Während der neue Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) heute seine ersten Antrittsbesuche in den Nachbarländern Frankreich und Polen absolviert, hat Innenminister Alexander Dobrindt verstärkte Grenzkontrollen als Sofortmaßnahme angekündigt.
Es geht darum, den Zustrom illegaler Einwanderer nach Deutschland zu begrenzen. Polen ist eines der Länder, aus denen die Zuwanderung von Migranten nach Deutschland besonders hoch ist. Wer es schafft, im Osten Polens die polnisch-belarussische Grenze zu überqueren, versucht in der Regel, nach Deutschland zu gelangen. Dieser Übergang wird „Osteuroparoute“ genannt. Zu den Migranten, die über Polen in den Westen wollen, zählen laut dem polnischen Nachrichtenportal
„O2“ vor allem Ukrainer, Afghanen und Iraker.
Stundenlange Staus auf polnischen Straßen
Obwohl die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache
Frontex kürzlich berichtete, die Migration sei von Januar bis März dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um ein Drittel zurückgegangen, bleibt dieses Problem für Deutschland bestehen.
Jan Tombiński, an der Stelle eines fehlenden Botschafters polnischer Geschäftsträger „ad interim“ in Deutschland, hat gegenüber dem Portal
„Politico“ erklärt, dass die aktuellen Kontrollen Deutschlands bereits große Probleme für den täglichen Grenzverkehr und das Funktionieren des EU-Binnenmarktes bereiten würden. Teilweise gebe es stundenlange Staus auf den Straßen von Polen nach Deutschland. Die Regierung in Warschau komme ihrer Verpflichtung zum Schutz der EU-Außengrenzen nach, insbesondere an den Grenzen zu Russland und Weißrussland.
Zahlen in polnischen Medien
Die zweitgrößte polnische Tageszeitung
„Rzeczpospolita“, mit einer Leserschaft von etwa 1,3 Millionen, hat in der aktuellen hitzigen Diskussion Zahlen präsentiert. Allerdings ist hier Vorsicht geboten. Die Zahl der aus Deutschland nach Polen zurückgeschickten Migranten habe sich „Rzeczpospolita“ zufolge „innerhalb von drei Jahren verdoppelt oder sogar verdreifacht“. Dies sei ein Ergebnis der Kontrollen bei der Einreise nach Deutschland.
„Im vergangenen Jahr wurden fast 690 Ausländer von Deutschland nach Polen überstellt, vor allem aus Russland, Afghanistan und Indien“, schreibt „Rzeczpospolita“ und verweist auf erhobene Daten des polnischen Grenzschutzes. 2020 seien nur 335 Personen von Deutschland zurückgeschickt worden. Und zwar im Rahmen der Rückübernahmeverpflichtung im sogenannten Dublin-III-Abkommen. Das heißt, dass zuvor eine Person bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat – hier Polen – einen Asylantrag gestellt hat.
2022 habe sich die Zahl mit 630 Fällen fast verdoppelt. 2023 sei ein Rekordwert von 968 nach Polen zurückgeschickten Personen erreicht worden, 2024 seien es 690 Asylsuchende gewesen. Soweit die Zahlen, die das polnische Blatt veröffentlicht hat. Diese beziehen sich aber offenbar nur auf Asylsuchende, nicht aber auf die Gesamtzahl der tatsächlich von Deutschland Zurückgewiesenen.
Polen muss stets der Rückübernahme zustimmen. Aber Deutschland muss zunächst Beweise vorlegen, die darauf hinweisen, dass der jeweilige Migrant tatsächlich über Polen nach Deutschland eingereist ist. Hierzu zählen etwa Fahrkarten und Stempel im Reisepass.
Aufgrund dieser Nachweispflicht hätten sich allein in diesem Jahr bisher etwa 150 Personen, denen es gelungen war, die polnische Grenze von Belarus aus zu überwinden, geweigert, sich auszuweisen beziehungsweise Fingerabdrücke nehmen zu lassen, weiß „Rzeczpospolita“. Denn diese werden im EU-Grenzsystem EURODAC gespeichert. Damit wird die Möglichkeit, in einem anderen Land Asyl zu erhalten, ausgeschlossen.
