Spannungen mit Trump
Wahl in Kanada: Liberale hoffen auf Mehrheit – Konservative setzen auf Wechsel
Am 28. April sind knapp 30 Millionen Kanadier zur Wahl des 45. Unterhauses aufgerufen. Nach dem Rücktritt von Justin Trudeau steht sein Nachfolger Mark Carney vor der Herausforderung, die Liberalen erneut zur Mehrheit zu führen. Der Wahlkampf war bis zuletzt von einem eingetrübten Verhältnis zu den USA überschattet.

Mark Carney (rechts) und Pierre Poilievre wollen Premierminister von Kanada werden. (Archivbilder)
Foto: Adrian Wyld/Chris Young/The Canadian Press/AP/dpa
Knapp 30 Millionen Wahlberechtigte sind am Montag, 28. April, aufgerufen, ihre Stimme zur 45. Unterhauswahl in Kanada abzugeben. Die Wahl wurde vorgezogen, nachdem der zuvor seit 2015 regierende Regierungschef Justin Trudeau im Januar zurückgetreten war. Gewählt werden 343 Sitze auf der Grundlage einer neuen Wahlkreiseinteilung, die sich auf die Ergebnisse der Volkszählung 2021 stützt. In Kanada gilt ein Mehrheitswahlrecht in Einerwahlkreisen.
Trudeaus Nachfolger Mark Carney von der Liberalen Partei hatte die Neuwahl nach dessen Rücktritt ausgerufen, die Auflösung des Parlaments erfolgte am 23. März. Seit 2019 führte die Liberale Partei eine Minderheitsregierung, die bis September 2024 von der sozialdemokratischen „Neuen Demokratischen Partei“ (NDP) toleriert wurde.
Spannungen mit Trump standen im Vordergrund des Wahlkampfs
Vieles deutet darauf hin, dass sich an dieser Konstellation auch nach dieser Wahl nichts Substanzielles ändern wird. Die Umfragewerte der Liberalen, die in der Endphase der Ära Trudeau auf weniger als 15 Prozent und den dritten Platz zurückgefallen waren, haben sich nach dem Rücktritt wieder normalisiert.
Dazu kamen zunehmende Spannungen mit dem Nachbarland USA nach dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump. Diese begannen zunehmend, den Wahlkampf zu überschatten und innenpolitische Themen in den Hintergrund zu rücken.
Trump verhängte Strafzölle von 25 Prozent gegen Kanada – hauptsächlich mit dem Hinweis auf die Fentanyl-Krise. Der Präsident warf dem Nachbarland vor, nicht konsequent genug gegen den Schmuggel über die Grenze vorzugehen. Noch im Jahr 2020 hatte er mit Kanada und Mexiko ein neues Freihandelsabkommen abgeschlossen.
Eingliederungsangebote in Kanada als Affront wahrgenommen
Dazu kamen wiederholte Angebote, Kanada als 51. Bundesstaat in die USA aufzunehmen. Für das nördliche Nachbarland, das flächenmäßig sogar etwas größer ist als die Vereinigten Staaten, wenn auch deutlich dünner besiedelt, galt das als Affront. Zudem hatte Trump Trudeau mehrfach als „Gouverneur“ statt als Premierminister bezeichnet, um die Offerte zu unterstreichen.
Nachfolger Carney nutzte diesen Umstand, um an den kanadischen Patriotismus zu appellieren und auf Abgrenzung zu den USA zu setzen. Die Entwicklung schadete insbesondere dem Spitzenkandidaten der Konservativen Partei, Pierre Poilievre. Dieser hatte stilistisch und thematisch Anleihen an Trump genommen – was seinen Gegnern eine Vorlage bot, ihn in dessen Nähe zu rücken.
Inwieweit die Ereignisse in den letzten Tagen vor der Wahl noch Veränderungen der Stimmungslage bewirkt haben, ist ungewiss. US-Präsident Trump hatte zuletzt eine 90-tägige Zollpause ausgerufen. Diese gilt für alle Länder außer China – und soll Spielraum für Verhandlungen eröffnen.
Konflikt mit den USA stellte Debatte über China in den Schatten
Dazu kommt der Vorfall in Vancouver, als ein 30-Jähriger in eine Gruppe von Teilnehmern des „Lapu-Lapu-Festivals“ der philippinischen Einwanderercommunity fuhr. Die Amokfahrt forderte mindestens 11 Todesopfer, der Täter, der unter einer psychischen Erkrankung litt, war polizeibekannt. Allerdings fand das Ereignis möglicherweise zu kurz vor den Wahlen statt, um die Sicherheitsdebatte noch einmal in den Fokus zu rücken.
Neben der Sicherheit hatte Kanada zuletzt mit hoher Inflation, steigenden Lebensmittelpreisen und Wohnungsnot in seinen Metropolen zu kämpfen. Dazu kommt ein Mangel an Arbeitskräften, der durch mehrfache Kehrtwendungen der Regierung Trudeau in der Einwanderungspolitik noch verstärkt worden ist. Die Fokussierung auf die USA half den Liberalen, das Thema des chinesischen Einflusses in den vergangenen Jahren aus dem Wahlkampf zu halten.
