Der Start ins Leben geht uns alle an

Freiberufliche Hebammen kämpfen um ihre Existenz. Hebammen planen bundesweite Aktionen zum Internationalen Hebammentag am 5. Mai.
Titelbild
Pakete mit 60.000 Unterschriften wurden schon am 26. November 2009 in einem Kinderwagen zum Gesundheitsministerium gefahren. Inzwischen sind in der Online-Petition 186.356 Stimmen zusammengekommen.Foto: Noel Tovia Matoff / Deutscher Hebammenverband
Von 4. Mai 2011

Ein Neugeborenes in den Armen zu halten, gehört für sehr viele Menschen zu den schönsten und bewegendsten Momenten ihres Lebens. Eine Frau wie Sabine Müller, die mit strahlenden Augen berichtet, wie schön die Geburt ihrer Tochter war, findet man hingegen eher selten. Begeistert schwärmt sie vor allem von der wunderbaren Hebamme, die auch schon ihrer Mutter und Großmutter gute Dienste leistete.Einen „würdevollen Start ins Leben“ zu ermöglichen, das ist eine der zentralen Forderungen des Deutschen Hebammenverbands (DHV).

Solch hehren Zielen hat sich auch Katharina Jeschke verschrieben, die am 1. Mai ihr Amt als Beirätin für den freiberuflichen Bereich im Präsidium des DHV aufgenommen hat. Sie sieht eine Gefährdung dieses würdevollen Starts, ,,wenn völlig überlastete Hebammen im Kreißsaal von Frau zu Frau rennen und keine Zeit mehr haben, sich der Gebärenden persönlich zuzuwenden.“ „Die Geburt“, sagt Jeschke, „ist eine intime Geschichte und benötigt sensible Betreuung, damit die Frau sich öffnen kann. Und diese Form der Betreuung wollen auch die Hebammen in der Klinik leisten. Nur die Arbeitsbedingungen sind eben nicht so“, stellt die gleichzeitig als Leiterin des Geburtshauses Schwachhausen, Bremen, tätige Hebamme klar.

Immer in Bereitschaft.Immer in Bereitschaft.Foto: Deutscher Hebammenverband

Traumberuf Hebamme

Geburten zu begleiten ist für viele junge Frauen ein Traumberuf. Katrin Karstens, freiberufliche Hebamme im Geburtshaus Schwachhausen in Bremen, setzte sich bei der Aufnahme ihrer Ausbildung in Bremerhaven gegen 600 Mitbewerberinnen durch, für die nur 16 Plätze zur Verfügung standen. Noch immer liebt die 33-Jährige ihren Beruf und empfindet es als etwas ganz Besonderes, Menschen in so entscheidenden und prägenden Lebensphasen, wie Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, zu begleiten. Doch inzwischen weiß sie auch, was es bedeutet, für jede Frau, die sie zur Geburt annimmt, bis zu fünf Wochen in Dauerrufbereitschaft zu stehen. „Da überlegt man sich jeden Kinobesuch dreimal“ – es könnte nämlich sein, dass nach einem schönen Abend der wohlverdiente Schlaf in kürzester Zeit wieder unterbrochen wird.

Noch belastender aber ist laut Karstens die enorm hohe Verantwortung, die ihrer Meinung nach nicht im richtigen Verhältnis zur geringen Bezahlung und zur fehlenden Akzeptanz der Hebammen in der Gesellschaft steht. Sie sieht ihre Aufgabe in erster Linie darin, Frauen zu unterstützen, ihre Schwangerschaft, die Geburt und das Wochenbett als normale Phasen des Lebens zu sehen, Ängste zu nehmen, für Mutter und Kind da zu sein, Einfühlungsvermögen zu zeigen.

Ein freundlicher Blick der Hebamme auf das Neugeborene in dem Plastikbettchen.Ein freundlicher Blick der Hebamme auf das Neugeborene in dem Plastikbettchen.Foto: Ian Waldie/Getty Images

Im modernen Klinikbetrieb mit Gynäkologen und Kinderärzten ist man mehr darauf ausgerichtet, gesundheitliche Risiken zu erkennen und Krankheiten zu behandeln. Die Betreuung einer normal verlaufenden Geburt und Schwangerschaft liegt zwar auch in der Klinik in Hebammenhänden, aber sie möchten dafür auch außerhalb als Fachfrauen anerkannt und bezahlt werden.

Geburtshilfe lohnt sich für Freiberufliche nicht mehr Die Hebammen fordern ,,eine freie Wahl des Geburtsortes“. Jede Frau sollte selbst entscheiden können, ob sie in einer Klinik, zu Hause oder im Geburtshaus ihr Kind bekommen möchte. Dieser Entscheidungsfreiheit steht vielerorts ein fehlendes oder zu kleines Angebot entgegen. Besonders schlecht sieht die Situation im ländlichen Raum aus. Aber auch in Ballungszentren ist eine gute Hebammenversorgung nicht unbedingt garantiert.

