Junge Türken fliehen vor Perspektivlosigkeit und autoritärer Politik in ihrer Heimat

Viele Türken verlassen ihr Land. Die schwächelnde Wirtschaft und die autoritäre Politik der Regierung treibt immer mehr junge Türken ins Ausland. "Wir verlieren unsere intelligentesten Studenten an den Westen", warnte Staatschef Erdogan, der selbst mit seiner Politik wesentlich dazu beigetragen hat, dass gerade gut ausgebildete Türken keine Zukunft mehr in ihrer Heimat sehen.
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Türken.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Epoch Times21. September 2017

Als die junge Türkin S. vor fünf Jahren ihr Land in Richtung Dubai verließ, hielten ihre Freunde dies für einen Fehler. Heute jedoch schicken sie S. ihren Lebenslauf, weil sie selbst nicht länger in der Türkei bleiben wollen. Erlebte das Land vor fünf Jahren ein rapides Wachstum, während die Kulturszene aufblühte, treiben heute die schwächelnde Wirtschaft und die autoritäre Politik der Regierung immer mehr junge Türken ins Ausland.

Selbst Präsident Recep Tayyip Erdogan zeigte sich Ende Juli beunruhigt über den „Braindrain“. „Wir verlieren unsere intelligentesten Studenten an den Westen“, warnte der Staatschef, der selbst mit seiner Politik wesentlich dazu beigetragen hat, dass gerade gut ausgebildete Türken keine Zukunft mehr in ihrer Heimat sehen.

S. hatte zunächst nur einige Jahre in Dubai bleiben wollen, um Arbeitserfahrung im Ausland zu sammeln. „Ich habe oft überlegt zurückzugehen, doch jedes Mal hielten mich die Ereignisse in der Türkei ab“, sagt die Angestellte einer Onlinemarketingfirma, die sich wie viele andere bei diesem Thema nur anonym äußern wollte.

Erst habe sie die Niederschlagung der Gezi-Proteste im Sommer 2013 von einer Rückkehr abgehalten, dann die Serie blutiger Attentate, die 2015 das Land erschütterten, sagt S. Der Putschversuch des Militärs im Juli 2016 und die anschließende Welle von Festnahmen und Entlassungen taten dann ein Übriges, sie von der Heimkehr abzuhalten.

Mehr als 50.000 Menschen wurden seit dem Putschversuch inhaftiert und rund 140.000 aus dem Staatsdienst entlassen oder suspendiert. Neben Militär, Polizei und Justiz sind besonders die Schulen, die Universitäten und die Medien betroffen. Daher streben heute besonders Wissenschaftler und Journalisten ins Ausland, darunter nach Deutschland.

Allein im August beantragten laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) 877 Türken Asyl in der Bundesrepublik – so viele wie in keinem Monat seit dem Putschversuch. Damit stellten dieses Jahr schon rund 4700 türkische Staatsangehörige einen Asylantrag. Anerkannt werden aber nur wenige – trotz der Repressionen gegen Regierungskritiker.

Die Doktorandin Merve, die bald zu ihrem Freund nach Budapest zieht, kann sich angesichts der Politisierung der Universitäten eine Karriere in der Türkei nicht mehr vorstellen. An der Universität „seine politische Meinung zu äußern, bedeutet, ein Risiko einzugehen“, meint auch ein junger Wissenschaftler, der nach seiner Promotion in Montréal geblieben ist.

Die Auswanderung der Akademiker hat weitreichende wirtschaftliche aber auch gesellschaftliche Konsequenzen für die Türkei. Da die Türken, die derzeit das Land verließen, Träger der Menschenrechte seien, würden diese Werte nun im Land geschwächt, fürchtet die Soziologin Ulas Sunata, die besonders zu Migrationsbewegungen forscht.

Es gingen besonders die Hochqualifizierten, da sie die besten Chancen hätten, in anderen Ländern aufgenommen zu werden, sagt Sunata. „Auswanderung ist riskant und es sind vor allem die gut ausgebildeten Leute, die diese Risiken einzugehen bereit sind“, sagt die Soziologin. Doch auch für Akademiker ist der Wechsel ins Ausland ein Schritt ins Ungewisse.

In Deutschland gibt es für verfolgte Wissenschaftler das Philipp-Schwartz-Stipendium, das ihnen für zwei Jahre einen Forschungsaufenthalt an einer deutschen Universität ermöglicht. Vielen türkischen Wissenschaftlern hat das Stipendium erlaubt, nach Deutschland zu kommen, doch bleibt die Frage, wie es nach Auslaufen der Förderung weitergeht.

Die meisten wollen aber ohnehin nicht dauerhaft auswandern und hoffen, später zurückkehren zu können. „Die Dinge werden sich nicht von heute auf morgen ändern“, sagt ein Regisseur, der geht, weil er unter der jetzigen Regierung keine Zukunft mehr für unabhängige Filme sieht. „Aber die Türkei ist unvorhersehbar, und alles kann sich sehr schnell wieder ändern.“ (afp)



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