Erneut Wahlkampf in Berlin – Opposition fordert Geisels Rücktritt

Im Berliner Abgeordnetenhaus ging es nach der Regierungserklärung der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey hoch her. Sie gab am 17. November eine Stellungnahme zu dem einmaligen Wahlurteil. Der Wahlkampf hat wieder begonnen.
Franziska Giffey gibt während der Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses eine Regierungserklärung ab. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
Franziska Giffey gibt während der Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses eine Regierungserklärung ab.Foto: Wolfgang Kumm/dpa
Von 18. November 2022

Nachdem der Berliner Landesverfassungsgerichtshof die Wahlen 2021 zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen für ungültig erklärt hatte, gab gestern die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), eine Regierungserklärung vor dem Abgeordnetenhaus ab. Sie ist gleichzeitig SPD-Landesvorsitzende.

„Wir werden diese Entscheidung respektieren und verantwortungsvoll damit umgehen“, so Giffey im Plenum. Es sei ein einschneidendes Ereignis für unsere Stadt, dass eine Wahl wiederholt werden müsse, weil sie in Teilen den Wahlgrundsätzen nicht genüge.

Gericht: Schwere systemische Mängel bei Vorbereitung

Das Gericht sprach gestern von einem „einmaligen Vorgang in der Geschichte der Wahlen in der Bundesrepublik“ und von „schweren systemischen Mängeln bei der Vorbereitung der Wahlen.“ Diese wären für die nachfolgenden Wahlfehler ursächlich gewesen.

Die Wahlprüfung durch das Verfassungsgericht ergab zusammenfassend, dass die Ursache für die Wahlfehler in einem Organisationsverschulden der für die Wahlen zuständigen Behörden des Landes Berlin lag. Die damalige Senatsinnenverwaltung unter Andreas Geisel (SPD) trug die Rechtsaufsicht über die Wahlbehörden.

Wiederholungswahl kostet Steuerzahler rund 39 Millionen Euro

Schon vor der Entscheidung des Landesverfassungsgerichtshofs über eine komplette Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl seien die Vorbereitungen darauf angelaufen, so Giffey im Abgeordnetenhaus. Im Nachtragshaushalt seien dafür 39 Millionen Euro bereitgestellt.

Jedes Wahllokal wird 140 Prozent an Ausstattung erhalten.“

Dies versichert Giffey.

Bei den Wahlen im vergangenen Herbst fehlten in großem Umfang Stimmzettel und es standen nicht genügend Wahlurnen zur Verfügung.

CDU verlangt Entschuldigung von Giffey an die Bürger

Kai Wegner, Vorsitzender der CDU-Fraktion Berlin, ist der erste Redner nach Giffeys Regierungserklärung. Er hätte nach dem gestrigen Tag noch etwas mehr Demut erwartet. Er glaubt, die Berliner hätten endlich eine klare Entschuldigung verdient. „Auch die sind Sie heute schuldig geblieben.“

Für ihn war die letzte Wahl mit ihren Pannen ein beispielloser Vorgang, eine historische Schlappe gewesen. „Wenn selbst Demokratie nicht mehr funktioniert, dann muss ein Punkt erreicht sein, wo Schluss ist.“

Was die SPD verbockt habe, würde jetzt durch die souveräne Entscheidung eines unabhängigen Gerichts geradegerückt. „Deshalb sage ich Ihnen auch, wenn es gestern ein schlimmer Tag für Berlin war, für die Politik, für unsere Demokratie war es ein guter Tag.“

Wegner: „Gerichtsurteil darf nicht ohne Konsequenzen bleiben“

Seiner Meinung nach dürfte das Gerichtsurteil nicht ohne Konsequenzen bleiben. „Als damals zuständiger Innensenator haben Sie, Herr Geisel alle Warnungen in den Wind geschlagen.“ Es habe Warnungen vor der letzten Wahl aus den verschiedensten Ecken, von allen zwölf Bezirkswahlleitern im Rat der Bürgermeister und weit darüber hinaus, auch hier aus dem Parlament gegeben. „Doppelwahlen mit Volksentscheid am Tag des Berlin Marathon? Ein Himmelfahrtskommando!“ Und er führt weiter aus:

Aber nein, bloß nicht auf Experten hören. Einfach weiter so, es wird schon werden.“

Für ihn sei es jetzt höchste Zeit, dass die Verantwortlichen tatsächlich auch Verantwortung übernehmen. „Herr Geisel, treten Sie zurück!“ [Anm. d. Red.: Andreas Geisel (SPD) ist seit Dezember 2021 Berliner Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen].

Da sich Frau Giffey ganz klar hinter ihren jetzigen Bausenator gestellt habe, sei jeder Tag, an dem Herr Geisel im Amt bleibe, auch ein Tag, an dem Frau Giffey beschädigt wird. „Frau Giffey, um Ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, müssen Sie endlich handeln!“

33 Jahre sei die SPD an der Macht. Seit 21 Jahren stelle sie ununterbrochen den Regierenden Bürgermeister. „Sie tragen Verantwortung dafür, wie Berlin heute dasteht.“

SPD: „Wir nehmen es mit Demut zur Kenntnis“

Danach kommt der Landesvorsitzende und Fraktions­vorsitzende im Abgeordneten­haus der SPD, Raed Saleh, zu Wort.

