Claudia Roth will Bibeltext am Schloss verhüllen lassen – Warum nicht gleich wieder abreißen?

Der öffentliche Raum wird mit Warnschildern versehen: Vorsicht, deutsche Vergangenheit! So sollen jetzt nach dem Willen der grünen Kulturministerin Claudia Roth Bibelverse am Berliner Schloss verhangen oder überblendet werden. Kein Stein darf mehr unkommentiert auf dem anderen stehen. Ein Kommentar.
Titelbild
Berliner Schloss.Foto: Stefanie Loos/Getty Images
Von 4. November 2022

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Nichts gegen Kritik am Christentum, seine Kriminalgeschichte erdrückt ja viel zu oft die Heilsgeschichte. Aber wenn sich Staatskulturministerin Claudia Roth vermeintlich oder tatsächlich am Christentum zu schaffen macht, werden Kritiker der Kirche schnell mal zu ihren Verteidigern.

Konkret geht es um Bibeltexte an der Kuppel des Berliner Schlosses. Unter der siebzig Meter hohen Kuppel ist das Humboldt Forum mit musealen Sammlungen aus aller Welt untergebracht. Gewissermaßen eine Raubgutsammlung des deutschen Kolonialismus samt Südseebooten, vormals untergebracht im Ethnologischen Museum Dahlem.

Das Schloss selbst wurde – ähnlich dem Braunschweiger Schloss ein paar Jahre zuvor – als Fassade rekonstruiert. Die Arbeiten nach Plänen des italienischen Stararchitekten Franco Stella waren 2020 abgeschlossen, die Kosten lagen zu dem Zeitpunkt bei weit über einer halben Milliarde Euro. So lange schon gärt auch die Debatte um das Bibelzitat und ein güldenes Kreuz obenauf.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ war eine der vielen Stimmen, welche die Kreuzsetzung Ende Mai 2020 kritisch kommentierten:

Das Kuppelkreuz auf dem Berliner Schloss war eine Machtgeste des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. Seine Wiederaufrichtung auf dem Humboldt-Forum ist das falsche kulturpolitische Signal.

Besagte Bibelzitate befinden sich am zylindrischen Bauteil, dem sogenannten Tambour, auf dem die hohe Kuppel aufsitzt. In restaurierter Strahlkraft wurde hier eine Kombination zweier Bibelstellen (Apostelgeschichte 4,12 und Philipper 2,10) vergoldet ins Blaugetünchte gemeißelt:

 

Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.

 

Laut geschichtskritischer Lesart kann man wohl heute sagen, die Hohenzollern unterstrichen mit der 1848 nachträglich aufgesetzten Kuppel samt Kreuz und Bibelspruch ihren von Gott hergeleiteten Herrschaftsanspruch gegenüber demokratischen Bestrebungen dieser Zeit.

Die Kuppel des Berliner Schlosses. Ringsum verziert in Königsblau hinterlegt der strittige Bibelspruch. Foto: Stefanie Loos/Getty Images

Der aktuelle Anlass

Geriert sich hier Ministerin Roth bald zweihundert Jahre später als post moderne Streiterin wider die Monarchie? Wohl kaum. Hier geht es nicht um polit-nostalgische Beweggründe. Hier wirkt eine Art Corporate Responsibility – ein Greenwashing, dem sich auch deutsche Unternehmen immer öfter freiwillig unterwerfen, indem sie ihre Firmenarchive durchwühlen und nach Tretminen der Vergangenheit suchen lassen.

Der Wiederaufbau des Schlosses gerät aber nicht erst seit Claudia Roth zur Farce. Die Idee, so eine Schlossfassade wiederherzustellen, nur um sie dann entlang ihrer anachronistischen Funktion an einen Art woken Pranger zu stellen, kommt direkt aus Absurdistan.

