Brexit-Abkommen soll vor Weihnachten stehen – Verlierer Corbyn will bis Frühjahr im Amt bleiben

Der britische Wahlsieger Johnson krempelt die Ärmel hoch: Das Brexit-Abkommen soll noch vor Weihnachten unter Dach und Fach kommen. Wahlverlierer Corbyn ignoriert Forderungen zum sofortigen Rücktritt.
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Boris Johnson.Foto: Dominic Lipinski/PA Wire/dpa/dpa
Epoch Times15. Dezember 2019

Nach seinem haushohen Wahlsieg treibt der britische Premierminister Boris Johnson die Brexit-Vorbereitungen rasant voran. Gleichzeitig will er den Regierungsapparat völlig umkrempeln, wie Mitarbeiter in verschiedenen Sonntagszeitungen ankündigten.

Er könne sich vorstellen, wie schwer es den früheren Labour-Wählern gefallen sei, ihr Kreuz diesmal bei den Konservativen zu machen, sagte Johnson am Samstag bei einem Besuch in Sedgefield, dem früheren Wahlkreis von Labour-Politiker und Ex-Regierungschef Tony Blair. „Ich möchte, dass die Menschen im Nordosten wissen, dass die Konservative Partei und ich ihrem Vertrauen gerecht werden“, fügte der Regierungschef hinzu.

Sobald die erste Phase des Brexit abgeschlossen sei, werde der Hauptfokus seiner Regierung auf sozialen Themen liegen, die den Labour-Wählern wichtig seien, stellte Johnson in Aussicht. „Es wird darum gehen, den Brexit durchzubringen, aber auch die Versprechen in Bezug auf den Nationalen Gesundheitsdienst NHS, Bildung, sichere Straßen, bessere Krankenhäuser und eine bessere Zukunft für unser Land zu halten“, sagte der Premierminister. Er verkündete, die Briten würden ihr „nationales Selbstvertrauen“ zurückgewinnen.

Schlechtestes Ergebnis für Labour-Partei seit 1935

Unterdessen wuchs der Druck auf Labour-Chef Jeremy Corbyn, zurückzutreten. Er brauchte drei Tage, ehe er nach der größten Wahlschlappe seiner Partei seit mehr als 80 Jahren, einen Teil der Verantwortung dafür einräumte. Vielen Labour-Mitgliedern geht das nicht weit genug. Der sozialistisch orientierte Oppositions-Chef Corbyn entschuldigte sich bei seinen Anhängern für das historisch schlechte Abschneiden der Labour-Partei.

Corbyn schrieb am Sonntag in einem Brief an die Leser der Zeitung „Sunday Mirror“: „Ich wollte das Land, das ich liebe, vereinen, aber es tut mir leid, dass wir so schlecht weggekommen sind.“ Er bezeichnete die Niederlage seiner Labour-Partei als einen „schweren Schlag“ für all jene, die sich Veränderung in Großbritannien gewünscht hatten – dafür wolle er Verantwortung übernehmen.

Trotz seiner Bemühungen um traditionelle Labour-Themen im Wahlkampf sei es bei der Wahl letztendlich nur um den Brexit gegangen, erklärte Corbyn. Boris Johnson sei es mit seiner von den Medien intensiv verbreiteten Wahlkampagne gelungen, die Wähler zu mobilisieren. Seine Partei werde „Lehren aus dieser Niederlage“ ziehen, kündigte Corbyn an. Labour kommt auf nur noch 203 Sitze. Dabei büßte die Oppositionspartei auch Wahlkreise im Norden Englands ein, die sie über Jahrzehnte dominiert hatte.

Das neue Parlament soll schon am Dienstag zusammentreten. Am Donnerstag soll Königin Elizabeth II das neue Regierungsprogramm verkünden und über das EU-Austrittsabkommen soll schon Freitag abgestimmt werden. Die Zustimmung gilt angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse als reine Formsache.

Johnson kündigt Freihäfen an

Dann will die Regierung sich großen Reformvorhaben widmen: Ministerien sollen zusammengelegt und der Beamtenapparat entschlackt werden. Milliardeninvestitionen in die Gesundheitsversorgung sollen per Gesetz festgeschrieben werden. Johnson kündigte im Norden Englands Freihandelsabkommen und Freihäfen an.

Er will die desolate einstige Bergarbeiter- und Industrieregion in Mittel- und Nordengland neu beleben, wo viele Wahlkreise erstmals seit Generationen von Labour zu den Konservativen gewechselt waren.

