Größtes deutsches Stickstoffwerk kämpft ums Überleben – 10.000 Arbeitsplätze in Gefahr

Die Situation der Wittenberger SKW Stickstoffwerke Piesteritz, das größte Unternehmen seiner Art in Deutschland, besorgt nicht nur die Stadtvertreter, sondern auch die Bürger der Stadt, der Region bis zu Sachsen-Anhalts Landesvertretern.
Titelbild
Die SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH haben mit den hohen Energiekosten und der Einfuhr von billigem russischen Dünger zu kämpfen.Foto: Bildschirmfoto | Werbefilm der SKW Piesteritz
Von 2. Mai 2024

Mit seinen rund 900 Arbeitsplätzen ist die SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH das größte Unternehmen der Lutherstadt Wittenberg und damit als Arbeitgeber, Ausbilder und Steuerzahler bedeutend. Die Politik spricht sogar von 10.000 Arbeitsplätzen, die von dem Werk und den rundherum angesiedelten Weiterverarbeitungsbetrieben abhängig sind. Das SKW-Werk gilt als der größte Harnstoff- und Ammoniakproduzent Deutschlands.

Doch seit letztem Jahr gibt es Hinweise darauf, dass aufgrund veränderter politischer und wirtschaftlicher Rahmenbindungen wie den höheren Energiekosten und billigen Konkurrenzprodukten – insbesondere aus Russland – die wirtschaftliche Situation für SKW so angespannt ist, dass eine Verlagerung der Produktion ins Ausland im Gespräch ist.

Dabei schätzen die Landwirte der Region die Möglichkeit zur Direktabholung ab Werk der qualitativ als hochwertig geltenden Düngemittel. Auch damit wäre Schluss.

Neben Düngemitteln produziert das Werk auch AdBlue. Mit BASF und Yara gehört das Werk in Piesteritz zu den größten Herstellern von AdBlue in Deutschland.

AdBlue besteht aus Wasser und Harnstoff. Es wandelt die Stickoxidemissionen aus Abgasen von Dieselmotoren in Stickstoff und Wasser um. Ohne AdBlue wären zahlreiche Dieselfahrzeuge aufgrund der Emissionsvorschriften nicht mehr nutzbar.

Seitens SKW hält man sich mit konkreten Aussagen zu einer möglichen Produktionsverlagerung ins Ausland bedeckt. „Wir begrüßen sehr, dass sich Oberbürgermeister, Landrat und Landesregierung für uns beim Bundesministerium einsetzen“, heißt es gegenüber Epoch Times.

Mit dem Wirtschaftsministerium sei man regelmäßig im Kontakt. Man arbeite an einer Lösung. Mehr wolle man nicht sagen, so der Pressesprecher Christopher Profitlich.

Produktion stand bereits still

Bereits im August 2022 stand für mehrere Wochen die Produktion des Werkes still, damals waren der hohe Gaspreis und die Gasumlage Grund für den Produktionsstopp.

Kurz zuvor, im Juni 2022 bei einem Besuch in Wittenberg, erklärte Michael Kellner (Grüne), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, die SKW Stickstoffwerke für systemrelevant. Mit 1,2 Milliarden Kubikmetern Jahresverbrauch sind die Werke einer der größten Gasverbraucher Deutschlands.

Laut Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) boten die SKW zahlreichen anderen Unternehmen die Möglichkeiten zur Ansiedlung. Das Werk kämpfe um faire Wettbewerbsbedingungen.

Hierbei unterstütze die Stadt gemeinsam mit der Unternehmensführung, dem Landrat und den politischen Gremien der Stadt das Werk, indem man sich an verantwortliche politische Entscheidungsträger im Bundeswirtschaftsministerium wende.

„Dies dauert noch immer an“, heißt es aus dem Büro von Zugehör. Zwei ortsansässige Kommunalpolitiker, mit denen Epoch Times sprach, haben jedoch wenig Hoffnung, dass die jetzige Bundesregierung die Situation verbessern kann.