Dublin-Zentren für „nicht deutsche“ Migranten
Seit den ab Oktober 2023 eingeführten deutschen Grenzkontrollen dürfen nicht EU-Ausländer, die etwa ein Aufenthaltsrecht in Polen haben, nicht nach Deutschland einreisen. „Es handelt sich dabei hauptsächlich um Ukrainer mit polnischen Aufenthaltskarten, aber abgelaufenen Pässen“, erklärt Prof. Maciej Duszczyk, im polnischen Innenministerium zuständig für Migration.
Deutschland möchte die Verfahren zur Rückführung von Migranten ohne Bleiberecht („nicht deutsche“ Migranten) in andere Länder, darunter auch Polen, beschleunigen. Wie das Bundesinnenministerium in Februar
mitteilte, sind in Eisenhüttenstadt, nahe der Grenze zu Polen, und in Hamburg sogenannte „Dublin-Zentren“ aufgebaut worden, also Anlaufstellen für Asylsuchende, die über andere EU-Staaten ins Land gekommen sind.
Berliner Migrationspolitik in der Kritik
In den vergangenen Wochen häuften sich unter den Sejm-Abgeordneten der beiden konservativen Parteien Prawo i Sprawiedliwość“ (PiS) und Konfederacja Wolność i Niepodległość (Konföderationspartei) sowie in zahlreichen polnischen Medien Vermutungen und Berichte, Deutschland schicke Tausende Ausländer nach Polen zurück.
Es wurde die Vermutung angestellt, dass Deutschland „große Gruppen von Migranten an die Grenze bringt und sie in Grenzstädten aussetzt, was eine Gefahr für die Anwohner darstellt“, berichtete am 18. April die liberale Wochenzeitschrift
„Polityka“.
Führende PiS-Politiker beteiligten sich an Protesten gegen die angebliche Rückführung von Migranten nach Polen und warfen der europafreundlichen Regierung des Ministerpräsidenten Donald Tusk „hilfloses Hinnehmen der Berliner Migrationspolitik“ vor, berichtet „Polityka“.
„Es war die deutsche Bundeskanzlerin [Angela Merkel], die Einwanderer eingeladen hat, und jetzt sollen sie nach Polen abgeschoben werden. Das ist nicht hinnehmbar“, erklärte der ehemalige Staatspräsident und PiS-Politiker Jarosław Kaczyński am 29. März auf einer Pressekonferenz in Słubice.
„Wir wissen, dass es sich um geheime Verhandlungen zwischen Deutschland und einigen Nachbarstaaten handelt“,
bei denen es darum gehe, wie Deutschland seine Migranten loswerde, wird der PiS-Vorsitzende von dem polnischen Blatt zitiert.
„10.000 Migranten aus Deutschland“
Einige Wochen zuvor hatte bereits der PiS-Politiker Dariusz Matecki gewarnt, das Ziel der Eröffnung des Dublin-Zentrums in Eisenhüttenstadt bestehe darin, „bis zu 70.000 Migranten“ nach Polen zurückzuschicken.
Auch die ehemalige Premierministerin und heutige Europaabgeordnete Beata Szydło beteiligte sich am 11. April
auf X mit einem Post an der Debatte: „10.000 Migranten wurden ab Januar 2024 aus Deutschland nach Polen gedrängt!“, schrieb sie. „Es handelt sich um offizielle Daten der deutschen Polizei. Tusk lässt zu, dass Polen mit Migranten überschwemmt wird, die Deutschland loswerden will.“
Diese Angaben wurden rasch von polnischen Onlineportalen aufgegriffen und heizen seither die Stimmung gegen die Tusk-Regierung und Deutschland an.