Dass die Konservativen bei der Parlamentswahl am vergangenen Donnerstag mit 43,6 Prozent Wähleranteil 56 Prozent der Sitze im Parlament errangen, bezeichneten Kritiker des Wahlsystems als Skandal. „Wegen unseres undemokratischen Systems sind die wahren Verlierer die Wähler“, meinte Klina Jordan, Co-Vorsitzende der Organisation „Make Votes Matter“ (etwa: Wählerstimmen sollen zählen). Das Ergebnis kommt zustande, weil in jedem Wahlkreis der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt und alle Stimmen für andere unter den Tisch fallen.

Viele Briten setzen sich für ein Verhältniswahlrecht wie etwa in Deutschland ein, wo die Parteienstärke im Parlament in etwa dem prozentualen Stimmanteil bei der Wahl entspricht.

Sozialistisch orientierter Verlierer Corbyn: Er habe die richtigen Antworten

Die Konservativen legten etwa 1,2 Prozent beim Stimmanteil zu, Labour verlor 7,9 Punkte auf 32,1 Prozent. Johnsons Partei kommt auf 365 der 650 Sitze, Labour auf 203 Sitze.

Labour-Chef Corbyn räumte in der Zeitung „Observer“ ein, dass er einen Teil der Verantwortung trage. Der 70-Jährige beharrte aber darauf, dass die Partei auf die drängendsten Fragen die richtigen Antworten habe. Darauf sei er stolz.

„Das zeigt, dass er nicht gewillt ist zu verstehen, warum wir so eine katastrophale Niederlage erlitten haben“, twitterte die prominente Labour-Politikerin Harriet Harman. „Er sollte zurücktreten.“ Auch andere Labour-Politiker drängten Corbyn zu gehen.

Der Parteichef will jedoch bis zum Frühjahr im Amt bleiben. Die Abgeordnete Lisa Nandy (40) erklärte in einer BBC-Polit-Talkshow am Sonntag ihre Bereitschaft zur Nachfolge.

Der Labour-Chef hatte am Freitag angekündigt, sich im kommenden Jahr von der Parteispitze zurückzuziehen, machte zunächst aber keine Angaben über den Zeitpunkt eines möglichen Rücktritts. Bislang ist unklar, wer als möglicher Nachfolger in Frage kommt. John McDonnell, Vize-Parteichef der Labour-Partei und ein enger Corbyn-Verbündeter, kündigte am Samstag seinen Rücktritt an. Im Fernsehsender BBC deutete er an, dass es für das gesamte Labour-Führungsteam Zeit sei, sich zu verabschieden.

Britischer Ex-Botschafter: Johnson wird EU gegen USA ausspielen

Boris Johnson wird nach Meinung eines früheren britischen EU-Botschafters in den anstehenden Freihandelsgesprächen in Brüssel mit harten Bandagen kämpfen. „Johnson will die EU in den Freihandelsgesprächen im kommenden Jahr gegen die USA ausspielen“, sagte Ivan Rogers dem „Handelsblatt“.

Er wird den Europäern sagen, wenn ihr zu viele Bedingungen für ein Abkommen stellt, kann ich auch einen Deal mit Donald Trump machen. Ich wäre auch nicht überrascht, wenn Johnson die Verhandlungen mit den USA priorisiert. Er liebt die Theatralik.“

Rogers war bis 2017 britischer EU-Botschafter in Brüssel. Ein umfassendes Freihandelsabkommen nach dem Vorbild von Kanada ist laut Rogers bis Ende 2020 nicht möglich.

„Es könnte höchstens ein schnelles, schmutziges Abkommen geben“, sagte er. „Damit meine ich eine Vereinbarung, die null Zölle und null Quoten für Güter vorsieht. Großbritannien müsste sich auf strikte Wettbewerbsregeln einlassen und den europäischen Fischern Zugang zu britischen Gewässern geben. Das wäre das Einzige, was in der kurzen Zeit machbar wäre.“

Ein solches Minimalabkommen nur für Güter sei aus britischer Sicht „kein guter Deal“, weil britische Firmen vor allem Dienstleistungen exportierten, sagte Rogers. Die britische Regierung gebe damit ihren einzigen Trumpf aus der Hand.

„BMW könnte dann weiter zollfrei Autos nach Großbritannien exportieren, aber ein Londoner Broker könnte keine Dienstleistungen in der EU anbieten“, sagte der Ex-Botschafter. Johnson werde ein solches Abkommen trotzdem anstreben, sagte Rogers. „Er ist ein Mann in Eile, weil er Ende 2020 frei und unabhängig sein will. Er steht politisch unter Druck, den Brexit schnell abzuschließen.“ (dpa/dts)



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