Als besonders gravierendes Beispiel nennt Jeschke Köln. Hier muss sich eine Frau bereits in der sechsten Schwangerschaftswoche für eine Hausgeburt anmelden, um eine Zusage zu bekommen. Es sind finanzielle Gründe, die immer mehr Hebammen zwingen, die Geburtshilfe und damit das eigentliche Herzstück ihres Berufes aufzugeben. Dies betrifft nicht nur die Entscheidung für eine Hausgeburt, sondern auch die beliebte Lösung, eine sogenannte Beleghebamme mit in die Klinik zu nehmen.

Existenzbedrohende Ausmaße nimmt in den letzten Jahren vor allem die Entwicklung der Haftpflichtprämien für Hebammen an. Diese sind von 2007 bis 2010 um ganze 203 Prozent gestiegen und betragen damit aktuell 3.689 Euro im Jahr. Mit einem weiteren Anstieg ist laut Jeschke zu rechnen. Das Problem liegt ihrer Meinung nach vor allem im völligen Missverhältnis zwischen den hohen Prämien und dem geringen Einkommen der Hebammen. Für eine Geburt in der Klinik fallen mit drei bis fünf Tagen Aufenthalt gut 2.000 Euro an, wenn es keine Komplikationen gibt und nicht wie inzwischen in 30 Prozent der Fälle – oft ohne zwingende medizinische Gründe – ein Kaiserschnitt vorgenommen wird. Für das Neugeborene kommen noch einmal mindestens 600 Euro dazu.

Ganze 460 Euro kostet hingegen eine Geburtsbetreuung im Geburtshaus. Hinzu kommen für die Hausbesuche in den ersten Tagen jeweils 27 Euro. Die Bruttoeinnahmen aus den ersten acht Geburten im Jahr gehen somit alleine für die Haftpflichtversicherung drauf!

Dieser Umstand zwingt Hebammen in ländlichen Gebieten oder auch solche, die selbst Kinder haben oder aus anderen Gründen nur Teilzeit arbeiten wollen, zur Aufgabe des Angebots außerklinischer Geburten – zehn Prozent der freiberuflichen Hebammen sind im Zuge dieser Erhöhungen bereits aus der Geburtshilfe ausgestiegen.

Übergabe der Unterschriften durch die Präsidentin des Hebammenverbandes Martina Klenk an Daniel Bahr, Parlamentarischer Staatssekretär im Gesundheitsminsiterium.Übergabe der Unterschriften durch die Präsidentin des Hebammenverbandes Martina Klenk an Daniel Bahr, Parlamentarischer Staatssekretär im Gesundheitsminsiterium.Foto: Noel Tovia Matoff / Deutscher Hebammenverband

Hebammen haben keine Lobby

Nachdem Einkommensverhandlungen mit Bundestag und Bundesrat über Jahre nur schleppend vorangekommen waren, sollen die Hebammen seit 2007 ihre Gehaltsforderungen direkt mit den Krankenkassen verhandeln. Diesen gegenüber haben die Frauen jedoch eine extrem schlechte Ausgangsposition, da es gewissermaßen im Goodwill der Krankenkassen liegt, Hebammenleistungen überhaupt zu bezahlen.

Absurderweise ist die Hebammenversorgung nach der unter Bismarck entstandenen Reichsversicherungsordnung geregelt. Eine Aufnahme ins moderne Sozialgesetzbuch hat bis heute nicht stattgefunden. Dies wäre aber die Grundvoraussetzung für Verhandlungen auf Augenhöhe, weil die Versicherungen gehalten sind, die hier aufgeführten Leistungen für ihre Mitglieder auch anzubieten.

Ein weiteres Problem, das auf politischer Ebene gelöst werden müsste, ist die gesetzliche Festlegung der Krankenkassen auf minimale Gebührenerhöhungen von höchstens 1,8 Prozent. Laut Jeschke ist es allerdings an der Tagesordnung, dass solche Regelungen für Ärzte vorübergehend ausgesetzt werden und kräftige Lohnerhöhungen stattfinden. Es klingt schon etwas resigniert, wenn sie sagt: ,,Wir Hebammen kriegen das nicht durch, weil wir keine Lobby haben, an uns denkt keiner.“

Um zu verdeutlichen wie ,,klein“ die Hebammen sind, erklärt sie, dass Hebammenkosten ganze 0,24 Prozent der Versicherungsleistungen ausmachen – für Hörgeräte geben die Versicherungen etwa sechs Prozent aus. Somit würde selbst bei der geforderten Lohnerhöhung von 30 Prozent nicht die Gefahr einer Beitragserhöhung lauern.

Insgesamt bleibt hier die Frage offen, warum Krankenkassen außerklinische Geburten nicht als Einsparmaßnahme begreifen und besonders fördern?