Der Wunsch, die gerade erst aufwendig rekonstruierten kaiserlichen Beschriftungen schon wieder zu entfernen, ist eine Entmündigung des Bürgers. Mit dem Verhüllungswunsch soll unterstrichen werden, dass, was da geschrieben steht, keine gesellschaftliche Akzeptanz mehr erfährt.

Aber muss man das wirklich durch Verhüllung, Entfernung oder Überblendung betonen? Ende 2021 hatte Hartmut Dorgerloh, der Generalintendant des Forums, mit Hinweis auf den Ampel-Koalitionsvertrag angekündigt, man werde die Debatte um die Beschriftung weiterführen und Ideen entwickeln, „wie wir mit etwas umgehen, was bis heute nicht befriedigt und nicht befriedet“.

Dafür allerdings muss der Berliner erst einmal seinen Kopf recken oder das Opernglas zücken und sich dann in Bewegung setzen, einmal ums Schloss herum, um den Schriftzug überhaupt in Gänze zu identifizieren.

Für eine Entfernung des Bibel-Zitates setzen sich nicht nur besagter Generalintendant oder Ministerin Roth ein. Im April 2022 befand beispielsweise der aus Kamerun stammende Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung:

Die extreme Gewalt des Christentums bei der Kolonialisierung kann nicht vergessen werden, und die Tatsache, dass man auf dem Humboldt Forum, das Objekte aus aller Welt beherbergen soll, das Kreuz errichtet, ist eine unglaubliche Zurschaustellung von Überlegenheit.“

Spektakel am 29. Mai 2020: Zuschauer beobachten die Installation des kontroversen Kreuzes. Foto: Sean Gallup/Getty Images

Diskurs unerwünscht?

Ist das schon eine Art kulturelle Vereinnahmung – oder präziser eine kulturelle Simplifizierung –, die sich von vornherein weigert, den gesellschaftlichen Kontext mitzudenken? Ein Diskursverbot.

An Schulen wird nach wie vor Geschichte unterrichtet. Und in den Familien vermitteln Eltern und Großeltern ihren Kindern und Enkeln gelebte Geschichte. Dazu gehören persönliche Erzählungen und Überlieferungen, Geschichten vom Grauen zweier Weltkriege, von der Ohnmacht der Menschen unter deutschen Monarchien und Diktaturen, von Herrschaft, welche Millionen Männer auf die Schlachtfelder trieb und damit in den für viele sicheren Tod.

Natürlich mag es auch nostalgische Stimmen über Kaiser Wilhelm und Co. geben, aber die Deutschen wissen sehr genau, wie sie diese Zeit einzuordnen haben, die Schulen lehren es, Heinrich Manns „Der Untertan“ wird gelesen, Dokumentationen berichten und begleiten im Fernsehen und im Internet bestimmte wiederkehrende historische Daten und Jubiläen.

Krankt Deutschland heute an einer zwanghaften Transzendenz, einer Sehnsucht nach dem einen Welterklärer, der jeden dieser lästigen Diskurse beendet? Alles soll heute möglichst interpretationsfrei und bis ins letzte Detail durchdekliniert präsentiert werden.

So darf kein Denkmal aus vordemokratischen Zeiten ohne Infotafel in der Welt stehen. Und wo keine Infotafel angebracht wurde, wird der Superkleber rausgeholt, wird lautstark demonstriert und das Objekt der Schande besprüht, beschmutzt, verhüllt.

Das gegenwärtige Deutschland ist weit entfernt davon, selbstbewusste Nation zu sein.

Mindestens in einer Hinsicht allerdings macht diese Debatte um Bibelverse am Kuppelsaum des Berliner Schlosses vielleicht doch Sinn:

Wer Befürworter der ursprünglichen Erscheinung dieses Nachbaus der Schlossfassade ist – und der Schriftzug existiert ja wieder – dann muss man erklären können, warum es hier anders gehandhabt wird als am Haus der Kunst in München oder anderswo in Deutschland, wo Tausende Hakenkreuze entfernt wurden.