Andere EU-Länder haben Lieferverträge bis 2040

So hat der ehemalige Stadtrat Rudolf Kaufhold große Sorgen, dass mit dem SKW-Werk auch die dort angesiedelte Industrie „den Bach heruntergeht“. Er war einmal als Stellvertreter des Bürgermeisters für Verkehr, Energie, Umwelt und Wasserwirtschaft in der Lutherstadt und in der städtischen Wirtschaftsförderung tätig. Am Aufbau des Agro-Chemie Park Piesteritz um das SKW-Werk sei er beteiligt gewesen. Eine „Erfolgsgeschichte“, wie er berichtet.

Dass weiterhin Dünger aus Russland importiert werde, aber russisches Erdgas in Deutschland nicht mehr – politisch gewollt – genutzt werden könne, verwundert den Wittenberger. Er verweist auf die Aussage von Außenministerin Annalena Baerbock am 10. Mai 2020 bei ihrem Besuch in Kiew: Deutschland wolle künftig komplett ohne Energie des „Aggressors“ Russland auskommen.

Russischer Dünger werde, genau wie der deutsche, auf Erdgasbasis produziert. „Das russische Erdgas kommt über den Dünger zu uns. Das ist ja nicht mehr zu fassen“, so Kaufhold. Er verweist darauf, dass Österreich mit Russland Lieferverträge bis 2040 für Erdgas abgeschlossen hat.

Er plädiert dafür, den intakten Strang der Nord-Stream-2-Pipeline wieder in Betrieb zu nehmen. „Damit unsere Industrie wieder günstiges Gas zur Verfügung hat.“

Wenn das SKW Werk nicht mehr wettbewerbsfähig sei, wären nicht nur zahlreiche Arbeitsplätze in Gefahr, sondern der Stadt drohe auch der Verlust der Gewerbesteuer.

Der deutsche Dünger aus Piesteritz sei nachhaltiger und habe eine ganz andere Leistungsstärke gegenüber den russischen, so Kaufhold. „Die Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) müsste sich eigentlich darum kümmern, dass unsere Landwirtschaft den besten Dünger bekommt“, so der ehemalige FDP-Politiker.

Denn im Preisvergleich mit Russland kann das Werk nicht mithalten. „Das AdBlue, hier in Deutschland produziert, kostet beim Endpreis circa einen Euro pro Liter und Russland verkauft ihn für 20 Cent.“

„Veränderungen werden nicht in Berlin entschieden“

Stadtrat Heiner Friedrich List von der Allianz der Bürger erklärt, dass man geschlossen fraktionsübergreifend, mit Ausnahme der Grünen-Fraktion, einen Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) letztes Jahr geschickt habe. Sie forderten, dass die Düngemittellieferungen von Russland gestoppt werden müssten.

„Die Wirkung war, als wenn ein kleiner Hund bei uns an die Luthereiche pinkelt“, so List. Aus dem Ministerium habe es lediglich geheißen, dass man sich bemühe. Auch der Oberbürgermeister sei zweimal hingefahren, aber man habe ihn abblitzen lassen.

Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt als auch der Landrat reagierten nicht auf eine Anfrage der Epoch Times.

Als Grund für die geringe Motivation zu Veränderungen sieht List existierende Verträge zwischen der EU und Russland. Veränderungen würden nicht in Berlin entschieden oder durch einen Wittenberger Oberbürgermeister oder Stadtrat. „Er ist machtlos und wir sind machtlos“, so List.

Die Düngemittellieferungen Russlands in die EU würden nicht eingestellt, weil dem Land per Vertrag zugesichert worden sei, dass, nur wenn sie Düngemittel in die EU einführen dürfen, ukrainischer Weizen über das Schwarze Meer exportiert werden darf, so der seit 30 Jahren im Stadtrat aktive Wittenberger.

In seinen Augen würde die deutsche Politik in den USA gemacht. Die Grünen hätten zudem ein Problem damit, dass der Milliardär und ehemalige tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš „kräftig“ am SKW-Werk mithilfe des russischen Erdgases verdiene. Er ist Eigentümer der Agrofert-Gruppe zu der das SKW Werk Piesteritz gehört.

Sprecherin: Ministerium ist Lage des SKW-Werks bewusst

Aus dem Bundeswirtschaftsministerium heißt es, dass die Bundesregierung bereits vielfältige Maßnahmen ergriffen hätte, um die Auswirkungen des Russland-Ukraine-Krieges und der Energiekrise abzufedern.

