Eine „Täuschungsaktion“? Opposition fordert Untersuchungsausschuss für Habeck

Das Wirtschaftsministerium soll beim Atomausstieg laut den neuesten Vorwürfen Experteneinschätzungen verfälscht haben. Scharfe Kritik kommt von verschiedenen Parteien, auch der FDP. Der unter Druck geratene Robert Habeck hat sich vor einer Sondersitzung inzwischen dazu geäußert.
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Robert Habeck am 25. April 2024 in Berlin. Der Vizekanzler steht nach einem Bericht zu freigeklagten Atom-Dokumenten in der Kritik.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 26. April 2024

Vor gut einem Jahr sind die letzten drei deutschen Kernkraftwerke (KKW) vom Netz gegangen. Die Debatte, ob das Atom-Aus die richtige Entscheidung war, läuft bis heute – und nimmt jetzt noch einmal stark an Fahrt auf.

Dafür sorgten jüngst die von dem Politmagazin „Cicero“ freigeklagten Dokumente des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Daraus geht hervor, dass Patrick Graichen, ehemaliger Staatssekretär von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), sowie weitere Schlüsselfiguren bewusst die Empfehlungen von Fachleuten verdreht oder uminterpretiert haben. Ihr scheinbares Ziel war das schnellstmögliche Aus der Kernkraft in Deutschland.

Die Dokumente deuten auch darauf hin, dass die grünen Kernkraftgegner im Ministerium sich darum bemüht hatten, dass fachliche Argumente für eine Laufzeitverlängerung gar nicht erst die Öffentlichkeit erreichten – auch nicht den Vizekanzler.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (r.) und sein ehemaliger Staatssekretär Patrick Graichen am 10. Mai 2023 in Berlin. Foto: John MacDougall/AFP via Getty Images

Union fordert Untersuchungsausschuss

Die Union forderte als Reaktion auf die Enthüllungen schnelle Sondersitzungen von Bundestagsausschüssen, wie die „Welt“ berichtete. Der energiepolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Mark Helfrich (CDU), sprach von einer „Täuschungsaktion“. Diese müsse „in einem Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden“, falls Habeck die Aufklärung ablehne.

Das befürwortet auch Sahra Wagenknecht. Die Parteigründerin des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) sagte:

Der Filz in grün geführten Ministerien ist ein schädliches Dickicht, das aufgelöst gehört.“

Die Vorsitzende der Unions-Mittelstandsvereinigung MIT, Gitta Connemann, forderte indes eine dringende Gegenmaßnahme. Sie sagte: „Der Rückbau der letzten Kernkraftwerke muss sofort gestoppt werden.“ Die Öffentlichkeit habe ein Recht auf lückenlose Aufklärung.

Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) kritisierte indes das Verhalten der Opposition: „Das ist kein Spiel, wir reden über nukleare Sicherheit.“ Ihr Haus könne alle Vorgänge in dem Zusammenhang „transparent und nachvollziehbar“ darstellen, sagte sie. „Mir geht es darum, dass wir die nukleare Sicherheit in unserem Land jederzeit gewährleisten können.“

Kubicki: Viel Wasser für die Mühlen der Verschwörungstheoretiker

Eine drastische Konsequenz befürwortet allerdings auch FDP-Bundesvorstandsmitglied Martin Hagen. Er fordert den Rücktritt des Wirtschaftsministers. Hagen sagte:

Entweder Habeck wusste davon oder er hat sein Haus nicht im Griff, und wurde von den eigenen Leuten hintergangen. In beiden Fällen wäre ein Rücktritt die logische Konsequenz.“

Gemäßigter äußerte sich hingegen der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki. Er kündigte an, dass es „jetzt parlamentarische Befragungen geben“ wird. „Wir werden das auch innerhalb der Koalition aufarbeiten.“

Angesichts dessen, dass Habeck offenbar wichtige Dokumente vorenthalten wurden, äußerte Kubicki gegenüber der „Welt“: „Das würde kein gutes Licht auf die Führung des Hauses [Wirtschaftsministerium] werfen.“ Die Vorwürfe drehen sich vorwiegend darum, dass „Unterlagen quasi gefälscht worden sein sollen“, sagte der Vizepräsident des Bundestages. „Das wäre in der Tat ein gravierender Vorgang, der große Zweifel an der Integrität staatlicher Einrichtungen beinhalten würde.“

Kubicki sprach zudem von Täuschung der Öffentlichkeit und der Koalitionspartner, falls die Vorwürfe der Wahrheit entsprächen. Der FDP-Politiker sagte:

Wenn die Menschen daran zweifeln, dass unsere Institutionen lauter und seriös arbeiten, dann gießen wir unglaublich viel Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker und der AfD.“

Laut „Tagesspiegel“ bemühte sich der klimapolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Olaf in der Beek, nach der Sondersitzung des Bundestagsenergieausschusses mit Habeck am Freitagvormittag, den Druck vom Minister zu reduzieren. Er sagte, dass es keinen Sinn mache, „über irgendwelche Rücktritte zu philosophieren“.

