EZB vor Zinsentscheidung: Lagarde verliert an Rückhalt in der Notenbank

Am Donnerstag wird die EZB über ihren nächsten Zinsschritt entscheiden. Der Druck auf Präsidentin Lagarde ist groß. Ihr werden Fehlprognosen angelastet.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde (l) mit dem ehemaligen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet auf dem 32. European Banking Congress in Frankfurt/Main.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde (l) mit dem ehemaligen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet auf dem 32. European Banking Congress in Frankfurt/Main.Foto: Hannes P. Albert/dpa
Von 15. Dezember 2022

Am Donnerstag (15.12.) wird die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Entscheidung zum weiteren Vorgehen in der Zinspolitik bekannt geben. Nach sechs Jahren der Nullzinspolitik hatte die Notenbank unter Leitung von Präsidentin Christine Lagarde eine Kehrtwende eingeleitet. Unter dem Eindruck von Ukraine-Krieg, explodierenden Energiepreisen und zweistelliger Inflation erhöhte die EZB den Leitzins zum 27. Juli erstmals auf 0,5 Prozent.

In weiteren Zinsschritten stieg dieser zum 14. September auf 1,25 und am 2. November auf zwei Prozent. Am Donnerstag wird es eine weitere Erhöhung geben, zumal die Inflation in Europa weiter hoch ist – während sie in den USA immerhin zuletzt auf 7,1 Prozent fiel. Dies waren 0,2 Prozentpunkte weniger als erwartet.

EZB-Gewerkschafter liefern der Notenbank einen Arbeitskampf

Ob die guten Nachrichten aus den USA eine Auswirkung auf die anstehende Zinsentscheidung haben werden, ist noch unklar. Der Druck auf Lagarde ist in den vergangenen Wochen jedoch stark gestiegen – und das nicht nur von der Gewerkschaft, die der EZB gerade einen Arbeitskampf liefert.

Dass die Arbeiter unter dem Eindruck einer Inflation von zehn Prozent eine entsprechende Lohnerhöhung fordern, während die Präsidentin vor der Lohn-Preis-Spirale warnt, ist vielsagend. Das „Handelsblatt“ zitiert Gewerkschaftschef Carlos Bowles mit den Worten:

Letztes Jahr wurde uns gesagt, wir sollten geduldig sein, da die Inflation nur vorübergehend sein werde, und jetzt liegt sie bei zehn Prozent, und wir verlieren noch mehr.“

Er ist nicht der Einzige, der Lagarde und ihrem Chefvolkswirt Philip Lane eine fundamentale Fehleinschätzung der realen Teuerungslage vorwirft. Auch wenn der Ukraine-Krieg und die Sanktionen gegen Russland zum Inflationstreiber gerieten, stehen Lagarde und Lane in der Kritik. Sie hätten durch ihre Nullzinspolitik und das Anleihekaufprogramm bereits zuvor schlechtes Gespür bewiesen.

Lagarde und Lane wird Zögerlichkeit bei der Abkehr vom Nullzins vorgeworfen

Noch während dieses Jahres hatte sie für 2023 einen Rückgang der Teuerung auf das Langzeitziel der EZB von zwei Prozent prognostiziert. Deshalb betrachtete sie eine Zinserhöhung im laufenden Jahr als „sehr unwahrscheinlich“. Sie und ihre rechte Hand Lane waren anfänglich allenfalls mit einer Drosselung des Anleihenkaufs einverstanden. Bezüglich einer Zinserhöhung blieben sie zögerlich – anders als die Fed in den USA.

Mittlerweile geht es vom derzeitigen Zinsniveau von zwei Prozent Marktbeobachtern zufolge nur um die Frage, ob der nächste Zinsschritt bei 0,5 oder 0,75 Prozentpunkten liegen soll. Auch ein Abstoßen aufgekaufter Anleihen im nächsten Jahr erscheint als wahrscheinlich. Derzeit liegt dieser bei fast fünf Billionen Euro – was mehr als das deutsche BIP ausmacht.

Wie das „Handelsblatt“ schreibt, haben sowohl Lagarde als auch Philip Lane im Führungskollegium der EZB an Autorität eingebüßt. Die von Ökonomen für den Euroraum prognostizierte Inflationsrate für 2022 liegt bei 8,5 Prozent. Im Dezember 2021 sagten die EZB-Volkswirte noch 3,2 Prozent voraus. Auch unter Berücksichtigung des Ukraine-Kriegs ist das eine sehr wesentliche Abweichung.

BlackRock-CEO macht Notenbankpolitik für Stagnation verantwortlich

Zumal Experten aus den USA den Krieg nur als einen von mehreren Faktoren für die Inflationsentwicklung betrachten. Noch wesentlich schwerer wiegten die Folgen einer jahrelangen lockeren Geldpolitik, für die unter anderem auch Lagarde und Lane verantwortlich gewesen wären.