Dem Ministerium sei bewusst, dass das SKW-Werk und die erdgasintensive Düngemittelherstellung in Deutschland durch hohe Energiekosten, gesunkene Verkaufspreise aufgrund von Billigimporten, hoher Umwelt- und Sozialstandards im Vergleich zum Nicht-EU-Ausland einem verschärften Wettbewerbsdruck ausgesetzt sei. „Aufgrund dessen verlängern wir die entsprechenden Hilfsprogramme und prüfen weitere Maßnahmen“, erklärt eine Sprecherin gegenüber Epoch Times.

Im Rahmen der Bundesförderung für Energie-Ressourceneffizienz in der Wirtschaft (EEW) habe man dem Werk einen Zuschuss in Höhe von rund 4,8 Millionen Euro für die Optimierung der Anlagen und Prozesse bewilligt. So könnten zukünftig etwa 9.000 t CO₂ pro Jahr eingespart werden.

Mit dem beschlossenen Wachstumschancengesetz habe die Bundesregierung zudem Maßnahmen verabschiedet, die die Investitions- und Standortbedingungen für in Deutschland produzierende Unternehmen verbessern würden.

Strompreispaket soll helfen, Kosten abzufedern

Zudem entlaste die Ampel mit dem Strompreispaket, das zum 1. Januar 2024 in Kraft trat, die energieintensive Industrie. Darin enthalten sei auch eine befristete Absenkung der Stromsteuer für alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes auf den EU-Mindeststeuersatz von 0,05 Cent pro Kilowattstunde. Das Paket habe eine Gesamtwirkung von bis zu 6,5 Milliarden Euro zunächst auf zwei Jahre befristet.

Zudem sei die EEG-Umlage 2022 vollständig abgeschafft worden. Auch seien Strom- und Gaspreise wieder deutlich gesunken, obwohl das Niveau bei den Großhandelspreisen für Erdgas und für Strom zum Teil noch über dem langjährigen Niveau liege.

Ministerium verweist auf Brüssel

Auf die Frage, warum die Einfuhr russischen Erdgases und Erdöls nach Deutschland unterbunden wird, aber billiges russisches Düngemittel weiter importiert wird und ob die Bundesregierung sich für ein EU-Einfuhrverbot von russischem Dünger einsetzt, verweist man auf Brüssel.

„Die Liste der sanktionierten Handelsgeschäfte mit Russland wird auf EU-Ebene ständig erweitert. Sie ist Ergebnis der Beratungen, an denen alle Mitgliedstaaten und die EU-Kommission teilnehmen.“ Verhandlungsführer für Deutschland sei das Auswärtige Amt, so die Ministeriumssprecherin.

„Im Sinne der Versorgungssicherheit ist es unser Ziel, eine resiliente Energieinfrastruktur zu errichten, die sich klar am Vorsorgeprinzip orientiert, Risiken unterschiedlicher Art einpreist und ein flexibles Handeln ermöglicht“, so das Ministerium.

Unternehmen und private Verbraucher müssten sich weiterhin auf schwankende Preise einstellen. Aber man sehe deutliche Entspannungssignale, sowohl bei den zur Verfügung stehenden Energiemengen als auch bei den Preisen.

Zur Geschichte des Stickstoffwerkes in Piesteritz

SKW Piesteritz hat eine lange Geschichte. Gegründet wurde das Unternehmen als Reichsstickstoffwerke Piesteritz im März 1915. 1945 erfolgte die Besetzung des Werkes durch die Rote Armee. 1953 wurde das Werk in einen sogenannten volkseigenen Betrieb umgewandelt.

Nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 wurde das Unternehmen zu einer Aktiengesellschaft umgewandelt. Unter Verwaltung der Treuhandgesellschaft wurde das Werk Anfang der 1990er-Jahre verkleinert und modernisiert. Die Zahl der Mitarbeiter sank von fast 9.000 Beschäftigten auf circa 700.

1993 wurde die SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH gegründet. 1997 wurden erste neue Anlagen gebaut. 2006 wurde die tschechische Agrofert-Gruppe alleiniger Eigentümer des Werks.



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