Energieexperte: „Es ist kein Skandal“

Inzwischen haben sich bereits einige hochrangige Leute zu dem Vorfall geäußert. So sagte beispielsweise Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrats für Wirtschaft, laut „Focus“:

Wenn die Expertise der Fachleute im Wirtschaftsministerium tatsächlich nicht zu Robert Habeck durchgedrungen ist, dann wäre das sehr bedenklich. Er muss ja nicht allein nach ökonomischen Kriterien entscheiden, aber wie soll er denn abwägen, wenn wichtige Informationen gar nicht bei ihm ankommen?“

Nach Ansicht von Grimm müsse sich ein Minister aber auch die Expertise von anderen Fachleuten außerhalb der eigenen Partei anhören. „Man muss sich zumindest intern den Argumenten stellen und darf sich ihnen nicht verweigern. Dann hätte Habeck sich auch ehrlich machen und mit Verweis auf eine politische Entscheidung agieren können“, sagte die Wirtschaftsweise.

Der Energieexperte Marco Wünsch erkennt nichts Verwerfliches an dem Vorfall. Dass es in Ministerien mit 2.000 Mitarbeitern und 200 Referaten verschiedenste Bewertungen bei solch großen Themen wie dem Ausstieg aus der Kernkraft gebe, hält er laut „Focus“ für normal.

Es ist kein Skandal, dass bestimmte Referate zu anderen Schlüssen kommen, als es die große Linie des Hauses ist. Deshalb trifft die Entscheidung ja auch die Politik und keine Technokratie.“

Wünsch schilderte zudem mögliche verpasste Preisvorteile für Stromkunden. Eine Verlängerung der letzten KKW hätte den Börsenstrompreis in jedem Fall gesenkt. Allerdings wäre der Preisunterschied nur gering gewesen, da die Preise für Kohle und Gas gesunken sind. Er schätzte die verpasste Ersparnis auf 1,5 Prozent.

Volker Quaschning, Professor für regenerative Energien an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, äußerte sich verwundert über die ganze Debatte. Er verstehe laut der „Frankfurter Rundschau“ nicht, warum darüber „so ein Bohei gemacht wird“. Damals hätten zahlreiche Wissenschaftler einen Weiterbetrieb der KKW aus verschiedenen Gründen als unnötig betrachtet. „Die tatsächliche Entwicklung hat ihnen recht gegeben“, so der Energieexperte.

Habeck kontert

Habeck sagte am Freitagmorgen, 26. April, er „freue sich“ auf die Ausschusssitzung. Er verwies auf die „Drucksituation“ im Frühjahr 2022. Er werde noch einmal darlegen, dass am Anfang der Debatte im März 2022 die KKW-Betreiber mitgeteilt hätten, die Brennelemente seien „ausgelutscht, da geht nichts mehr“. Das sei immer abgefragt worden. Er und sein Ministerium seien schon vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs auf die Betreiber zugegangen mit der Frage, „geht denn noch was“.

„Die Versorgungssicherheit hat für uns absolute Priorität“, sagte Habeck. „Wir haben aktiv alle Möglichkeiten ausgelotet, inklusive einer Laufzeitverlängerung.“ Die KKW-Betreiber hätten keine Ressourcen mehr gehabt, die Frage eines Weiterbetriebs habe deshalb nur in der Theorie bestanden. Das werde er im Ausschuss alles noch einmal darlegen.

Die Kritik an der Entscheidungsfindung zum Atomausstieg wies Habeck bereits zurück. Schon am Donnerstag bezeichnete das Ministerium die Darstellung von „Cicero“ als „verkürzt und ohne Kontext“. Entsprechend seien die daraus gezogenen Schlüsse „nicht zutreffend“.

Habeck sagte vor Beginn einer Sondersitzung des Bundestags-Ausschusses für Klimaschutz und Energie, ein Jahr nach dem Atomausstieg hätten sich alle „Unkenrufe“ nicht bewahrheitet. Die Energieversorgung sei gesichert, die Strompreise am Handel seien heruntergegangen. „Wir sind super durch die Krise gekommen.“ Der Vizekanzler fügte hinzu, dass die Annahme, es habe eine Art Geheimwissen gegeben, das ihn nicht erreicht habe, falsch sei.

Habeck betonte während der Sondersitzung, dass er stets das Gefühl hatte, von seinem Ministerium gut informiert zu sein, wie die FAZ berichtet.

Wirtschafts- und Umweltministerium hatten sich im März 2022 in einem Prüfvermerk gegen eine Laufzeitverlängerung der KKW ausgesprochen. Beide Ministerien hatten geprüft, ob und inwiefern eine Verlängerung der Laufzeiten von KKW – angesichts des Ukraine-Kriegs und der aktuell hohen Importabhängigkeit von Russland – zur Energiesicherheit beitragen würde. Später war der Betrieb von drei KKW zur Sicherung der Stromversorgung doch noch bis Mitte April 2023 verlängert worden.

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)



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