Zahlen der Bundespolizei
- 2021: 8.405 Fälle
- 2022: 7.419 Fälle
- 2023: 15.075 Fälle
- 2024: 9.804 Fälle
Darin ist laut Aussage der Pressestelle der Berlin-Brandenburgischen Bundespolizei gegenüber Epoch Times auch eine geringe Zahl an unerlaubten Einreisen am Berliner Flughafen BER enthalten.
Vor allem die Zahl 9.804 aus dem letzten Jahr deckt sich in etwa mit jener Zahl, die die polnische Europaabgeordnete Beata Szydło öffentlich ins Spiel gebracht hat. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Zahl der festgestellten unerlaubten Einreisen nicht gleichzusetzen ist mit der Zahl von Zurückweisungen und Zurückschiebungen.
Ein Beispiel: Von Juni bis Mitte November 2024 wurden aus Polen 6.801 unerlaubte Einreisen
festgestellt, aber nur 3.870 Personen zurückgewiesen.
Auf diese Weise entstehen aufgrund der unterschiedlichen Begrifflichkeiten – Asylsuchende, unerlaubt Eingereiste, an der Grenze Zurückgewiesene und Zurückgeschobene – unterschiedliche Zahlen, die je nach Interesse jener, die sie öffentlich verwenden, einen anderen Eindruck erwecken.
Woher stammt die polnische Angst?
Das polnische Innenministerium versucht seit Wochen gegenzusteuern und verweist darauf, dass die Zahl an Rückführungen von Migranten aus Deutschland niedriger sei als zur Zeit, als die PiS-Partei die Regierung stellte.
Woher aber stammen die Geschichten über eine massenhafte Schleusung von Migranten aus Deutschland? Tatsächlich gab es in der jüngeren Vergangenheit mindestens einen deutschen Regelverstoß, der bekannt wurde.
Im Juni 2024 überquerten deutsche Behörden mit einer Migrantenfamilie, bestehend aus fünf Personen, die polnische Grenze und setzten sie in der Grenzstadt Osinowo Dolne auf einem Parkplatz aus. Richtig wäre gewesen, die Familie an der Grenze den polnischen Behörden zu übergeben.
Aus diesem in Polen spektakulär bekannt gewordenen Fall habe sich in polnischen sozialen Netzwerken die Theorie entwickelt, Deutschland habe auf diese Weise, teils mit Bussen, 3.500 Migranten nach Polen gebracht, berichtet etwa „Polityka“.
Diplomatisches Fingerspitzengefühl gefragt
Seit der Einführung der deutschen Grenzkontrollen im Herbst 2023 schickt Deutschland die Asylsuchenden nicht mehr nur zurück, sondern lässt sie gar nicht erst einreisen. Dies geschieht nicht im Rahmen des Dublin- oder Rückübernahmeverfahrens, sondern auf Grundlage der Grenzkontrollverordnung vom Oktober 2023.
Die Kontrollen und Teilrückführungen von Migranten finden an allen deutschen Grenzen statt und richten sich keineswegs gegen Polen – ihr Ziel ist lediglich die Eindämmung der irregulären Migration, die in Deutschland im Jahr 2023 ihren höchsten Stand seit 2015 erreicht hatte.
Diese Tatsache der polnischen Bevölkerung klarzumachen, ist die Aufgabe des künftigen deutschen Außenministers Johann Wadephul. Auch Friedrich Merz wird das Thema bei seinem Antrittsbesuch mit Donald Tusk besprechen. Allerdings bedarf es dafür Feingefühl und Kreativität, denn das Misstrauen gegenüber der deutschen Migrationspolitik sitzt seit zehn Jahren sehr tief und hat sich verfestigt.
Auf polnischer Seite wird erwartet, dass die Freizügigkeit im europäischen Schengenraum erhalten bleibt. Polens Chefdiplomat Jan Tombiński stellte vor dem Merz-Besuch gegenüber
„Politico“ klar:
„Für unsere Mitbürger wird es schwierig zu erklären, dass wir in unsere Außengrenze investieren und gleichzeitig die verschärften Kontrollen an der deutschen Grenze bekommen.“