Mount Everest bis zu etwa 7.500 Meter Höhe. 66 Meter* legte er unter Eis zurück – die längste Distanz, die bis dahin je ein Mensch geschafft hat. Barfuß lief er einen Halbmarathon über den Polarkreis. Seine Botschaft: Jeder hat sein Schicksal in der Hand und kann glücklich und gesund sein. Aber was muss man dafür tun?

Das Geheimnis des Kältetrainings

Um das zu erfahren, mische ich mich Ende Oktober unter die Teilnehmer eines Workshops des von Wim Hof zertifizierten Instructors Daniel Ruppert, der selbst seit zwölf Jahren die Wim Hof Methode (WHM) praktiziert. Der in Berlin lebende freischaffende Architekt begleitete schon über 4.000 Menschen ins Eis und ist seit mehr als einem Jahr ausschließlich in seiner Mission in puncto Kälte und Atmung unterwegs.

13 Teilnehmer sind wir, darunter fünf Frauen. Einige haben schon Erfahrung mit WHM, andere sind blutige Anfänger. Einer berichtet, dass sein Freund ihn mit dem Seminar überrascht hatte. Erst am Veranstaltungsort erfuhr er von dem bevorstehenden Eisbad. „Manche müssen eben zu ihrem Glück gezwungen werden“, fährt es mir unwillkürlich durch den Kopf, was postwendend von Daniel Ruppert bestätigt wird. Schon öfters hätten Teilnehmer ihre Verwandten oder Freunde mit dem Seminar überrascht, was bei den Zwangsbeglückten nicht immer einen Jubelschrei auslöste. Letztlich seien die Teilnehmer aber immer zutiefst dankbar und glücklich für die Erfahrung gewesen.

Der Effekt sei immer derselbe, erklärt Ruppert weiter: Wer ins Eis geht, kann nicht mehr nachdenken. Sämtliche Körperfunktionen konzentrieren sich darauf, den mit der Kälte verbundenen extremen Stress zu bewältigen. Der Ablauf ist bei den meisten sehr ähnlich: Zuerst kommt der Stress mit teilweise starken mentalen Stressreaktionen, bis der Körper anfängt, sich biochemisch über Hormone so zu regulieren, sodass man die Stressreaktion sehr gut kontrollieren kann. Es folgt eine Art tiefe Entspannung und Ruhe. Bei manchen kann der emotionale Stress so immens sein, dass sie eine regelrechten Schimpftirade loslassen. Sind allerdings die ersten 90 Sekunden im Eis bewältigt, entspannt sich der Geist. Der Körper hat seine innere Heizung eingeschaltet. Freude breitet sich aus.

Eisbaden bei 20 Grad plus

Ob das auch bei mir funktioniert? Ich schiebe meine aufkommenden Zweifel beiseite und begebe mich unter Rupperts Anleitung ins systematische Atemtraining, insgesamt vier Runden. Ohne Atempause wird zunächst über 30 Mal im vorgegebenen Rhythmus ein- und ausgeatmet – erst in den Bauch, dann in die Brust, dann in den Kopf. Nach dem letzten Ausatmen halten wir inne, ganz ohne zu atmen, für bis zu 1:30 Minuten. Für mich kein Problem. Wer doch das Bedürfnis hat, Luft zu holen, kann diesem natürlich nachkommen, so Ruppert.

Nach der zweiten Atemrunde wird die Atempause ganz natürlich verlängert. Die Teilnehmer haben inzwischen so viel Sauerstoff aufgenommen, dass sie einfach die innere Ruhe genießen können. Alle? Nicht ganz. Zumindest bei mir ist nach etwa einer Minute das Bedürfnis zu atmen so stark, dass ich einfach Luft hole. Für alle anderen Teilnehmer setzt die gemeinsame Atmung erst nach insgesamt 2:00 Minuten Atempause wieder ein. Dem folgt eine weitere Runde. Noch einmal wird die Atempause erheblich verlängert, inzwischen sind wir bei 2:45 Minuten angekommen.

Entspannt, klar und wach gehen wir in die Mittagspause. Nach einem interessanten biochemischen Exkurs und Aufwärmbewegungen versammeln wir uns schließlich an einem aufgeblasenen blauen Pool. Über die Hälfte ist er mit kaltem Brunnenwasser gefüllt, oben schwimmen 120 Kilogramm Eiswürfel. Der blaue Himmel und Außentemperaturen von fast 20 Grad lassen das bevorstehende Eisbad fast einladend erscheinen.

