Novum in der Geschichte der Bundesrepublik
Kanzlerwahl: Merz bei erstem Durchlauf gescheitert - zweiter Wahldurchgang noch heute
Merz wurde im ersten Wahldurchgang entgegen der Erwartungen nicht zum Kanzler gewählt. Der Unmut ist groß. Kritik am Kanzlerkandidaten kommt von links und rechts. Wie wird es nun weitergehen?

Friedrich Merz hat die erfordilche Mehrheit im ersten Wahldurchlauf nicht erreicht.
Foto: Tobias Schwarz/AFP via Getty Images
CDU-Chef Friedrich Merz hat im ersten Wahlgang nicht die nötige Mehrheit für die Wahl zum Bundeskanzler erhalten. Merz erhielt am Dienstagvormittag 310 Ja-Stimmen, 307 Abgeordnete stimmten gegen ihn und drei enthielten sich. Eine Stimme war ungültig, neun wurden nicht abgegeben.
Zu einer erfolgreichen Wahl benötigte Merz in einer geheimen Wahl die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, eine sogenannte „Kanzlermehrheit“ von 316 Stimmen. CDU/CSU und SPD haben gemeinsam 328 Abgeordnete.
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Wie gehts es weiter?
Es ist ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Erstmals kam bei einer Kanzlerwahl im Bundestag nicht die erforderliche Mehrheit zusammen. Das Grundgesetz hält für einen solchen Fall Regeln für das weitere Vorgehen bereit. Sie werden nun zum Tragen kommen. Artikel 63 bietet für die Kanzlerwahl drei verschiedene Szenarien an.
Szenario eins: Der Bundespräsident schlägt dem Bundestag einen Kanzler zur Wahl vor, und dieser wird mit absoluter Mehrheit aller Bundestagsmitglieder – der so genannten Kanzlermehrheit – gewählt. Dieses Vorgehen hat sich im aktuellen Fall mit dem Scheitern von CDU-Chef Friedrich Merz im ersten Wahlgang erledigt.
Szenario zwei: Nach dem gescheiterten ersten Wahlgang hat der Bundestag weitere 14 Tage Zeit, einen Bundeskanzler zu wählen – ebenfalls mit der sogenannten Kanzlermehrheit, also 316 der 630 Abgeordneten. Innerhalb dieser 14-Tage-Frist können beliebig viele Wahlgänge stattfinden. Der Bundespräsident hat kein Vorschlagsrecht mehr. Es wäre auch möglich, dass ein anderer Kandidat als Merz antritt und gewählt wird.
Szenario drei: Gelingt in dieser 14-Tage-Frist die Wahl eines Bundeskanzlers mit Kanzlermehrheit nicht, wird unverzüglich ein weiterer Wahlgang angesetzt. In diesem liegt die Hürde niedriger: Dann reicht die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen für die Kanzlerwahl. Mit dem Ergebnis vom Dienstag – 310 Ja-Stimmen und 307 Nein-Stimmen – würde es in einem solchen Wahlgang also für Merz reichen.
Bei Szenario drei kommt zudem der Bundespräsident wieder ins Spiel. Erreicht der Kandidat zwar die einfache Mehrheit, nicht aber die sogenannte Kanzlermehrheit, hat der Bundespräsident zwei Möglichkeiten: Entweder er ernennt den Kandidaten, oder er löst den Bundestag auf. Die Folge wären dann Neuwahlen.
Linnemann hofft auf zweiten Wahlgang am Dienstag – Spahn: Gespräche laufen noch
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hofft auf einen zweiten Wahlgang noch am Dienstag. Er setze darauf, „dass wir heute noch in den zweiten Wahlgang gehen und erfolgreich sind“, sagte Linnemann am Dienstag im Sender Phoenix. Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) sagte vor Journalisten, es müsse noch geklärt werden, wann der zweite Wahlgang stattfinden könne.
Für einen baldigen weiteren Durchgang sei die Zustimmung aller Fraktionen im Bundestag nötig, sagte Spahn. Hierzu liefen noch Gespräche. CDU-Chef Merz werde sich aber definitiv erneut zur Wahl stellen.
„Wir werden als Koalition – Union und SPD – Friedrich Merz erneut für den zweiten Wahlgang vorschlagen“, sagte Spahn. „Wir werden gemeinsam geschlossen in den zweiten Wahlgang gehen.“
Linnemann schloss aus, dass die Union ihren Kanzlerkandidaten auswechselt. Merz sei „der richtige Kandidat zur richtigen Zeit“, sagte er bei Phoenix. Nach einem halben Jahr mit einer Minderheitsregierung nach dem Bruch der Ampel-Koalition brauche Deutschland jetzt „schnell wieder Stabilität“.