Selbstverständlich käme heute niemand auf die wahnwitzige Idee, diese Hakenkreuze zu rekonstruieren, das ist eine dunkelrote Linie, es ist sogar verboten und unter Strafe gestellt. Die Symbole der NS-Herrschaft wurden 1945 allesamt getilgt. Und es waren nicht nur die Besatzer, die es veranlassten, die überwiegende Zahl der Deutschen war froh, dass Krieg und Tod endlich vorbei waren. Und das Hakenkreuz war erstes Symbol dieses Schreckens, also schnell weg damit.

Das kann man von den Insignien der Kaiserzeit nicht sagen. Zwar wurde auch das Berliner Schloss von der aufgebrachten Menge geplündert, anderen Herrschaftshäusern ging es ähnlich, aber der Bruch war lange nicht so allumfassend.

Kultureller Lernfaktor bleibt unbeachtet

Zudem gab es keinen kulturellen Austausch, wie wir ihn heute kennen. Die Kolonialzeit hat mit der Globalisierung, wie wir sie kennen, wenig zu tun. Es gab keine Betroffenen, keine Opfer des Kolonialismus, die zur Kuppel hinaufschauten und sagen konnten: Dort oben ist die koloniale Unterdrückung meiner afrikanischen Ahnen in Gold unter ein Kreuz geschrieben worden.

Wer vorgibt, heute die Debatten neu anstoßen zu wollen, der sollte extra darauf drängen, dass Schriftzug und Kreuz erhalten bleiben. Denn das Humboldt Forum will ja Diskussionsforum sein über die koloniale Vergangenheit Deutschlands und die „Auswirkungen bis in die Gegenwart“.

Also dann los. Die Idee, so ein Forum der leidenschaftlichen Auseinandersetzung sein zu können, indem man zum Bilderstürmer wird, ist hingegen abenteuerlich zu nennen.

Der Kulturbeauftragte der evangelischen Kirche hatte im Frühjahr 2022 gegenüber Deutschlandfunk den Blick seiner Kirche auf diese Debatte formuliert:

„Einerseits will man das Schloss wieder aufbauen und hat dabei aber nicht wirklich bedacht, was das sein soll; und dann ist man auf diese Idee des Humboldt Forums gekommen – und die hat aber eine Dynamik entwickelt, jetzt durch neuere postkoloniale Diskurse, so dass das Ursprungsmodell, diese Ursprungsidee sehr in Frage steht.“

Mit anderen Worten: Die Rekonstruktion der Schlossfassade konkurriert mit den Ideen des Forums. Und da kommt Claudia Roth in ihrer Funktion als Kulturministerin der Ampel ins Spiel. Sie will verhüllen oder überblenden, was nicht zu sehen sein soll.

Aber warum jetzt nicht richtig tollkühn sein? Wäre es da nicht maximal konsequent, mutig und stringent entlang einer neuen Zeitenwende und eines Epochenbruchs, die Schlossfassade unter großem Getöse einfach wieder abzureißen?

Schon deshalb, weil es die Deutschen 1948 beziehungsweise 1918 nicht vernünftig zu Ende gebracht haben?

Übrigens: Abreißen hat hier schon Tradition. Auf den Trümmern der Schlossruine ließ die DDR-Führung Mitte der 1970er-Jahre den Palast der Republik erbauen. Er war Sitz der Volkskammer und einer Reihe von Veranstaltungsorten. Es dauert allein fünf Jahre, die Asbestlast zurückzubauen. Ende Dezember 2008 war der Palast des Volkes Geschichte. 2013 begann der Wiederaufbau des potemkinschen Schlosses als Umverpackung für das Humboldt Forum. Statt Schleife gabs das angestammte goldene Kreuz obenauf. Und als blaues Band provozierte Kaisers Herrschaftsanspruch.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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