Abe’s Warnung an die Welt

Besonnen, humorvoll, verlässlich – Shinzo Abe hatte international Gewicht. Was ist sein größter Erfolg?
Die Warnung von Shinzo Abe an die gesamte Welt
Im Gebet vor den Kondolenzbotschaften für den ehemaligen japanischen Premierminister Shinzo Abe vor dem Büro der Japan-Taiwan Exchange Association in Taipeh am 11. Juli 2022.Foto: SAM YEH/AFP via Getty Images
Von 15. Juli 2022

Fast 30 Jahre beherrschte Shinzo Abe die politische Bühne in Japan. Sein Tod am 8. Juni hat die internationale Gemeinschaft und das Land der aufgehenden Sonne schockiert.

„Für uns Deutsche ist das so, als wäre Angela Merkel erschossen worden“, vergleicht Dr. Takuma Melber, Deutsch-Japaner und Historiker am Heidelberger Zentrum für Transkulturelle Studien. Der Schütze, Berichten zufolge ein 41-jähriger Arbeitsloser, wurde von Sicherheitskräften überwältigt. Im Polizeigewahrsam gestand er die Tat.

Bundeskanzler Olaf Scholz schickte ein Kondolenzschreiben, auch Angela Merkel äußerte sich ähnlich. „Japan und die Welt verlieren mit Shinzo Abe einen großen Staatsmann. Ich verliere mit ihm einen politischen Weggefährten“, erklärte sie in einer auf ihrer Internetseite veröffentlichten Erklärung. Abes Wort habe Gewicht gehabt. „Seine Entscheidungen waren verlässlich. Sein Humor half, Widerstände zu überwinden. Er war mir ein enger Kollege und Freund.“ Vielfach lauten die Botschaften an Tokio, ob aus Frankreich, den USA, Indien oder Russland ähnlich.

Experten zufolge wird Abe neben seiner Wirtschaftspolitik, der „Abenomics“, vor allem dafür in Erinnerung bleiben, dass er die Welt auf eine Konfrontation mit der Kommunistischen Partei Chinas vorbereitet hat.

„Er war besonnen in seiner Vorgehensweise, akribisch in seiner Planung (in Politik und Außenpolitik) und entschieden-ruhig in seinem Auftreten“, erinnert John R. Bolton, nationaler Sicherheitsberater in der Regierung Trump in einem Nachruf. „Was seine Gegner wirklich irritierte, waren seine Erfolge, nicht seine Misserfolge.“

Japans Außenpolitik

Shinzo Abe hätte als einer der ersten internationalen Führer Chinas Versuche erkannt, seine wachsende Macht zu nutzen, um die internationale Ordnung zu untergraben, und er sei der Erste gewesen, der gegen die Bedrohung vorging, schreibt der politische Analyst Josh Rogin. Der Kolumnist und Außenpolitiker der „Washington Post“ analysierte am 8. Juli zudem, dass Abe Japans Außenpolitik an diese Erkenntnisse anpasste – zu einer Zeit, als die USA und andere führende Politiker noch auf einer Politik der Zusammenarbeit mit Peking bestanden.

Japan müsste drei Dinge tun, wenn es sich langfristig gegen die wachsende Macht Pekings verteidigen wolle, sagte einmal Abes außenpolitischer Berater und Redenschreiber, Tomohiko Taniguchi, gegenüber Rogin: Die japanische Wirtschaft verbessern, zweitens das amerikanisch-japanische Bündnis stärken und drittens seine diplomatischen Beziehungen ausbauen, indem es sich mit Australien und Indien zusammenschließt. Alle drei Dinge ging der langjährige Premier an.

Abe baute gute Beziehungen zu den beiden ehemaligen US-Präsidenten Trump und Obama auf. Ein großer Teil der US-Strategie für Ostasien kann auf Abe zurückgeführt werden – wie etwa die Idee eines „freien und offenen Indopazifiks“. Der „Quad Security Dialogue“ (Quad), bestehend aus den USA, Australien, Indien und Japan, traf sich bereits mehrmals. Abe schlug Quad ursprünglich im Jahr 2007 vor, als Pragmatiker war er ein Befürworter von Allianzen, Multilateralismus, Menschenrechten und der Stärkung der regelbasierten internationalen Ordnung.