Hebammen leisten auch Präventionsarbeit

Für andere Hebammenleistungen, wie Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft und Hausbesuche im Wochenbett, fällt zwar

weniger Versicherung an, dafür ist aber auch die Bezahlung noch geringer. Ohne Geburtsbetreuung ist es demnach noch schwerer, vom Beruf der Hebamme leben zu können. Laut DHV liegt das durchschnittliche Nettoeinkommen einer freiberuflichen Hebamme bei 7,50 Euro pro Stunde. Demgegenüber steht auch hier eine enorme Verantwortung.

Viele Eltern fühlen sich in den ersten Wochen mit dem Neugeborenen überfordert. Nicht immer ist ein soziales Netzwerk und die Unterstützung von Familienangehörigen gegeben. Immer wieder schrecken uns Horrormeldungen von misshandelten und verwahrlosten Babys und Kleinkindern auf. Dann schreien alle nach den Verantwortlichen.

Hebammen erleben bei ihren Hausbesuchen hautnah die Sorgen und Nöte in den Familien. Doch wie viel Zeit braucht es, einer überforderten Mutter zuzuhören, ihr geduldig den richtigen Umgang mit dem Nachwuchs zu zeigen und schließlich zu beurteilen, wo die ganz normale anfängliche Überforderung aufhört und ein Eingreifen des Jugendamtes dringend erforderlich ist? „Wir arbeiten ja auch in der Prävention, wir werden dafür aber nicht bezahlt“ – bringt Jeschke die Sache auf den Punkt.

Die Pakete mit den 60 000 Unterschriften musste Daniel Bahr, Parlamentarischer Staatssekretär im Gesundheitsminsiterium, mitnehmen.Die Pakete mit den 60 000 Unterschriften musste Daniel Bahr, Parlamentarischer Staatssekretär im Gesundheitsminsiterium, mitnehmen.Foto: Noel Tovia Matoff /

Breite Unterstützung in der Bevölkerung

Die im vergangenen Jahr vom DHV eingereichte Online-Petition zum Erhalt der wohnortnahen Versorgung mit Hebammenhilfe zeigt, dass dieses Anliegen durchaus breite Unterstützung in der Bevölkerung findet. Mit 186.356 Stimmen überstieg die Zahl der Unterzeichner alle bisher eingereichten Petitionen. Dies verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass rund ein Viertel der Geburten in Deutschland von freiberuflichen Hebammen begleitet werden. Dabei liegt die Rate der Haus- und Geburtshausgeburten bei knapp zwei Prozent. Viele Frauen nehmen ,,ihre eigene Hebamme“ mit in die Klinik und sichern sich somit eine 1:1 Betreuung durch eine vertraute Person.

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) versprach nach dem überwältigenden Ergebnis der Petition, einen runden Tisch mit Vertretern der Krankenkassen und des Hebammenverbands einzuberufen. Doch dieser hat bis heute nicht stattgefunden. Jeschke hofft nun, dass ,,die ganze Sache nicht im Sande verläuft.“ Denn ein Dialog zwischen allen Beteiligten wäre natürlich die Grundvoraussetzung für gegenseitiges Verständnis und eine Annäherung der Positionen. Auch die vom Gesundheitsministerium versprochene Bestandsaufnahme zum deutschen Hebammenwesen wurde bis heute nicht angegangen. Sie wäre ein erster Schritt, um überhaupt auf Basis belegter Zahlen diskutieren zu können.

Feiern, dass es Hebammen gibt

Im März dieses Jahres gab es daraufhin Hebammenstreiks und Aktionstage in vielen Bundesländern. Die Bremerinnen wählten für ihren Streik den Termin des „Equal Pay Day“, womit sie auch auf die schlechte Bezahlung im Vergleich zu Männerberufen aufmerksam machen wollten. Zum Internationalen Hebammentag am 5. Mai soll es nochmals bundesweit Aktionen geben.

In Berlin plant der Hebammenverband einen 5 km Lauf durch die Stadt, der mit Musik und anderen Beiträgen am Marheinekeplatz in Kreuzberg enden soll. Die sieben Bremer Hebammen des Schwachhauser Geburtshauses wollen auf weitere Protestaktionen verzichten. Jeschke ist in Sorge, den Eltern zu viel zuzumuten, sie möchte nicht, dass schon wieder Eltern auf Hebammenhilfe verzichten müssen.

„Sowieso“, sagt sie – und man hört den Konflikt in ihrer Stimme – ,,streiken wir ja nie richtig. Wir haben immer einen Notdienst.“ Dafür laden die Geburtshelferinnen am Samstag, dem 7. Mai, zu Kaffee und Kuchen in ihr Geburtshaus.

Zum Schluss möchte Jeschke für werdende Eltern vor allem positive Signale setzen, das Vertrauen in die natürliche Geburt und in die Hebammen bestärken. „Wir feiern einfach, dass es uns noch gibt“, sagt sie – und man wünscht dieser engagierten Frau und allen anderen Hebammen Deutschlands von Herzen, dass sie in künftigen Jahren einfach nur feiern können, dass es sie gibt – ohne ,,noch“.

 

 



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