Spahn betonte, Merz habe in einer Unions-Fraktionssitzung nach der gescheiterten Kanzlerwahl „langen stehenden Applaus bekommen“. CDU und CSU würden „gemeinsam geschlossen in den zweiten Wahlgang gehen“.
Linnemann räumte ein, er habe mit dieser Entwicklung nicht gerechnet. „Ich war mir ziemlich sicher, dass das rund läuft“, sagte er. Sein Eindruck sei, dass die Unionsfraktion „geschlossen“ hinter Merz stehe.
Grüne und Linke wollen Fristverkürzung für neue Kanzlerwahl zustimmen
Die Oppositionsfraktionen von Grünen und Linken haben sich nach dem Scheitern von CDU-Chef Friedrich Merz bei der Kanzlerwahl bereit erklärt, einer Fristverkürzung für die rasche Anberaumung eines weiteren Wahlgangs zuzustimmen. Linken-Chefin Ines Schwerdtner sagte am Dienstagmittag der ARD, es fänden aktuell Gespräche der Fraktionen darüber statt, noch für den Dienstag einen zweiten Wahlgang zur Kanzlerwahl im Bundestag anzusetzen.
Ihre Fraktion wäre bereit, der dafür nötigen Fristverkürzung im Bundestag zuzustimmen – unter der „Bedingung, dass keine Deals mit der AfD gemacht werden“, sagte Schwerdtner. Für den CDU-Kandidaten Merz werde ihre Fraktion auch im zweiten Wahlgang nicht stimmen.
Für die Fristverkürzung wäre im Plenum eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig, wofür neben den Stimmen von Union und SPD auch die Zustimmung von Linken und Grünen nötig wäre. Die Grünen wären dazu bereit, sagte Parteichef Felix Banaszak. „Wir werden nicht mit Verfahrenstricks die Bildung einer neuen Regierung verhindern“, sagte er.
Den CDU-Kandidaten Merz wollten die Grünen weiterhin nicht unterstützen.
„Eine Regierung muss eine Mehrheit aus sich selbst haben“, sagte Banaszak. „Es ist die staatspolitische Verantwortung der Opposition, mit Nein zu stimmen.“
Söder mahnt zur Besonnenheit
Der CSU-Vorsitzende Markus Söder hat nach der im ersten Versuch gescheiterten Kanzlerwahl von CDU-Chef Friedrich Merz zur Besonnenheit gemahnt. „Es ist jetzt der falsche Zeitpunkt zu streiten und gar eine Schuldzuweisung zu machen“, sagte Söder am Dienstag nach einer Sitzung seines bayerischen Kabinetts in München. „Es geht jetzt nicht um den Einzelnen, es geht um uns alle.“ Wichtig sei, vernünftig und ruhig zu bleiben.
Sein dringender Appell an die Abgeordneten sei nun, gemeinsam eine stabile Regierung für Deutschland auf den Weg zu bringen. „Noch ist alles lösbar, noch ist alles heilbar.“ Der bayerische Ministerpräsident warnte zugleich nachdrücklich vor einem Scheitern von Merz. Dies könne „am Ende ein Vorbote von Weimar sein“, sagte Söder. Er spielte damit auf die gescheiterte Weimarer Republik an, auf die in Deutschland 1933 der Nationalsozialismus folgte – „der heutige Vormittag zeigt, dass wir in einer ernsten Lage sind“, betonte der CSU-Politiker.
Stegner hofft auf Mehrheit im zweiten Durchgang
SPD-Bundestagsabgeordneter Ralf Stegner hofft auf die nötige Mehrheit im zweiten Wahldurchgang. „Der SPD Fraktion war klar, was hier auf dem Spiel steht“, sagte Stegner gegenüber der Epoch Times „Wir reden darüber, dass es zu dieser Regierung keine demokratische Alternative gibt und dass man dann das tut, was die Pflicht ist.“
Die SPD wisse, dass „man in der Demokratie für Mehrheiten sorgen muss“. Man dürfe nicht zulassen, dass Rechtsextremisten an Einfluss gewinnen.
„Und deswegen kann ich nur sagen Es wäre schlau, wenn das alle begreifen würden und im zweiten Wahlgang dann auch eine Mehrheit zustande käme“, so der SPD-Politiker gegenüber der Epoch Times.
Weshalb es eine so hohe Zahl von Abweichlern gab, könne er sich nicht erklären.
„Ich habe jedenfalls nicht den Eindruck gehabt, dass es in unserer Fraktion solche Diskussionen gab, sondern bei uns war klar: Das muss man machen! Wat mutt, dat mutt, sagt der Norddeutsche und fertig ist.“
Weidel: „Wir sollten in Neuwahlen gehen“
Die AfD-Chefin Alice Weidel sieht das Ergebnis als Zeichen für Instabilität der schwarz-roten Koalition. „Friedrich Merz ist nicht in der Lage, die eigenen Reihen hinter sich zu bringen. Und das ist das Gegenteil von dem, was dieses Land braucht. Dieses Land braucht Stabilität“, sagte sie gegenüber der Epoch Times.