Der Selbstversuch

Dann ist es endlich so weit. Bevor ich gemeinsam mit Cathleen, die extra aus Lüneburg angereist ist, in den Pool steige, kippt Ruppert noch einmal Eiswürfel nach. Die Wassertemperatur liegt jetzt bei eisigen 0,4 Grad. Cathleen und ich schauen uns an. Mit dem uns an die Hand gegebenen Mantra „Es wird kalt. Ich kann das und ich will das!“ steigen wir entschlossen in den Pool – und setzen uns hinein, die Arme den Poolrand umfassen. Es wäre zu viel des Guten, gleich Schultern und Hände einzutauchen. Ich spüre, wie sich meine Blutgefäße zusammenziehen.

Als ich zur Stresskontrolle das von Ruppert angeleitete langsame, bewusste und verlängerte Ausatmen praktizieren will, sagt Cathleen überraschend: „Ich rutsche!“ Sie ist etwa einen Kopf kleiner als ich. Dadurch kann sie sich nicht wie ich mit den Füßen abstützen und muss sich am Rand regelrecht festklammern. Sekunden später muss sie über ihre eigene Hilflosigkeit lachen. Ihr Lachen steckt auch mich und alle anderen um den Pool stehenden Teilnehmer an. Wir lachen und lachen. Erst nach 90 Sekunden kommen wir zur Ruhe.

„So kann man es natürlich auch machen“, sagt Ruppert begeistert. „Ihr habt den Stress einfach weggelacht, super!“ Doch vorbei ist die Kälteprobe noch nicht. Nun gilt es, Hände und Schultern unterzutauchen. Inzwischen sind Cathleen und ich derart entspannt und atmen ruhig, sodass diese Aufgabe mühelos gelingt. Aber es gilt, noch einen oben drauf zu setzen. „So, jetzt wie besprochen das Gesicht ins Wasser tauchen“, leitet der 50-jährige Instructor uns an. Ich tauche mein Gesicht in die Eiswürfel – und schrecke sofort hoch. Die Kälte hatte bei mir unwillkürlich einen Atemreiz ausgelöst. Kurz darauf versuchte ich einen zweiten Anlauf. Ein paar Sekunden tauche ich mein Gesicht ins Eiswasser, dann lehne ich mich entspannt zurück.

Eisbad bei 0,4°C Wassertemperatur. Da kostet das Eintauchen des Gesichts definitiv Überwindung. Foto: Daniel Ruppert

Als ich nach insgesamt fünf Minuten aus dem Pool klettere, ist meine Haut knallrot – und mir ist extrem heiß, ganz wie Ruppert es vorausgesagt hat.

Nach einem Saunagang gibt es eine Freestyle-Runde im Pool. Nun gibt es keine Anleitung mehr. Je nach Lust und Laune kann man sein Eisbad gestalten. Entspannt lasse ich mich erneut mit Cathleen in den Pool gleiten – diesmal nehme ich Hände und Schultern gleich unter Wasser für fünf Minuten. Kein Stress, kein Schnaufen, es herrscht einfach Stille in meinem Körper.

Wie geht es nach dem Kurs weiter?

Die unglaubliche Erfahrung im Eis hat mir gezeigt, dass selbst ich, ein notorischer Warmduscher, durchaus in der Lage bin, der Kälte zu trotzen. Ich muss zwar nicht jeden Tag ein Eiswürfelbad nehmen, aber eine kalte Dusche tut es bekanntlich auch. Oder ein Bad in einem der nahegelegenen Seen.

Andere aus dem Seminar haben sich zu Hause eine Regentonne bereitgestellt, in die sie täglich abtauchen, um ihr Immunsystem zu trainieren. Wem die Wim Hof Methode zu extrem ist, der kann es auch wie der Pfarrer Sebastian Kneipp halten und fröhlich durchs kalte Wasser waten. Anregend wirkt auch ein Saunagang mit einem abschließenden kalten Tauchbad.

*Anmerkung der Redaktion: Zu den Rekorden gibt es unterschiedliche Angaben aus verschiedenen Quellen. Vorliegende Zahlen, die von den Angaben in der Printausgabe vom 19. November abweichen, wurden aus offiziellen Dokumentationen von Wim Hof übernommen.
Fühlen Sie sich motiviert, es demnächst auch mit einer kalten Dusche zu probieren?



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