Er erklärt, dass ihn die durch das Gericht aufgedeckten Verfehlungen am Wahltag als Demokraten schmerzen. „Wir nehmen es mit Demut zur Kenntnis.“ Nun ginge es darum, mit dem Urteil der Richter mit voller Professionalität umzugehen. „Das Gericht hat eine sehr weitreichende Entscheidung getroffen. Damit haben wir respektvoll umzugehen.“

Genauso wichtig wie ein ehrlicher und fairer Wahlkampf sei es jetzt in den Wochen bis zur Wiederholungswahl, dass man im Interesse der Berliner konzentriert arbeite. „Wir versprechen den Berlinern, wir werden das mit voller Leidenschaft und Professionalität weiterhin tun.“

AfD: „Wir haben als einzige Fraktion Beschwerde eingelegt“

Danach erhält die Fraktionsvorsitzende der AfD, Dr. Kristin Brinker, ihre Redezeit.

„Mehr denn je würde es jetzt darauf ankommen, dass die Regierungspolitik in unserer Stadt verlässlich und berechenbar sei. Und dass eine Regierung bereit sei, in Zeiten von Krieg und hoher Inflation ihrer Verantwortung gegenüber den Bürgern gerecht zu werden. Leider kann ich nichts davon bei dem roten Senat erkennen.“

Deshalb befürwortet sie auch, dass Berlin mit dem gestrigen Urteil eine zweite Chance bekommt. „Und die Berliner im Februar noch einmal wählen dürfen.“ In ihrem Urteil wären die Richter dem Antrag der Alternative für Deutschland gefolgt. „Nur wir haben Beschwerde gegen die Wahl eingelegt als einzige Fraktion in diesem Hause. Alle anderen Parteien, die hier so vollmundig tönen, haben nichts gegen diese Auswahl einzuwenden gehabt.“

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik mussten Landtagswahlen wegen gravierender systemischer Fehler wiederholt werden. „Was für eine Blamage für unsere Hauptstadt Deutschlands!“ Für Brinker wird es höchste Zeit, dass „der für das Wahlchaos verantwortliche Senator Geisel seinen Hut nimmt“.

Herr Geisel, treten Sie endlich zurück!“

Sie freut sich sehr über das Gerichtsurteil. „Denn es beweist, die Gewaltenteilung funktioniert.“ Berlin brauche auch dringend eine Wahlwiederholung, denn noch nie hätten so wenige Berliner Vertrauen in die Kompetenz ihrer Landesregierung. „Ein historischer, miserabler Rekord.“

Grüne: „Wir sind den Berlinern schuldig, echte Konsequenzen zu ziehen“

Danach spricht als Fraktionsvorsitzender der Grünen, Werner Graf. Für ihn ist es beschämend, dass Berlin nicht in der Lage war, ordnungsgemäß eine Wahl zu organisieren. „Das höchste Gut in unserer Demokratie.“ Es sei zudem beschämend, dass man dafür auch noch zig Millionen Euro ausgeben müsse. „Daher ist es angebracht, dass sich auch die Berliner Regierung bei den Menschen der Stadt einmal entschuldigt.“

Doch weder vom Wünschen noch von einer Entschuldigung könnten sich die Berliner etwas kaufen. „Dieses Urteil von gestern, diese Klatsche muss Erfolg haben.“ Ein einfaches Weiterwursteln, ein Schönreden dürfe es nicht länger geben.

Wir sind den Berlinern schuldig, echte Konsequenzen zu ziehen.“

FDP: Entweder Ignoranz oder erschreckende Inkompetenz

Für die FDP spricht dann der Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja. „Eine Wiederholung, die allein notwendig wird, weil die politisch Verantwortlichen es entweder durch Ignoranz oder erschreckende Inkompetenz bewusst dazu kommen lassen haben.“

Das wäre gerade jetzt, wo die Demokratie hier so fragil sei und innerlich und äußerlich einer permanenten Bedrohung ausgesetzt sei, unheimlich schwierig. „Sie liefern hier an dieser Stelle nur überzeugende Argumente, an unserer Verfassung und Demokratie zu zweifeln.“ Das sei brandgefährlich, gerade in diesen Zeiten.

Abgeordnetenhauswahl, Bezirksverordnetenwahl, Bundestagswahl, ein Volksentscheid und einen Rekordmarathon mit über 45.000 Teilnehmern einmal komplett durchs Berliner Zentrum am selben Tag. „Ich sage Ihnen, in einer funktionierenden Stadt wäre das kein Problem gewesen.“

Linken-Politikerin: „Das ist eine Klatsche, die man sehr ernst nehmen muss“

Schließlich erhielt die Fraktionsvorsitzende der Linken, Anne Helm, das Wort. „Wir werden das Urteil selbstverständlich annehmen und akzeptieren.“

„Das sei eine Klatsche, die man sehr ernst nehmen müsse. Und aus der wir auch Schlussfolgerungen zu ziehen haben.“ Es war kein Ruhmesblatt, dass es ganze neun Tage gebraucht habe, bis der Finanzsenator sich für den Senat bei den Berlinern entschuldigte.

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts steht voraussichtlich am 12. Februar eine Wiederholung der Wahl zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen an.



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