Grund sei auch die Koalition mit einer „16-Prozent-Partei“ und das „Abräumen aller Wahlversprechen“ aus dem Wahlkampf. „Er hat seine eigenen Wähler belogen und betrogen. Und das ist das Ergebnis“, so die Parteichefin.
Merz habe eine historische Niederlage erlitten und solle nun „Einen Schritt zur Seite machen und abtreten“.
„Was ich fordere, ist einfach den Weg freizumachen. Wir sollten in Neuwahlen gehen. Wir brauchen eine stabile Regierung. Und der Wähler möchte eine Mitte Rechts Regierung“, so Weidel gegenüber der Epoch Times.
AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann sagte der ARD, Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) habe den Fraktionen vorgeschlagen, den nächsten Wahlgang zur Kanzlerwahl für Mittwoch anzusetzen. Seine Fraktion würde diesem Termin zustimmen, sagte Baumann.
BSW-Chefin Wagenknecht: „Friedrich Merz kann es einfach nicht“
Nach der gescheiterten Kanzlerwahl von Friedrich Merz im Bundestag hat BSW-Chefin Sahra Wagenknecht persönliche Konsequenzen für den CDU-Vorsitzenden gefordert. „Es wäre ein guter Tag für Deutschland, wenn es dabei bliebe und Friedrich Merz kein Bundeskanzler wird“, sagte Wagenknecht am Dienstag dem Nachrichtenportal t-online.
„Friedrich Merz kann es einfach nicht und sollte daraus die Konsequenzen ziehen.“
Wagenknecht sprach von einer „krachenden Niederlage“ auch für SPD-Chef Lars Klingbeil, der in der geplanten schwarz-roten Bundesregierung als Vizekanzler und Finanzminister vorgesehen ist. Mit Blick auf das im März beschlossene Finanzpaket für Verteidigung und die vorerst gescheiterte Wahl von Merz am Dienstag sagte Wagenknecht nun: „Diese schwarz-rote Aufrüstungskoalition ist eine Totgeburt.“
Linke sieht Misstrauensvotum gegen Merz
Die Linkspartei sieht das überraschende Scheitern von Merz bei der Kanzlerwahl als ein Misstrauensvotum gegen den CDU-Vorsitzenden. Wenn Merz nicht einmal das Vertrauen seiner eigenen Leute bekomme, „wie soll er dann das Vertrauen der Menschen gewinnen, die mit den realen Problemen des Alltags kämpfen“, erklärte Linken-Chef Jan van Aken am Dienstag. „Ihm gelingt es nicht zu verbinden, sondern nur zu spalten.“
Linken-Ko-Chefin Ines Schwerdtner warf Merz vor, sich nicht klar genug von der als rechtsextremistisch eingestuften AfD abgegrenzt zu haben.
„Es war von Anfang an ein Fehler von Merz, das Vertrauen der demokratischen Parteien zu verspielen und mit den Faschisten zu paktieren“, erklärte sie. „Er hat die Brandmauer eingerissen und bekommt nun die Rechnung.“
Merz hatte im Bundestagswahlkampf Ende Januar die Unterstützung der AfD zu einem Bundestagsantrag in Kauf genommen, der auf eine Verschärfung der Migrationspolitik zielte.
Merz‘ Scheitern im ersten Wahlgang belastet Dax
Der Rückschlag für Merz hat am Dienstag auch einen Rücksetzer am Aktienmarkt ausgelöst. Der Dax rutschte schon kurz nach dem Auftakt ins Minus und verstärkte diese Bewegung nach der Merz-Pleite im ersten Wahlgang. Zuletzt büßte der Leitindex 1,1 Prozent auf 23.084 Punkte ein. Auch der EuroStoxx 50 war mit 0,7 Prozent ins Minus gerutscht.
Merz erhielt in geheimer Abstimmung 310 von 621 abgegebenen Stimmen und damit 6 weniger als die nötige Mehrheit von 316. Die Nicht-Wahl von Merz sorgte unter Anlegern für Unsicherheit, hatten seine umfangreichen Investitionsvorhaben in Rüstung und Infrastruktur doch zuletzt als wichtiger Treiber dafür gegolten, dass sich der Dax dem Rekordniveau wieder annähern konnte. Im Monat März hatte das historische Finanzpaket dem Dax in ersten Reaktionen seine bisherige Bestmarke beschert, bevor dann die von US-Präsident Donald Trump angezettelten Zollkonflikte dazwischengefunkt hatten. (tp)
(Mit Material der Nachrichtenagenturen)
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