Kreativ-Modell oder Verzweiflungstat? Sachsen-Anhalt testet Viertagewoche an Schulen

Insbesondere an Sekundarschulen fehlen viele Lehrkräfte. Die Folge ist häufig Unterrichtsausfall. Sachsen-Anhalt will nun einen neuen Weg gehen. Es gibt zum Teil harsche Kritik.
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Unterricht in einer Grundschulklasse.Foto: iStock
Epoch Times9. Juli 2022

Sachsen-Anhalt will an einem Dutzend Schulen ein Modell mit vier Präsenz-Unterrichtstagen pro Woche und einem Tag fürs Distanzlernen oder praktische Tage in Unternehmen erproben. Grundlage sei ein Beschluss des Landtags, neue Modelle zur Unterrichtsorganisation an den Schulen zu erproben, erklärte ein Sprecher des Bildungsministeriums in Magdeburg.

Konkret soll das 4-plus-1-Modell im neuen Schuljahr 2022/23 an zwölf Sekundar- und Gemeinschaftsschulen erprobt werden. Die Schüler sollen an vier Tagen in den Schulen unterrichtet werden. Mit dem fünften Tag soll dem Ministeriumssprecher zufolge relativ kreativ umgegangen werden. Digitales Lernen über Apps oder das Moodle-Portal seien ebenso möglich wie Besuche in Unternehmen und Praxislerntage. Das Modellprojekt soll ein Schuljahr lang laufen und dann ausgewertet werden, hieß es.

Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) sagte dem „Spiegel“, der unter anderem zuerst darüber berichtete, das Modellprojekt verstehe sich „explizit nicht als Instrument gegen den Lehrkräftemangel“. Tatsächlich leiden viele Schulen in dem Bundesland unter Lehrermangel.

Koalitionspartner SPD: Vorschlag ist nicht abgestimmt

Kritik kam vom Koalitionspartner SPD. „Dieser Vorschlag ist innerhalb der Koalition nicht abgestimmt“, erklärte Fraktionschefin Katja Pähle. Es müsse sichergestellt sein, dass alle Lehrplaninhalte umgesetzt würden, kein Schüler dürfe Nachteile erleiden. Die Verantwortung dafür liege bei der Bildungsministerin und nicht beim Landtag, so Pähle.

Die Linksfraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt nannte die Vier-Tage-Woche einen „Ausdruck der Hilflosigkeit und mangelnden Ideen“ gegen den Lehrkräftemangel im Land“. Die Kinder und Jugendlichen ohne konkretes Bildungsangebot einfach zu Hause zu lassen, sei „keine Lösung“, kritisierte Vizefraktionschef Thomas Lippmann. Die AfD sprach von einem „Staatsversagen im Bildungsbereich“.

Verband: Unterrichtsausfallstatistik würde massiv geschönt

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) erklärte, das Modell stelle „eine Bankrotterklärung des Landes Sachsen-Anhalt im Bildungsbereich dar“. Der Landesvorsitzende Torsten Wahl kritisierte: „Hier wird eindeutig Lebens- und Lernzeit auf Kosten der Schülerinnen und Schüler vergeudet. Ein solcher Tag muss sehr gut in die Unterrichtsarbeit eingeplant, vorbereitet, durchgeführt und nachbereitet werden. Ein Distanzlerntag bedeutet jedoch für die Lehrkräfte eine enorme zusätzliche Belastung.“

Auch der Deutsche Lehrerverband hält nichts von einer Vier-Tage-Woche in der Schule plus einem Distanztag. „Das sehen wir außerordentlich kritisch“, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben nicht nur den Verdacht, dass da ein Sparmodell schrittweise auf leisen Sohlen eingeführt werden soll, sondern dass dadurch auch die Unterrichtsausfallstatistik massiv geschönt werden soll.“

Meidinger sagte, Distanzunterricht möge in der Oberstufe, wo Jugendliche selbstständiges Arbeiten gewohnt seien, zeitweise funktionieren. Jüngere Schüler bräuchten aber den Präsenzunterricht.

Besonders kritisch sieht der Lehrerverbandspräsident, dass der fünfte Tag flexibel gestaltet werden soll. „Das heißt, dass es gar nicht mehr auf die Fachstundentafel ankommt, sondern dass man da quasi machen kann, was man will.“ Meidinger befürchtet einen „dauerhaften Niveauverlust“. Bisher verbindliche Lernziele würden noch weniger erreicht werden können.

„Die Verzweiflungstaten der Länder, um den lange schöngeredeten Lehrkräftemangel zu kaschieren, nehmen zu“, sagte der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, der dpa. „Die Maßnahme in Sachsen-Anhalt ist nichts anderes als das Eingeständnis einer über Jahre verfehlten Personalpolitik und eine verschleierte Kürzung der Stundentafel.“ Er sprach von einer Notmaßnahme, weil zunehmend erkannt werde, dass „auch das Reservoir, aus dem man Seiten- und Quereinsteiger oder pensionierte Lehrkräfte gewinnen konnte, weitgehend erschöpft ist“. (dpa/afp/red)



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