Öffentliche Ansage an die USA

Im Jahr 2015 ging er das Risiko ein, eine Neuinterpretation der japanischen Nachkriegs-Friedensverfassung zu verabschieden. Diese erlaubt dem japanischen Militär zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg eine bedingte Teilnahme an Auslandseinsätzen.

Anfang dieses Jahres bestand eine der letzten diplomatischen Handlungen Abes darin, wegen der zunehmend gefährlichen Bedrohung Taiwans Alarm zu schlagen. Er forderte die USA öffentlich auf, die Politik der „strategischen Zweideutigkeit“ aufzugeben. Die USA und Japan müssten ihre Entschlossenheit zur Verteidigung Taiwans deutlich machen und Parteiführer Xi Jinping keinen Raum für Zweifel an der Entschlossenheit der USA und Japans zur Verteidigung Taiwans lassen.

„Japan und Taiwan sind nur 100 Kilometer voneinander entfernt. Sollte Peking einen bewaffneten Angriff auf Taiwan durchführen, müssten die chinesischen kommunistischen Truppen in den japanischen Luftraum eindringen, um die Luftüberlegenheit zu sichern“, erklärte Abe in einem Interview mit „The Economist“ im Mai 2022. „Dies würde sicherlich einen Notstand im Sinne des Gesetzes über Frieden und Sicherheit auslösen, und wir würden das US-Militär logistisch unterstützen. Viele Japaner sind in Taiwan im Handel tätig. Ich bin sicher, dass viele Japaner das sehr gut verstehen würden.“

Taiwan hat einen Freund verloren

Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen verurteilte den Anschlag. Abe sei nicht nur ihr guter Freund, sondern auch Taiwans „wichtigster und engster Freund“ gewesen. Er habe die demokratische Inselrepublik seit Jahren unterstützt. Der ehemalige Regierungschef habe keine Mühen gescheut, um die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu fördern.

„Vielen Dank für Ihre Beiträge zur taiwanisch-japanischen Freundschaft und zur Demokratie, Freiheit, Menschenrechten und zum Frieden der Welt“, schrieb Tsai bei einer Ehrung in der De-Facto-Botschaft Japans in Taipeh (Japan-Taiwan Exchange Association) ins Kondolenzbuch. „Seine Freundschaft und Wärme werden für immer in den Herzen der Menschen in Taiwan leben.“ Nicht nur die taiwanische Präsidentin verbeugt sich.

Wie reagiert China?

Xi Jinping übermittelte ebenfalls sein persönliches Beileid. Darin heißt es: „Shinzo Abe habe während seiner Amtszeit Anstrengungen unternommen und nützliche Beiträge zur Verbesserung der chinesisch-japanischen Beziehungen geleistet“, Xi sei bereit, mit dem neuen Premierminister zusammenarbeiten.

Gleichzeitig begann in Weibo und anderen sozialen Medien eine neue Welle voller Wut und Verachtung gegenüber denjenigen, die Mitgefühl an Abes Tod zeigen. Zeng Ying, eine TV-Korrespondentin, die über Abes Tod berichtete und dabei die Tränen unterdrücken musste, wurde heftig attackiert.

Eine große Menge an hasserfüllten Botschaften gegenüber Japanern füllt das chinesische Netz. Es sei wie eine „kollektive Orgie“, die die „Qualen der Epidemie, Tangshan, die angekettete Frau, die soziale Konditionierung“ vergessen ließ, postet der Netizen „Xiangxi Xiucai“. Er fordert diejenigen auf, zur Menschlichkeit zurückzukehren.

Rasch bildete sich eine „Große Übersetzungsbewegung“ (chinesisch-japanisch), die auch schadenfrohe Kommentare dokumentiert. Dort wurde veröffentlicht, dass viele chinesische Unternehmen bereits kurz nach seinem Tod mit großen Werbeaktionen begonnen hätten – sie boten zur „Feier des Tages“ Rabattaktionen an. Kommentare, in denen die Ermordung von Shinzo Abe begrüßt wird, wurden im chinesischen Internet noch nicht gesperrt.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 53, vom 16. Juli 2022.



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