Ein Rechtsanspruch auf Ganztagsschule löst noch keine Probleme im Bildungsbereich

In Bayern besuchen 16 % der Kinder eine Ganztagsschule, in Hamburg 91,5 %. Um einen Rechtsanspruch auf Ganztagsschule für Grundschüler umzusetzen, müsste allein für das Personal 2,6 Milliarden Euro pro Jahr eingesetzt werden.
Epoch Times17. Oktober 2017

Um einen Rechtsanspruch auf einen Platz in der Ganztagsschule zumindest für Grundschulkinder umzusetzen, müssten weitere 3,3 Millionen Ganztagsplätze geschaffen werden. Dazu wären allein für die Personalkosten 2,6 Milliarden Euro jährlich notwendig. Kritiker halten das für kaum machbar.

Im Bundestagswahlkampf hatten mehrere Parteien, darunter die Union, SPD und Grüne, einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung gefordert.

Nach den Zahlen für das Schuljahr 2015/2016 nehmen bundesweit rund vier von zehn Schülern (39,3 Prozent) eine Ganztagsschule in Anspruch. Das geht aus einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor. Im Schuljahr 2002/2003 ging jeds zehnte Kind (9,8 Prozent) dorthin.

Hamburg: 91,5 % der Kinder sind in einer Ganztagsschule

Deutliche Unterschiede gibt es je nach Bundesland. Im Schuljahr 2015/2016 hatten beim Spitzenreiter Hamburg rund neun von zehn Kindern einen Platz in einer Ganztagsschule (91,5 Prozent) – beim Schlusslicht Bayern sind es 16,0 Prozent der Kinder.

Um bis 2025 für 80 Prozent der Schüler einen Ganztagsschulplatz zu haben, müsste die Politik 15 Milliarden Euro in Räume und Ausstattung investieren und 47.600 zusätzliche Pädagogen einstellen – darunter 31.400 Lehrkräfte und 16.200 sonstige Pädagogen wie Schulsozialarbeiter oder Erzieher.

Bis 2030: Pro Jahr müssten 300.000 zusätzliche Plätze entstehen

Um dann bis 2030 für alle Kinder einen Platz zu haben, müssten pro Jahr mindestens 300 000 zusätzliche Ganztagsschulplätze entstehen.

„Das ist eine Größenordnung, die beim Kita- und Krippenausbau selbst in den Zeiten des stärksten Ausbaus nie erreicht wurde“, räumt Dirk Zorn ein, Experte zum Thema bei der Bertelsmann-Stiftung.

Es wird immer Eltern geben, die keine Ganztagsschule wollen

Thomas Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München hält das in der Studie angenommene Ausbautempo für „extrem sportlich“ und kaum schaffbar.

Er sieht die Annahmen für die Modellrechnung der Bertelsmann-Studie noch aus einem anderen Grund kritisch.

„Es wird immer einen Teil der Eltern geben, die ihre Kinder nicht in die Ganztagsschule geben wollen“, sagt er. Für jedes Kind einen Ganztagsschulplatz zu schaffen – wie in dem Modell für 2030 vorgesehen -, sei zu viel und gehe am Bedarf der Eltern vorbei.

im Osten: 85% und im Westen 57 % der Eltern haben Bedarf

Laut einer von der Bertelsmann-Stiftung zitierten Umfrage wünschen sich derzeit fast drei von vier Eltern (72 Prozent) einen Platz in einer Ganztagsschule.

Auf etwas andere Zahlen kommt das Deutsche Jugendinstitut: Danach haben 85 Prozent der Eltern im Osten Bedarf – aber nur 57 Prozent im Westen.

Bertelsmann-Stiftung und Familienministerin Barley fordern Rechtsanspruch

Die Bertelsmann-Stiftung fordert von der Politik, einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz einzuführen. Die Einführung eines Rechtsanspruchs habe auch den Kita- und Krippenausbau erst richtig ins Rollen gebracht, erklärt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Familienministerin Katarina Barley (SPD) forderte einen Rechtsanspruch auf Ganztagsunterricht. „Es ist nicht einzusehen, warum der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz mit dem Schuleintritt erlischt“, sagt sie.

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil forderte CDU, FDP und Grüne auf, in den am Mittwoch beginnenden Sondierungsgesprächen den Bund bei der Finanzierung von Ganztagsschulen ins Boot zu holen.

Dafür müsse das Kooperationsverbot im Grundgesetz abgeschafft werden. „Und zweitens muss der Schwerpunkt bis 2021 der Grundschulbereich sein, damit die Eltern nach der Kita nicht länger in ein tiefes Betreuungsloch fallen.“

Ein Rechtsanspruch löse noch keine Probleme im Bildungsbereich

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, pocht in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ auf mehr Investitionen von Bund und Ländern. „Diese gewaltige Aufgabe ist nur von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam zu schultern“, sagt er.

Ein Rechtsanspruch allein löse außerdem noch keine Probleme im Bildungsbereich.

Wolfgang Stadler von der Arbeiterwohlfahrt appellierte an die Parteien, ihr Wahlversprechen – den Rechtsanspruch auf Betreuung im Grundschulalter – einzuhalten. Aber auch die Qualität von Bildung müsse konsequent ausgebaut werden. (dpa)



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