Poilievre will in dieser Situation durch Steuersenkungen und Abbau umweltpolitischer Vorgaben die durch die rigide Corona-Politik geschwächte Wirtschaft wiederbeleben. Carney setzt hingegen auf staatliche Investitionen, die neben Wachstum und Beschäftigung auch die Netto-Null-Ziele im Visier haben. Um die kleinen Einkommen zu entlasten, hat die Regierung die Mehrwertsteuer auf Grundbedarf gesenkt. Poilievre wertet dies als Wahlkampfmanöver.
Carney war Chef der Zentralbank in Kanada und Großbritannien
In den jüngsten Umfragen vor der Wahl liegt die Liberale Partei mit 42 bis 44 Prozent der Stimmen voran. Das wäre ein Stimmenanteil, der deutlich über den Ergebnissen liegt, die Trudeau in den zehn Jahren seiner Amtszeit einfahren konnte. Sein Nachfolger Mark Carney war Zentralbankchef in Kanada und Großbritannien.
Der Ökonom gilt als erfahrener Krisenmanager. Ob es ihm gelingen wird, eine absolute Mandatsmehrheit zu erzielen, ist unsicher. Vor allem in den frankofonen Provinzen stellen seine mangelhaften Sprachkenntnisse ein Handicap dar.
Zu den autoritären Maßnahmen seines Vorgängers Trudeau in der Corona-Politik hat Carney sich im Wahlkampf nicht geäußert. Er beriet die Regierung zur wirtschaftlichen Reaktion auf die Pandemie, allerdings befand er sich selbst in keiner Entscheidungsposition. In gesellschaftspolitischen vermied Carney bislang das dezidiert „woke“ Auftreten Trudeaus. Allerdings kündigen sich auch keine tiefgreifenden Veränderungen in diesem Bereich an.
Gleiches gilt für die Unterstützung der Ukraine, die auch Poilievre nicht infrage stellt. In der Ära Trudeau erlebte Kanada einen Nazi-Skandal, als im Rahmen eines Besuchs des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unter anderem der 98-jährige Waffen-SS-Veteran Jaroslaw Hunka im Parlament geehrt wurde.
NDP und Bloc Québécois als mögliche Zünglein an der Waage
Die Konservativen halten derzeit bei 38 bis 39 Prozent der Stimmen. Sie setzen auf Ausgabenkürzungen und niedrige Steuern. Poilievre weist libertäre Tendenzen in der Wirtschaftspolitik auf. Er versuchte im Wahlkampf auch, sich durch Anti-Woke-Rhetorik als Common-Sense-Kandidat in Szene zu setzen.
Auf Platz 3 bleibt die NDP unter Jagmeet Singh. Der Politiker aus der Sikh-Community hatte Ende des Vorjahres von der Schwäche der Liberalen profitiert. Seine Partei lag nahe an der 20-Prozent-Marke in den Umfragen. Allerdings ist sie mittlerweile auf 9 bis 10 Prozent zurückgefallen. Theoretisch könnte sie, sollte Carney die absolute Mehrheit verfehlen, auch ein konservatives Kabinett stützen. Dies dürfte jedoch an der inhaltlichen Ausrichtung beider Parteien in der Wirtschaftspolitik scheitern. Bereits die Tolerierung der Liberalen scheiterte 2024 daran, dass die NDP diese als zu arbeitgebernah einordnete.
Aufgrund seiner Stärke in der französischsprachigen Provinz kann der Bloc Québécois mit mehr als 30 Sitzen rechnen, obwohl auch er in Umfragen zuletzt Federn lassen musste. Wenige Chancen auf herausragende Ergebnisse werden auch den Grünen und der rechtsgerichteten Kanadischen Volkspartei eingeräumt.
Wo die Parteien ihre Hoffnungsgebiete sehen
Als Hochburgen der Liberalen gelten Toronto und Umgebung, Vancouver und die am Atlantik gelegenen Provinzen Nova Scotia und New Brunswick. Die Partei könnte auch von taktischen Stimmabgaben von Anhängern der NDP oder der Grünen profitieren.
Die Konservativen haben vor allem in den Prärieprovinzen Alberta, Saskatchewan und Manitoba sowie den ländlichen Gebieten von Ontario und British Columbia ihre stärksten Bastionen. Poilievre hofft vor allem auf die Stimmen junger Männer und Bevölkerungsschichten, die von der Inflation besonders betroffen sind. Als möglicherweise wahlentscheidende Gebiete gelten Städte wie Brampton und Regionen wie Quebec oder British Columbia.
Reinhard Werner schreibt für die Epoch Times zu Wirtschaft, gesellschaftlichen Dynamiken und geopolitischen Fragen. Schwerpunkte liegen dabei auf internationalen Beziehungen, Migration und den ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen.
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