BlackRock-CEO Larry Fink rechnet er noch über mehrere Jahre hinweg mit Teuerungsraten von bis zu vier Prozent. Dies habe unter anderem auch am Gebaren der Notenbanken gelegen, wobei Fink explizit das Anleihekaufprogramm der EZB kritisierte.

Fink rechnet damit, dass die Auswirkungen der Notenbankpolitik vorangegangener Jahre noch längere Zeit andauern werden. Dies hätte für die kommenden Jahre weiterhin eine hohe Volatilität an den Börsen zur Folge. Er sieht zwar keine Anzeichen für einen großflächigen wirtschaftlichen Zusammenbruch, es werde allerdings auch kaum substanzielles Wachstum geben. Es werde noch über Jahre eine Entwicklung an den Börsen geben, die „nicht auf echtem Wachstum beruhen wird“.

Roubini: Nullzins hielt „insolvente Zombies“ am Leben

Auch der Wirtschaftswissenschaftler und Berater der Obama-Regierung, Nouriel Roubini, macht die Notenbankpolitik für eine „tiefe, langwierige Rezession“ verantwortlich, die auf die Weltwirtschaft zukomme.

Die Weltwirtschaft steuere auf ein „noch nie da gewesenes Zusammentreffen“ von Finanz-, Schulden- und Wirtschaftskrisen zu, so Roubini. Verantwortlich dafür seien eine explodierende Verschuldung, Kreditaufnahmen und Defizite in den vergangenen Jahrzehnten. Diese träfen nun Haushalte und Unternehmen ähnlich wie Regierungen, Finanzinstitutionen oder Pensionspläne. Die ungünstige demografische Entwicklung verschärfe die Situation.

Mithilfe der Nullzinspolitik früherer Jahre hätten die Notenbanken „insolvente Zombies“ am Leben gehalten, betonte der Ökonom. Tatsächlich seien zahlreiche Unternehmen, Schattenbanken, aber auch öffentliche Institutionen und Regierungen gar nicht mehr zahlungsfähig.

Zweifel an fachlichem Gespür von Lagarde

Lagarde werde von Mitarbeitern der EZB als umgänglich und angenehme Chefin beschrieben, schreibt das „Handelsblatt“. Dies mache es leichter, andere Entscheidungsträger zu überzeugen. Allerdings zweifeln viele zunehmend an ihrem ökonomischen Spürsinn, zumal sie keine ausgebildete Ökonomin ist.

Sie habe lieber über Klimaschutz und Frauenrechte als über die Inflation geredet und diese noch dazu für ein vorübergehendes Phänomen gehalten. Ihr Prestige bei vielen Mitarbeitern hatte sie auch mit dem abrupten Widerruf der Homeoffice-Regelung eingebüßt.

Ihr Vorgänger Mario Draghi habe demgegenüber als schwierig im Umgang, aber im Bereich der Fachkompetenz als Schwergewicht gegolten. Zudem gilt er bis heute als Retter des Euro vor dem Hintergrund der Turbulenzen der 2010er-Jahre.

Experten rechnen mit Paketlösungen der EZB am Donnerstag

Demgegenüber sehen viele den Einfluss der 51-jährigen Bonner Ökonomin Isabel Schnabel innerhalb der EZB wachsen. Sie ist derzeit in deren Führungsetage für das Ressort Märkte zuständig und hatte als eine der Ersten eine Abkehr von der Zinspolitik angemahnt. Dass sie im Sommer die EZB auf der Notenbankkonferenz in Jackson Hole vertrat, galt schon damals als ein Zeichen wachsender Bedeutung.

Anders als Lagarde und Lane habe Schnabel vor einer gefährlichen Eigendynamik im Bereich der Inflationsentwicklung gewarnt. Sie behielt mit einer Vielzahl ihrer Einschätzungen recht, und erst jüngst erklärte sie, dass „der Spielraum für eine Verlangsamung der Zinsanpassung begrenzt bleibt“.

Commerzbank-Ökonom Michael Schubert rechnet für Donnerstag mit einer „Paketlösung“. Demnach könnten die „Abwiegler“ um Philip Lane einen Zinsschritt von lediglich 0,5 Prozent durchsetzen. Die jüngsten Nachrichten über die Inflationsentwicklung in den USA spielen ihm in die Hände. Allerdings rechnet Schubert damit, dass die EZB nächstes Jahr tatsächlich ihre Anleihebestände abbauen werde.

In der US-Investmentbank rechnet man auch damit, dass die EZB ihre Inflationsschätzung für 2023 von derzeit 5,5 auf 6,5 Prozent anheben werde. Eine Rückkehr auf ein Zwei-Prozent-Niveau sei frühestens für 2025 zu erwarten.



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